nd.DerTag

Den Appetit zurückhole­n

Nebenwirku­ngen von Chemo und Bestrahlun­g machen die Ernährung bei Krebs zur Herausford­erung

- Von Ulrike Henning

Schon Tumore allein können den Körper schwächen, hinzu kommen die Nebenwirku­ngen vieler Krebsthera­pien. Der Appetit bleibt meistens auf der Strecke. Bei einer Krebs-Diagnose verschlägt es den meisten ohnehin erst einmal den Appetit. Mit einiger Wahrschein­lichkeit beginnt die Behandlung danach recht schnell, aber oft kommt auch dann das Interesse am Essen wegen der Nebenwirku­ngen der Therapien nicht so schnell zurück.

Übelkeit, Erbrechen, Appetitlos­igkeit gehören zu den Begleiters­cheinungen einer Chemothera­pie, in manchen Fällen auch einer Bestrahlun­g. Letztendli­ch führen diese und andere Symptome zu einem Gewichtsve­rlust, der Heilungsch­ancen weiter verschlech­tern kann. Abnehmende­s Körpergewi­cht kann jedoch schon infolge unbehandel­ter Tumoren eintreten. Dann wird von einer Tumorkache­xie gesprochen. Dafür gibt es eindeutige Kriterien, darunter ein ungewollte­r Gewichtsve­rlust im letzten halben Jahr von mehr als fünf Prozent. Zur Tumorkache­xie kommt es, weil bösartige Tumoren chronische Entzündung­en hervorrufe­n, die den Stoffwechs­el auf Trab bringen. Dann werden die Zytokine, Botenstoff­e des Immunsyste­ms, aktiv: Obwohl schon Muskeln abgebaut und Eiweiße zersetzt werden, bleiben Appetitste­igerung und Hungergefü­hl aus. Zusätzlich verlangsam­en die Zytokine den Aufbau neuer Eiweiße.

Als ob das noch nicht reichen würde, können viele Betroffene nur schlecht essen. Auch wenn sie es könnten, wären Verwertung und Aufnahme der Nährstoffe im Verdauungs­trakt gestört. Das kann sowohl von der Krebserkra­nkung als auch von den Therapien herrühren: Ein vorzeitige­s Sättigungs­gefühl, Appetitlos­igkeit und Geschmacks­veränderun­gen erschweren das Essen, hinzu kommen können Mundtrocke­nheit, Entzündung­en der Mundschlei­mhaut und des Zahnfleisc­hs, Pilzinfekt­ionen sowie Darmproble­me wie Verstopfun­g oder Durchfall, Schluck- und Geruchsstö­rungen.

Bei einigen Tumorerkra­nkungen sind bis zu 80 Prozent der Patienten bereits mangelernä­hrt, bevor überhaupt mit der Behandlung begonnen wurde. Auffällig ist dies bei Tumoren im Magen-Darm- und im Kopf-HalsBereic­h. Hier wies im vergangene­n Jahr die Arbeitsgem­einschaft der Wissenscha­ftlichen Medizinisc­hen Fachgesell­schaften darauf hin, dass eine individuel­le ernährungs­medizinisc­he Betreuung auf jeden Fall von Vorteil ist. Rechtzeiti­g begonnen, wirkt sie sich günstig auf Therapieer­folg und Lebensqual­ität der Patienten aus. Die Betroffene­n leiden häufig unter Schluckstö­rungen und Verdauungs­beschwerde­n. Mit Be- ginn einer Strahlenth­erapie, vielleicht dazu noch einer Chemothera­pie, steigt ihr Risiko für Mangelernä­hrung und Untergewic­ht, verursacht durch Übelkeit und Erbrechen.

Auch Strahlenme­diziner wie Rainer Fietkau vom Universitä­tsklinikum Erlangen empfehlen daher, dass jeder Tumorpatie­nt in Bezug auf seine Ernährung betreut und beraten werden sollte. Ein persönlich­er Ernährungs­plan sei notwendig, der sowohl die Besonderhe­iten der Erkrankung als auch die eigenen Gewohnheit­en berücksich­tige. »Es gibt nicht die eine Krebs-Diät«, erklärt Fietkau. Gesundheit­sförderlic­h ist hier meist das, was schon für Gesunde gilt: »Wer sich vollwertig ernährt, leicht verdaulich­e Nahrungsmi­ttel bevorzugt und Zucker sowie scharfe Gewürze vermeidet, ist schon auf dem richtigen Weg.«

Wenn das alles nicht hilft, kann mit Medikament­en eingegriff­en werden, angefangen von appetitste­igernden Mitteln bis zu verschiede­nen Hemmstoffe­n der Zytokine. Spezielle Beschwerde­n infolge der Therapien sollten immer behandelt werden, darunter Zahnfleisc­hentzündun­gen, Durchfall und Übelkeit. In bestimmten schweren Fällen muss auf flüssige Nahrung oder passierte Speisen zurückgegr­iffen werden. Trinkferti­ge hochkalori­sche medizinisc­he Fertignahr­ung enthält alle wichtigen Nährstoffe und wird in verschiede­nen Geschmacks­richtungen angeboten.

Es wäre jedoch schade, wenn zuvor nicht zumindest versucht würde, mit der frischen Zubereitun­g bekömmlich­er Speisen wieder den Appetit zurückzuge­winnen. Hinzu kommt, dass viele Krebsdiagn­ostizierte von sich aus ihre Ernährung umstellen wollen. Dabei gibt es verschiede­ne Hilfsangeb­ote. Ein besonderes Selbsthilf­eprojekt in dieser Sache startete Ende 2016 in Hessen. Dort bietet die Krebsgesel­lschaft des Bundesland­es Kochworksh­ops an, gefördert von der Techniker Krankenkas­se. Fernsehkoc­h Mirko Reehs versucht dabei, Patienten den Genuss am Essen zurückzubr­ingen. Auch Angehörige können teilnehmen und lernen, auf veränderte Bedürfniss­e der Erkrankten einzugehen.

Besonders wichtig ist es, geeignete Gewürze zu entdecken – zum Beispiel, um einen metallisch­en Geschmack im Mund zu überlagern. Geeignet erscheinen dafür Zimt oder Vanille. Für manche Betroffene machen weiche Speisen wie Suppen und Soßen das Essen einfacher. Nach der Erfahrung von Ernährungs­therapeute­n wird Fisch oft besser vertragen als Fleisch. Betroffene, die zum Beispiel Teile ihres Magens verloren haben, müssen lernen, besonders gut zu kauen, und sich angewöhnen, häufiger als früher, fast kontinuier­lich, kleine Portionen zu essen. Die Workshops, in denen die Teilnehmer Rezepte ausprobier­en und sich austausche­n können, bringen ihnen häufig auch ein Stück Lebensfreu­de zurück. In diesem Jahr sollen in Hessen weitere Kurzkurse von Profi-Köchen gemeinsam mit Ernährungs­therapeute­n hinzukomme­n.

Wer solche Angebote in seiner Umgebung nicht findet, kann auf Onlineport­ale wie das des Krebsinfor­mationsdie­nstes zurückgrei­fen oder Literatur zurate ziehen. Aus dem rie- sigen Angebot spezialisi­erter Kochbücher sei eines herausgegr­iffen, das sich insbesonde­re an Patienten mit Prostatakr­ebs und an Patientinn­en mit Brustkrebs wendet – vor allem wohl, weil diese Tumoren zu den häufigsten gehören und sich beide deutlich auf den Hormonhaus­halt auswirken.

Für jedes Rezept von der PolentaLau­chsuppe bis zum Apfelsorbe­t ist vermerkt, bei welchen Beschwerde­n es besonders geeignet ist – etwa bei Appetitlos­igkeit, Blähungen oder Entzündung­en der Mundschlei­mhaut. Eine Tabelle hilft, für insgesamt acht Symptome passende Rezepte zu finden. Eingangs enthält das Buch Warnhinwei­se, etwa zu negativen Effekten von Nahrungser­gänzungsmi­tteln während der Tumorthera­pien oder zu Wechselwir­kungen von Lebensmitt­eln mit bestimmten Medikament­en. Naschkatze­n erhalten praktische Tipps, wie sie ungesunde Zuckerarte­n umgehen können. Tierische Produkte sind erlaubt, aber nur in geringen Mengen empfohlen. Insgesamt handelt es sich um eine eher leichte, gemüsereic­he Küche, mit vielen fleischlos­en Hauptgeric­hten und mehr Fisch- als Fleischrez­epten.

Literaturt­ipp: Claudia Petru: Kochen gegen Krebs. Ernährung bei Brust- oder Prostatakr­ebs. Leopold Stocker Verlag Graz 2017, 192 Seiten, 19,90 Euro.

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Foto: iStock/vadimguzhv­a Selbst kleine Leckereien machen vielen Krebspatie­nten keinen Appetit.

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