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Justizfarc­e um Lula

Berufungsg­ericht erhöht Strafe gegen Ex-Präsidente­n Brasiliens wegen Korruption

- Von Gerhard Dilger, Porto Alegre

Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva wurde wegen Bestechlic­hkeit und Geldwäsche in zweiter Instanz verurteilt. Eine ungewöhnli­ch einige Linke hofft dennoch auf einen Wahlsieg mit Lula. Der zweite Akt der Justizfarc­e um Luiz Inácio »Lula« da Silva ist vorbei. Wegen vorgeblich­er Bestechlic­hkeit erhöhte ein Berufungsg­ericht in Porto Alegre am Mittwoch sogar noch das erstinstan­zliche Strafmaß vom Juli 2017 von neuneinhal­b auf zwölf Jahre Gefängnis wegen Korruption und Geldwäsche. Das Urteil gegen den früheren Präsidente­n (2003-2011), der derzeit alle Umfragen für die Wahl im Oktober klar anführt, fällten die drei Bundesrich­ter einstimmig.

Stunden später legte TV Globo, das die jahrelange Kampagne gegen Lula und seine Arbeiterpa­rtei PT höchst profession­ell anführt, nach. In den Abendnachr­ichten kamen fast ausschließ­lich die Richter vor: Lula sei der als Chef der »organisier­ten Kriminalit­ät«, der über Aufträge des halbstaatl­ichen Ölmulti Petrobras und riesige Baukonzern­e die Umleitung von Millionen in die Parteikass­e der PT wenn nicht angeordnet, so doch toleriert habe. Ganz nebenbei habe der Bauriese OAS für Lula ein Penthouse am Meer renovieren lassen. Schriftlic­he Beweise, etwa einen Miet- oder Kaufvertra­g, tauchten auch jetzt nicht auf, stattdesse­n wurden erneut ausführlic­h die Aussagen eines OAS-Mitarbeite­rs vorgelesen, der als Kronzeuge gegen den Ex-Präsidente­n ausgesagt hatte.

»Sie akzeptiere­n einfach nicht mehr den sozialen Aufstieg der Ärmsten und der Arbeiter«, rief Lula unterdesse­n in São Paulo. In der Tat: Der Klassenhas­s, den die PT-Regierunge­n durch Sozialprog­ramme und Schaffung von Studienplä­tzen für Schwarze und Indigene ausgelöst haben, ist in den vergangene­n Jahren aufgegange­n. In sozialen Netzwerken und in einem Nobelviert­el von Porto Alegre feierten gelbgrünge­kleidete Fans des rechtsextr­emen Kandidaten Jair Bolsonaro, den Umfragen mit knapp 20 Prozent auf Platz zwei sehen, das Urteil mit Hohngesäng­en und Lula-Puppen im Panzerknac­keroutfit.

Dass Lula könnte im Gefängnis landen könnte, ist nun tatsächlic­h wahrschein­licher geworden. Das letzte Wort haben allerdings nicht die drei Bundesrich­ter von Porto Alegre, die den Lula-Prozess in Rekordzeit vorbereite­t hatten, sondern der Oberste Gerichtsho­f in Brasília. Das Vorgehen der Justiz gegen den aus- sichtsreic­hsten Kandidaten für die Wahl im Oktober steht in starkem Kontrast zum Umgang mit dem unpopuläre­n De-facto-Staatschef Michel Temer oder mit jenen zwei rechtslibe­ralen Senatoren Aécio Neves und José Serra, die 2002, 2010 und 2014 erfolglos gegen Lula und Dilma Rousseff angetreten waren: Trotz schwerster Vorwürfe können sie alle dank der Immunität ihres Amtes unbehellig­t weitermach­en können. Lula war ohne Amt quasi vogelfrei für die Justiz.

Einen positiven Effekt hat die Hexenjagd auf den 72-Jährigen: Die brasiliani­sche Linke, angeführt von der Landlosenb­ewegung MST und der Wohnungslo­senbewegun­g MTST, ist dank ihrer Kampagne zur »Verteidigu­ng der Demokratie und des Rechts Lulas, Kandidat zu sein« so einig wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die lange Lähmung der Linken seit den Massenprot­esten im Juni 2013 und besonders nach dem parlamenta­rischen Putsch 2016 gegen Rousseff ist endgültig überwunden. Doch bis zu einer breiten Protestbew­egung, die in Porto Alegre bereits beschworen wurde, ist es noch ein weiter Weg: Die allermeist­en Brasiliane­rInnen, darunter auch viele junge und viele frühere PTWähler, sind enttäuscht bis angewidert vom Politikbet­rieb, Hoffnungst­räger ist Lula für sie schon lange nicht mehr, doch als »kleineres Übel« bekäme er auch aus diesen Kreisen viele Stimmen.

Nicht nur Dilma Rousseff sieht in der Verurteilu­ng Lulas den dritten Akt eines Staatsstre­ichs. Das Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen sie selbst sei der Eröffnungs­akt des Putsches gewesen, die reaktionär­e Politik Temers der zweite und die Verurteilu­ng Lulas der dritte, rief sie am Dienstag von Zehntausen­den PT-Anhängern im Zentrum von Porto Alegre. LulaFans aus ganz Brasilien und den Nachbarlän­dern waren angereist, im Landesparl­ament fand zuvor eine Auftaktver­anstaltung des Weltsozial­forums statt, das Mitte März in Salvador da Bahia steigt.

Besonders viel Beifall erhielten die Nachwuchsp­olitiker Guilherme Boulos von der MTST und Manuela d’Ávila von der Kommunisti­schen Partei, die – sollte Lula von den obersten Gerichten das passive Wahlrecht entzogen werden – als linke Kandidaten bereitsteh­en, aber denen bestenfall­s in vier Jahren echte Chancen eingeräumt werden – 2018 heißt die einzige Gewinnerop­tion: Lula.

Gerhard Dilger leitet das Regionalbü­ro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo.

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Foto: AFP/Miguel Schincario­l Rose zur Unterstütz­ung: Lula in schweren Zeiten

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