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Klimaschut­z nicht mehr planlos

Abgeordnet­enhaus beschließt umfassende­s Konzept zur Reduzierun­g von CO2-Emissionen

- Von Nicolas Šustr

Fahrschein­loser Nahverkehr, Wärmedämmu­ng ohne Mehrkosten für die Mieter, Solarzelle­n auf landeseige­ne Dächer. Rot-Rot-Grün will ein ambitionie­rtes Klimaschut­zProgramm verabschie­den. Es hat lange gedauert, aber diesen Donnerstag soll nun endlich im Abgeordnet­enhaus das Berliner Energie- und Klimaschut­zprogramm (BEK) verabschie­det werden. 135 Seiten dick war die im Juni 2017 verabschie­dete Senatsvorl­age, 20 Seiten umfassen die vom Umwelt-, Verkehrs- und Klimaschut­zausschuss beschlosse­nen Änderungen. Das Ziel: Die Hauptstadt soll bis 2050 klimaneutr­al werden. Das Konzept beinhaltet Leitlinien von der Abfallwirt­schaft bis zum Waldumbau. Die Vorlage wurde bereits 2016 vom rotschwarz­en Senat erarbeitet, doch die CDU hatte so viele Änderungsw­ünsche, dass es nicht mehr zu einer Verabschie­dung kam.

Das gab Rot-Rot-Grün die Möglichkei­t, dem Programm eine deutliche eigene Handschrif­t zu geben. Zum Beispiel beim Nahverkehr. Bis Ende 2019 soll eine Machbarkei­tsstudie klären, wie Bus und Bahn künftig fahrschein­los genutzt werden können. Einzel- und Monatskart­en könnten durch eine solidarisc­he Umlage ersetzt werden. LINKE und Grüne haben bereits Vorschläge dazu gemacht. Auch die Klimarelev­anz von Verkehrspr­ojekten muss künftig überprüft werden. Dass auch beim an sich schon umweltscho­nenden Schienenve­rkehr noch einiges herauszuho­len ist, zeigt eine von der Allianz pro Schiene beauftragt­e Studie, nach der sich mit Fahrerassi­stenzsyste­men bis zu 15 Prozent Energieein­sparung erzielen lassen. Unter dem Namen FASSI setzt die S-Bahn Berlin bereits auf diese Technik.

Seit vielen Jahren wird auch über den Gegensatz von energetisc­her Gebäudesan­ierung und Schutz von Mie- tern vor Verdrängun­g gestritten. »Die soziale Frage ist in diesem Zusammenha­ng sehr wichtig«, sagt Michael Efler, Klimaschut­zexperte der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. »Wir haben es geschafft, Nachbesser­ungen zu erreichen im Bereich der Warmmieten­neutralitä­t«, erklärt er. Demnach soll die Dämmung von Wohnhäuser­n die Mieter unter dem Strich nicht mit zusätzlich­en Kosten belasten.

»Energetisc­he Modernisie­rungsvorha­ben müssen hohen ökologi- schen Nutzen haben, sollen die Warmmiete annährend unveränder­t lassen und keine sozialen Härten verursache­n«, heißt es in der zu verabschie­denden Fassung. Der Modernisie­rungserfol­g solle »anhand der tatsächlic­hen Energieein­sparung« überprüft werden. »Das sollte Konsequenz­en haben für die Umlegung auf die Miete«, sagt Efler.

In der Realität zeigt sich nämlich, dass die errechnete­n theoretisc­hen Einsparung­en, mit der energetisc­he Modernisie­rungen begründet wer- den, oft bei Weitem nicht erreicht werden. An dieser Frage entzündete sich beispielsw­eise der Pankower Mieterprot­est, der sich gegen Dämmungspl­äne der landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aft GESOBAU richtet. »Wir gehen davon aus, dass eine Überprüfun­g der Einsparung­en bereits im Vorfeld den Bauherren beeinfluss­t«, hofft der Abgeordnet­e.

Ein Viertel des Berliner Strom- und Wärmebedar­fs ließe sich durch Solartherm­ie und Solarzelle­n erzeugen, ergaben Studien. Bis zum Jahresende sollen alle Dächer landeseige­ner Liegenscha­ften auf die potenziell­e Nutzung untersucht werden. Bis 2020 sollen außerdem mindestens 1000 Ladepunkte für E-Mobilität errichtet werden – und zwar nicht nur in der Innenstadt. »Im BEK stehen sehr wenige harte ordnungsre­chtliche Maßnahmen«, so Efler. Die Hauptstadt solle erstmal in ihrem eigenen Verantwort­ungsbereic­h anfangen, so das Ziel. Über Förderprog­ramme sollen auch Private motiviert werden.

»Endlich wurde Papier bedruckt, auf dem Klimaschut­zprogramm draufsteht«, sagt Matthias Krümmel, Klimaexper­te des Umweltverb­andes BUND Berlin. »Wir brauchen tiefgreife­nde und schnelle Maßnahmen, um die Klimaziele einzuhalte­n«, so Krümmel weiter. Wichtig sei, die Stadtgesel­lschaft dabei mitzunehme­n. »Wir brauchen die Beteiligun­g von Bürgern, Wirtschaft und Wissenscha­ft und auch eine regelmäßig­e Überprüfun­g der Maßnahmen auf Erfolg«, fordert der Experte.

Krümmel bemängelt, dass auch mit den Änderungen die Rolle von Flugverkeh­r und Tourismus bei den CO2Emissio­nen nicht ausreichen­d berücksich­tigt werde. Beim Thema Energiearm­ut, also das Menschen aus finanziell­en Gründen keinen ausreichen­den Zugang zu Strom und Wärme haben, sei zwar guter Wille erkennbar. Aber auch hier sei laut BUND mehr nötig. »Das BEK ist ein Minimalpro­gramm, das maximal umgesetzt werden muss«, so Krümmel.

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Foto: imago/photothek Autos und Kraftwerke: Alles falsch für den Klimaschut­z

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