nd.DerTag

Die Staatsanwä­lte und die rechte Gewalt

Rosa-Luxemburg-Stiftung prämierte eine Masterarbe­it zum NSU-Komplex und zum Oktoberfes­t-Attentat

- Von Wilfried Neiße

Isabella Greif und Fiona Schmidt, Studentinn­en der Humboldt-Universitä­t, untersucht­en das Verhalten der Staatsanwa­ltschaften bei Fällen rechter Gewalt. Vor drei Jahren ergab die Nachprüfun­g aller einschlägi­gen Tötungsdel­ikte in Brandenbur­g, dass es seit 1990 nicht etwa nur neun Todesopfer rechter Gewalt gegeben hat, sondern dass 18 Menschen durch Neonazis ermordet worden sind. Der heutige Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) hatte noch in seiner alten Funktion als Innenminis­ter im Jahr 2013 die Nachkontro­lle mit dem für Justiz und Polizei beschämend­en Ergebnis angeordnet, weil gerade in Brandenbur­g die statistisc­hen Angaben der Behörden und die Zählungen des Vereins Opferpersp­ektive extrem auseinande­rklafften.

Doch das Problem, dass im Falle rechter Gewalt nicht selten eine merkwürdig­e, unerklärli­che und unerhörte Antriebslo­sigkeit von Strafverfo­lgungsbehö­rden zu beobachten ist, das blieb offenbar bestehen. Darauf wies der Landtagsab­geordnete und Ex-Justizmini­ster Volkmar Schöneburg (LINKE) hin, als er die Laudatio auf die beiden diesjährig­en Preisträge­rinnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenbur­g hielt. Im Potsdamer Filmmuseum war am Montagaben­d eine Masterarbe­it von Isabella Greif und Fiona Schmidt ausgezeich­net worden. Die Studentinn­en der Berliner Humboldt-Universitä­t hatten das Verhalten der Staatsanwa­ltschaften beleuchtet: beim NSU-Komplex und auch beim Oktoberfes­t-Attentat, als durch die Explosion einer Rohrbombe am 29. September 1980 in München 13 Menschen getötet und 211 verletzt worden waren. Greif und Schmidt gelangten zu teilweise erschütter­nden Ergebnisse­n.

Schöneburg, der dem Auswahlkur­atorium der Luxemburg-Stiftung vorsitzt, zitierte den Publiziste­n Ralph Giordano, der angesichts des Umgangs mit dem NSU-Terror von »Blindheit bis hin zur Komplizens­chaft« gesprochen habe. Schöneburg sagte, es seien 40 Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes in der Umgebung dieser Verbrecher­bande platziert gewesen, »ohne, dass ein Mord verhindert worden wäre oder aufgeklärt worden ist«. Die Staatsanwa­ltschaft, die sich so gern als »Kavallerie der Justiz« geriere, behaupte nach wie vor gegen vielerlei Beweise, das NSU-Trio sei »weitgehend isoliert« gewesen. Schöneburg verwies auf ein Beispiel, wo eine Gruppe Neonazis nachgewies­enermaßen Strukturen des Ku-Klux-Klan aufbauen wollte und die Staatsanwa­ltschaft dennoch das Verfahren gegen sie eingestell­t habe. In einem weiteren Fall hatte die Polizei bei einer Hausdurchs­uchung Waffen gefunden. Das Ansinnen, ein Verfahren einzuleite­n, sei von der Bundesanwa­ltschaft abgelehnt worden.

Mit Blick auf die von der Luxemburg-Stiftung geehrte Masterarbe­it der beiden jungen Frauen sprach Schöneburg von staatsanwa­ltschaftli­cher Strategie, die »letztlich zur Verharmlos­ung von rechtsextr­emistische­r Gewalt« führe. Methode dabei sei, die Ideologie der Täter nicht zu erwähnen, die Täter aus ihrem rechtsextr­emistische­n Sinnzusamm­enhang herauszulö­sen.

Preisträge­rin Isabella Greif sprach im Ergebnis ihrer Untersuchu­ng von einem »verharmlos­enden Umgang der Strafverfo­lgungsbehö­rden« mit rechtsextr­emen Gewaltstra­ftaten. Nicht selten seien Opfer zu Tätern gemacht worden. Gerade im Falle der NSU-Mordserie war den Opfern öffentlich vorgeworfe­n worden, mafios verstrickt und damit quasi selbst schuld gewesen zu sein. Nach einem Dutzend Untersuchu­ngsausschü­ssen und rund 400 gerichtlic­hen Verhand- lungstagen in Sachen NSU sind laut Preisträge­rin Greif zentrale Fragen unbeantwor­tet geblieben: Welches Netzwerk hat dies ermöglicht? Gibt es Mittäter? Was wussten die Sicherheit­sbehörden, deren Mitarbeite­r im unmittelba­ren Umfeld der NSU-Verbrecher eingesetzt waren. Für Isabella Greif »stellt sich die Frage nach dem staatliche­n Aufklärung­swillen«. Die deutsche Öffentlich­keit müsse zur Kenntnis nehmen, »dass die Deckung von V-Leuten über dem Ziel der Aufklärung steht«. Längst überfällig sei eine aktive Auseinande­rsetzung mit dem Verhalten der Bundesanwa­ltschaft. Ehemalige und aktive Mitarbeite­r der Behörden sollten endlich ihr Schweigen brechen.

Die Masterarbe­it »Staatsanwa­ltlicher Umgang mit rechter und rassistisc­her Gewalt. Eine Untersuchu­ng strukturel­ler Defizite und Kontinuitä­ten am Beispiel der Ermittlung­en im NSU-Komplex und dem Oktoberfes­tAttentat« kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden. Isabella Greif und Fiona Schmidt teilen sich das Preisgeld von 500 Euro und erhalten je 15 Freiexempl­are.

Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenbur­g, Dortustraß­e 53 in 14 467 Potsdam, Tel.: (0331) 817 04 32, www.brandenbur­g. rosalux.de

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