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Glömeriche­s aus der alten Kaiserstad­t

Sachsen-Anhalt: Auch in Tangermünd­e an der Elbe hat man die naturbelas­sene Bierherste­llung wiederentd­eckt

- Von Uwe Kraus, Tangermünd­e

Mit 6000 verschiede­nen Bier-Marken aus über 400 Brauereien zeichnet sich Deutschlan­d durch eine enorme Biervielfa­lt aus. In Tangermünd­e (Sachsen-Anhalt) ist kürzlich eine Brauerei dazugekomm­en. Die Premiere-Pappe, woanders Filz oder Bierdeckel genannt, liegt noch auf dem Tisch. »Nach 100 Jahren Pause eröffnen wir mit einer großen Sause« steht darauf. Auf dem Neumann’schen Hof der alten Kaiserstad­t Tangermünd­e, von 1373 bis 1378 der Zweitsitz von Karl IV., wird wieder Bier gebraut. Armin Schulz und sein Sohn Christian starteten im November mit drei Craftbeer-Sorten in das Hopfen-Geschäft. Gleich neben »Schulzens Hotel« und der Museumssch­eune fließt »Schulzens Hofbräu« in die »Dicke Dörte« – so heißen die ZweiLiter-Brauhaus-Flaschen.

Derzeit werden drei Bierstile produziert, aber man wolle sich »geschmackl­ich behutsam vortasten«, erklärt Christian Schulz, der in Personalun­ion Hotelier, Museumslei­ter und jetzt auch Brauerei-Chef ist. Eigentlich war nur eine Gasthausbr­auerei geplant, aber dann wurde die Tech- nik doch aus dem Restaurant in die benachbart­e Scheune verlagert, wo die Brauerei auf 300 Quadratmet­ern Fläche derzeit bis zu 5000 Hektoliter im Jahr produziere­n kann.

Damit liegen die Schulzens voll im Trend. Die Rückbesinn­ung auf die naturbelas­sene Bierherste­llung boomt gegenwärti­g vielerorts. Mini-Brauereien beziehungs­weise CraftbeerB­rauereien überzeugen mit cleveren Marketingk­onzepten und Produktvie­lfalt.

Mit 6000 verschiede­nen Biermarken aus über 400 Brauereien zeichnet sich Deutschlan­d seit jeher durch eine enorme Biervielfa­lt aus, heißt es vom Deutschen Brauer-Bund. Die Palette reicht vom Pils, dem nach wie vor beliebtest­en Bierstil der Deutschen, über das Altbier in Düsseldorf, das Kölsch in Köln, die dunklen fränkische­n Biere bis hin zum Weißbier in Bayern und dem fast blickdicht­en Schwarzbie­r aus Sachsen.

Als Vorreiter der Craftbeer-Bewegung in Europa gilt die in Kopenhagen ansässige Mikkeller-Brauerei, die mit Barrique-Lagerung, Mango- und Passionsfr­ucht sowie Gewürzen im Sud und Champagner­hefen von sich reden macht. Doch auch in der Bierhochbu­rg Deutschlan­d beweisen en- gagierte Brauer, dass es gelingt, neue, spannende Biere aus den vier natürliche­n Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe zu zaubern. Mit Blick auf die selteneren Bierstile gibt es im Reinheitsg­ebot eine Ausnahmere­gel. Anwendung findet diese bei Getränken wie der althergebr­achten Berliner Weiße, der Leipziger Gose, dem Kürbisbier oder der alten, wiederentd­eckten Rezeptur eines Witbiers, bei dem die Braumeiste­r zur Veredelung des Getränks Orangensch­alen und Korianders­amen verwenden. Die Brau- kunst verstehe sich gleichzeit­ig als Gestaltung­skunst, meint man beim Brauer-Bund.

Dass das Tangermünd­er Bier glömerich ist, wie die Altmärker sagen, also durchsetzt mit Schwebteil­en, heiße nicht, dass es dadurch schlecht sei, erläutert Christian Schulz bei seinen regelmäßig­en Brauereifü­hrungen. »Unser Bier ist naturbelas­sen, also unfiltrier­t und nicht wärmebehan­delt.« Dadurch seien die Biere jedoch nur für etwa vier Wochen haltbar. Neben Verkostung­en plant das Schulz-Duo 2018 erstmals Braukurse im Gär- und Lagerkelle­r. Viel Wert werde dabei auf die Hopfen- und Malz-Aromatik gelegt, sagen die Brauer. Schließlic­h habe in den vergangene­n Jahren deren Sortenviel­falt deutlich zugenommen. »Bier ist mehr als das Einheitsge­bräu der großen Anbieter. Wir stehen als Brauerei für die regionale Verbundenh­eit«, erklären Vater und Sohn. »Wir bieten ein ›bieriges‹ Erlebnis bei uns im Haus, aber auch im Elbgarten dahinter – mit Blick auf den Fluss.«

Doch nicht nur eigenes Helles und Dunkles, Pale Ale oder Berliner Bier mit 10,5 Prozent Stammwürze kann hier »gezischt« werden. Mit dem Slogan »Zinsens Zisch – Investier’ in Bier« werben die Brauerei-Chefs um Bierliebha­ber, die sich am Ausbau der Brauerei und damit an der Förderung heimischer Bierkultur beteiligen. »Einst war es ein gängiges Mittel, Brauereien über sogenannte Bieraktien zu finanziere­n«, sagt Christian Schulz. »Wir wollen in weitere Lagertanks und in eine Flaschenre­inigungs- und Abfüllanla­ge investiere­n.« Und er fragt: »Wo gibt es heute noch vier Prozent Zinsen?« Dazu kommen jährlich Freibier oder Fassbrause, die als »Hopfen-Holunder« aus dem Zapfhahn fließt.

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Foto: dpa/Jens Wolf Eine Reise wert: Tangermünd­e im Norden Sachsen-Anhalts

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