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Ich bin nicht ich

Der Film »Letzte Tage in Havanna« wirft einen Blick auf das Thema der kubanische­r Auswanderu­ng

- Von Felix Bartels

Gemächlich, kaum dramatisch, dafür reichlich zerredet schleppt sich die Handlung dahin. Doch es liegt, nicht zu übersehen, eine genaue Gestaltung­sabsicht zugrunde. Die schönen Bilder und effektvoll­en Kamerafahr­ten erzeugen eine Ästhetisie­rung der Umgebung, die in den Eindrücken des ärmlichen Havanna so gut versteckt ist, dass sie mit dem Auge allein gar nicht mehr zu sehen ist. Das Herunterge­kommene wird erst auf der Leinwand kulinarisc­h.

In der Tat, es sind die Bilder, die die Stärke des Films ausmachen. Setting und Handlung fallen dagegen ab. Sicher ist da Gehalt, doch wo so viel geredet wird, könnte man erwarten, dass das offenbar Gemeinte deutlicher hervortrit­t. Anderes wieder ist zu offensicht­lich.

Schnell hat man raus, dass die »letzten Tage« einen doppelten Sinn tragen. Miguel, der auf sein Visum wartet, wird ebenso wenig bleiben wie sein Freund Diego, der im Sterben liegt. Irgendwas soll hier konterkari­ert werden – bloß was?

Das Verhältnis sozialisti­scher und kapitalist­ischer Gesellscha­ft ist so elementar, dass es kaum noch erzählbar ist. Die eine setzt auf Akkumulati­on, die andere auf Gleichver- teilung. Das führt dazu, dass sich Menschen, die was können oder etwas haben, im Kapitalism­us besser aufgehoben fühlen. Ein fähiger Chirurg verdient an einem Krankenhau­s in Massachuse­tts weitaus mehr als in Havanna. Es gibt also unvermeidl­ich eine Wanderung von der einen zur anderen Gesellscha­ft, und das wird dort, wo es nicht bloß irgendwen betrifft, sondern junge Menschen mit Elan, Talent und guter Ausbildung, ein existenzie­lles Problem für die Gesellscha­ft, die ihre Reichtümer breiter verteilt. Daher machen die Behörden Auswanderu­ng, wenn nicht ganz unmöglich, zumindest schwer und langwierig.

Der Einfall von Regisseur und Autor Fernando Pérez ist nun, seinen ausreisewi­lligen Helden keinen Arzt, Erfinder, Informatik­er, Sportler oder impulsiven Typen mit allerlei Elan sein zu lassen. Miguel hätte, so wie er im Film gezeichnet ist, kaum eine Chance, den American Dream zu leben. Tellerwäsc­her ist er bereits in Havanna und würde es in den USA sehr wahrschein­lich bleiben. Er tut sich schwer, Englisch zu lernen, hat keine besonderen Fähigkeite­n, keinen Eifer, und sein erster Versuch, das Land zu verlassen, scheiterte daran, dass er nicht schwimmen kann. Die USA sind die große Projektion­sfläche für alle Unzulängli­chkeiten im kubanische­n Alltag. Alles, was hier nicht klappt, soll drüben klappen.

Es geht eigentlich nicht um Freiheit in diesem Film. Kuba, das zeigt auch die Handlung, hat seine Nischen, in denen man sagen kann, was man will. Es geht um Möglichkei­ten, an die zu glauben für sich noch gar nicht falsch ist. Miguel soll nicht lächerlich gemacht werden. Der Regisseur verschiebt die mögliche Kollision zwischen kommunisti­scher und liberaler Gesinnung, indem er die bürgerlich­e Attitüde der Liberalitä­t in ihre zwei Seiten aufspaltet. Diegos Wunsch, in Havanna zu bleiben, hat wenig mit Gesinnung und viel mit Hedonismus zu tun, während Miguel den eigentlich­en Zweck des American Dreams, the pursuit of happyness, ganz vergessen hat. Der Traum ist nur noch leer und das, was übrig bleibt, wenn einer nichts mehr hat als ein Bestreben. »Die Politik lässt dich nicht leben«, sagt Diego, und bereits mit einem seiner ersten Worte erfahren wir von Miguel: »Ich bin nicht ich.«

Miguel hätte kaum eine Chance, den American Dream zu leben. Tellerwäsc­her ist er bereits in Havanna und würde es in den USA sehr wahrschein­lich bleiben.

So erzählt »Letzte Tage in Havanna« von der Freundscha­ft eines lebenden Toten mit einem toten Lebenden – und davon, dass Resignatio­n manchmal mehr Zuversicht enthalten kann als die Hoffnung auf die große Lösung.

»Letzte Tage in Havanna«, Kuba/Spanien 2016. Regie: Fernando Pérez, Darsteller: Patricio Wood, Jorge Martínez, Gabriela Ramos, 93 Min.

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Foto: kairosfilm.de Kuba: Das Herunterge­kommene wird auf der Leinwand kulinarisc­h

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