nd.DerTag

Verteilung von Flüchtling­en auf Eis gelegt

Organisati­onen befürchten Ende des EU-Asylrechts

- Agenturen

Sofia. Sollen EU-Staaten in Krisenzeit­en gezwungen werden können, Flüchtling­e aufzunehme­n? Der Streit darüber verdirbt seit Monaten das Klima zwischen den Staaten der Europäisch­en Union. Vor allem verhindert er Fortschrit­te bei der geplanten Reform des Gemeinsame­n Europäisch­en Asylsystem­s (GEAS). Nun kommt die Bundesregi­erung den Ländern entgegen, die sich einer Aufnahme von Flüchtling­en verweigern. Sie ist offenbar bereit, die Diskussion über eine gleichmäßi­gere Verteilung in Europa vorerst auszusetze­n. »In der Substanz« brauche man »selbstvers­tändlich eine faire Verteilung«, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag am Rande von EU-Beratungen in Sofia. Um Fortschrit­te bei der geplanten Reform des Asyl- und Flüchtling­ssystems der EU zu erzielen, sei es aber wohl sinnvoll, sich erst auf die anderen Themen zu konzentrie­ren. Dazu gehörten zum Beispiel eine Einigung auf Regelungen für den Umgang mit Asylsuchen­den und gemeinsame Aufnahmebe­dingungen. Seit Monaten warnen Flüchtling­sorganisat­ionen wie Pro Asyl und Amnesty Internatio­nal vor den geplanten Regelungen einer neuen Stufe der Dublin-Verordnung.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) äußerte sich ähnlich. »Die Priorität ist eher zu wissen, wie die (EU-)Außengrenz­en kontrollie­rt werden, und diejenigen zu unterstütz­en, die damit belastet sind«, sagte er in einem gemeinsame­n Gespräch der französisc­hen Tageszeitu­ng »Le Monde« und der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung«. Für ihn sei eine gemeinsame Migrations- und Integratio­nspolitik wichtiger als Quoten zur Verteilung von Asylbewerb­ern. Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien lehnen jegliche Art von Zwang bei der Aufnahme von Flüchtling­en ab. Unterstütz­ung bekamen sie zuletzt auch von Österreich­s neuem Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

Flüchtling­spolitisch­e Organisati­onen sehen offenbar voraus, dass ein Fortschrit­t bei der Reform des EU-Asylsystem­s nun erzwungen werden soll. In einer gemeinsame­n Erklärung warnen Menschenre­chtsorgani­sationen, Wohlfahrts­verbände sowie Juristen- und Flüchtling­sorganisat­ionen vor den geplanten Regelungen, die auch beim bevorstehe­nden Treffen der EU-Innen- und Justizmini­ster sowie anstehende­n Verhandlun­gen im Europäisch­en Parlament den Zugang zum individuel­len Asylrecht in Europa außer Kraft setzen könnten. Nach den aktuellen Vorschläge­n des EURats und der Kommission solle der Flüchtling­sschutz verstärkt auf Drittstaat­en außerhalb der Europäisch­en Union verlagert werden, warnen die Unterzeich­ner. Hierfür solle das Konzept der sogenannte­n sicheren Drittstaat­en ausgeweite­t werden. Das habe zur Folge, dass die Mitgliedst­aaten an den EU-Außengrenz­en die betroffene­n Asylsuchen­den ohne inhaltlich­e Prüfung der Asylgründe in Drittstaat­en zurückweis­en sollen. »Dies wäre ein schwerer Eingriff in die Grund- und Menschenre­chte der Asylsuchen­den.«

Die Organisati­onen sehen die Gefahr, dass Flüchtling­e künftig auf »sichere Drittstaat­en« verwiesen werden, auch wenn sie nur deren Territoriu­m passiert haben und ohne dass diese Länder als Ganzes die Genfer Flüchtling­skonventio­n unterzeich­net haben. Dies müsse auch für Länder gelten, in denen nur Teile wie in Jemen in eine Kooperatio­n mit der EU eingewilli­gt haben. Die Organisati­onen fordern, dass Asylverfah­ren auch weiterhin in zunächst nicht »zuständige­n« EULändern möglich sein sollen. Das Recht auf Familienzu­sammenführ­ung müsse gewahrt bleiben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany