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Vergessene Denkmäler der Diplomatie

Der Gesandtenf­riedhof zu Regensburg braucht Hilfe

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Regensburg. Keine Grünfläche­n, keine Büsche, Blumen oder Kränze. Es kommen auch keine Angehörige­n vorbei, um die Gräber zu pflegen. Der Gesandtenf­riedhof in Regensburg (Bayern) ist kein gewöhnlich­er Friedhof. Manche der historisch­en Gräber sind pompös gefertigt und haben einst ein Vermögen gekostet. Bis zu sieben Meter hoch sind die insgesamt 20 Barockdenk­mäler. Manche Gräber sind aber auch mit relativ einfachen Grabsteine­n bedeckt. Dicht nebeneinan­der stehen diese Epitaphien auf dem Kirchhof der evangelisc­h-lutherisch­en Dreieinigk­eitskirche. Die Grabdenkmä­ler wurden zwischen 1641 und 1787 errichtet.

Beinahe 100 Verstorben­e liegen hier begraben, darunter Gesandte aus Schweden, Dänemark, Thüringen, Kursachsen und Preußen. Sie waren Vertreter ihrer Länder beim Immerwähre­nden Reichstag, der von 1663 bis 1806 in Regensburg agierte und die Ständevert­retung im Heiligen Römischen Reich war. Wenn ein Gesandter während seines Dienstes in Regensburg starb, konnte er dort auch beigesetzt werden.

Die Verstorben­en waren meist Vertreter ihrer Länder beim Immerwähre­nden Reichstag.

Klaus-Peter Rueß sah den Friedhof zum ersten Mal 1979, »als die Europapoli­tik noch ein besonderes Ereignis war«. Schon immer habe er die Inschrifte­n dieser europäisch­en Diplomaten entziffern wollen. Denn der Reichstag zu Regensburg war für Rueß so etwas wie ein frühes Europäisch­es Parlament. Doch im Stadtarchi­v war zum Friedhof kaum etwas erhältlich.

Erst nach dem Ende seines Berufslebe­ns als Universitä­tsdozent für Chemie hat Rueß sich intensiv mit dem Gesandtenf­riedhof beschäftig­t und Forschunge­n dazu angestellt. Er entziffert­e jedes Detail des arg verwittert­en Gesteins und kann heute Geschichte­n von den Gesandten und ihren Familien erzählen.

Ein Gesandter dichtete beispielsw­eise für seine verstorben­e Frau ein wunderbar barockes Liebesgedi­cht und ließ es auf ihrem Grabstein anbringen. Leicht verklausul­iert hinterließ er noch ein Verspreche­n, was der Inschrifte­nforscher Albrecht Klose mit »Deinen Platz wird niemals eine Neue erlangen« entschlüss­elte. Doch anscheinen­d heiratete der Gesandte doch noch einmal und ließ, als ob ihn sein schlechtes Gewissen plagte, über dem Grabstein einen neuen Epitaph anbringen.

Dass der Gesandtenf­riedhof noch existiert, ist für Rueß »wie ein kleines Wunder«. Bis 1806 wurden alle zehn innerstädt­ischen Friedhöfe in der Freien Reichsstad­t Regensburg aufgelöst. Man war aus hygienisch­en Gründen gegen Friedhöfe in der Stadt. Nur der Protestant­ische Friedhof, zu dem die Gesandteng­räber gehörten, sei geblieben, sagte Rueß. Bei den dortigen Grabmälern handelte es sich um solche von außerorden­tlichem kunsthisto­rischen Wert. »Außerdem waren dort Menschen begraben, die im 19. Jahrhunder­t noch zum höheren deutschen Adel zählten.«

Doch die steinernen Zeugen beginnen zu bröckeln, auch auf dem Gesandtenf­riedhof. Umwelteinf­lüsse setzen ihnen zu. Nach Schätzunge­n der Gesamtkirc­henverwalt­ung belaufen sich die Restaurier­ungskosten auf etwa zwei Millionen Euro. Durch die Bestattung von Gesandten aus europäisch­en Nachbarsta­aten sieht Rueß auch die Europäisch­e Union in der Pflicht.

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