»Die Deutschen waren bestialisch ...«
Paraskevi Labraki über ein Massaker, das man in Griechenland den »Holocaust von Viannos« nennt
Erzählen Sie uns bitte von Ihrer Kindheit.
Meine Mutter hieß Despina, mein Vater Georgios. Wir waren sechs Geschwister, vier Mädchen und zwei Jungs. Ich bin die Jüngste. Wir waren ruhige christlich-orthodoxe Menschen, gastfreundlich. Wir lebten in Armut, meine Eltern haben geschuftet, um uns Kinder großzuziehen. Wir hatten trotzdem ein gutes Leben.
Bis die Deutschen kamen.
Die Deutschen kamen in unsere Häuser, durchsuchten sie und nahmen alles mit. Einmal entdeckten sie im Keller versteckte Kartoffeln. Sie forderten meine Schwester auf, sie in einen Sack zu füllen. Meine Schwester bat, sie sollen doch was übrig lassen. Sie wäre beinahe getötet worden. Die Deutschen dachten, wir hätten die Kartoffeln für Partisanen aufgehoben. Sie fragten uns, wo diese seien. Wir sagten, es gäbe keine. Sie zogen ab, kamen aber immer wieder ... Würden Sie uns vom Massaker von Viannos am 14. September 1943 erzählen, das man bei Ihnen auch den »Holocaust von Viannos« nennt? Die Partisanen hatten 13 deutsche Soldaten getötet. Dafür massakrierten die Deutschen Männer, Frauen, Kinder und Greise. Das blieb aber nicht das einzige Massaker der Deutschen auf unserer Insel. Tausende von uns haben sie getötet. Sie kamen auch
Paraskevi Labraki wurde 1923 in Christos auf der Insel Kreta in einer Bauernfamilie geboren. Sie war Zeugin alltäglicher Schikanen und Massaker der Deutschen, darunter des »Holocaust von Viannos«, bei dem Schätzungen zufolge 500 bis 3000 Menschen ermordet wurden. Nach dem Krieg zog sie zwei Kinder groß, übersiedelte 1966 nach Athen und kehrte später zurück nach Kreta. Foto: privat
wieder in unser Dorf, nahmen die 18 Männer mit, die es noch bei uns gab – viele sind vorher in die Berge gegangen –, und acht Männer aus dem Nachbardorf. Sie haben alle in die Schlucht gestoßen.
Da es keine Männer mehr gab, um die Toten zu bergen, gingen wir Frauen mit Bettdecken los, wickelten sie darin ein und trugen sie nach Hause. Die Deutschen waren bestialisch. Et- liche Dörfer haben sie niedergebrannt, unseres wurde wie durch ein Wunder verschont. Wir hatten große Angst, dass auch uns etwas angetan wird. Deshalb haben wir die meiste Zeit der Besatzung in Höhlen oder auf dem Berg geschlafen. Meine Mutter war ein sehr gutherziger Mensch. Sie sagte, die jungen Soldaten seien nicht schuld daran, die Erwachsenen, die sie befehligen, trügen die Schuld.
Wie erlebten Sie die Befreiung?
Oh, ich war sehr froh über die Befreiung – wie jemand, der aus der Sklaverei befreit wird. Meine Familie hat überlebt. Und wir haben denjenigen, die dazu nicht in der Lage waren, die zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Wir haben jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung für die Toten abgehalten. Mein Mann, Neffe des Dorfpfarrers, hat mir geholfen, über die traumatischen Erlebnisse zu reden. Über das Massaker von Viannos gibt es ein Gedicht, in dem ein Dorf- bewohner die Deutschen beschreibt: »Es ist ein blutrünstiges Volk, es feiert, indem es die Zivilbevölkerung erschießt.« Solche Kurzgedichte gibt es viele. Ich habe einige in ein Heft geschrieben, damit nachfolgende Generationen Bescheid wissen.
Erhielten Sie staatliche Hilfen? Nein, wir bekamen keine Reparationen, keine spezielle Rente. Der griechische Staat war arm. Später kamen dann die deutschen Touristen. Ich hätte sie nicht reingelassen. Denn Gott hat jedem seinen Ort gegeben. Und er hat gesagt, dass man andere Menschen nicht töten soll. Naja, ich bin höflich und sprach trotzdem mit den Touristen. Diese Dinge, die ich erlebte, sollen nie wieder passieren. Aber es passiert immer wieder. Alles wird schlimmer. Diese Unordnung, unsere Regierung, die Deutschen – die gleichen Sachen wieder! Mit Verlaub, ist es in Ordnung, dass eine einzige Frau die ganze Welt regiert?