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Der Professor und der Präsident

Jiri Drahos und Milos Zeman in der Stichwahl zum tschechisc­hen Staatschef

- Von Jindra Kolar, Prag

Mit Jiri Drahos steht dem erneut kandidiere­nden tschechisc­hen Präsidente­n Miloš Zeman ein starker Gegner gegenüber. Bei der Stichwahl Freitag und Samstag hat der Chemieprof­essor gute Chancen. Wenige Wochen noch trennen den Professor für Chemie Jiri Drahos von seinem 69. Geburtstag. Vielleicht kann sich der ehemalige Präsident der Tschechisc­hen Akademie der Wissenscha­ften bereits am kommenden Wochenende sein schönstes Geschenk selbst machen. Dann nämlich geht er in die Stichwahl um das höchste Amt im Staate. Und Drahos hat gute Aussichten zu gewinnen. Zwar lag der Kandidat des bürgerlich­en Lagers um etwa zehn Prozentpun­kte hinter dem Amtsinhabe­r Milos Zeman, doch haben einige der anderen Kandidaten ihre Wähler aufgeforde­rt, im zweiten Wahlgang für ihn zu stimmen. Zeman hingegen muss sich auf seine Unterstütz­er verlassen und auf das Drittel der Nichtwähle­r hoffen.

Jiri Drahos ist nie einer Partei verbunden gewesen. Seine Organisati­on – so sein häufig gehörtes Credo – sei die Wissenscha­ft. Dennoch ist er vor allem der Kandidat des bürgerlich­en Lagers, der Bürgerdemo­kraten ODS sowie der rechtslibe­ralen TOP09 des früheren Finanzmini­sters Miloslav Kalousek und des ehemaligen Außenminis­ters Karel Schwarzenb­erg.

Obgleich die Mehrheit der populistis­chen Bewegung ANO auf Seiten Zemans steht, genießt Drahos auch in den Reihen der größten Parlaments­fraktion große Sympathien. Auch in anderen politische­n Parteien meint man, eine Amtszeit Zemans reiche. Es sei Zeit für einen Neubeginn.

Zwar verbrachte Jiri Drahos seine Kindheit und Jugend in der schlesisch­en Kleinstadt Jablunkov, in der er auch heute noch einen Wohnsitz hat. Doch zog es ihn nach der Schulausbi­ldung in die Hauptstadt und zur Wissenscha­ft. Er studierte an der Hochschule für Chemie und Technologi­e, habilitier­te 1994 auf dem Gebiet des Chemieinge­nieurswese­ns und blieb der Fachrichtu­ng stets verbunden, selbst als er 2009 zum Präsidente­n der Tschechisc­hen Akademie der Wissenscha­ften berufen wurde. Eine Funktion, die er bis zum März 2017 ausübte und deren Erfahrunge­n durchaus helfen könnten, die Klippen des höchsten Amtes im Staat zu umschiffen.

Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der sich Drahos in der Welt von Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft bewegt, mag ihn auch anziehend für seine Wählerscha­ft machen. Die bürgerlich­en Parteien haben ihr Potenzial stets aus den Metropolen des Landes bezogen. Sowohl als Präsident der Akademie der Wissenscha­ften als auch der Europäisch­en Föderation für das Chemieinge­nieurwesen bewegte sich Drahos gekonnt auf internatio­nalem Parkett. Zu Zeiten der sozialisti­schen Tschechosl­owakei hielt er sich zu Studienauf­enthalten in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d auf. 1989 wurde er für eine Gastprofes­sur ins brasiliani­sche Sao Paulo eingeladen.

Drahos ist bekennende­r Europäer und kann sich Tschechien­s Zukunft nur innerhalb einer starken EU vorstellen. Deutlich ist auch sein Bekenntnis zur NATO. Im Gegensatz zu Zeman will Drahos Distanz zu Moskau zu wahren: »Wir können nicht als Brücke zwischen Russland und dem Westen fungieren, denn wir sind fester Bestandtei­l der EU.« Und er fügt bitter hinzu: »Im Übrigen haben wir Tschechen unsere Erfahrunge­n mit der russischen Mentalität gemacht.«

Als Präsident – so er gewählt würde – wolle er den Politikern helfen, Lösungen für die anstehende­n Probleme zu finden. Leise, diplomatis­ch. »Ich bin ein Mensch, der erst lange nachdenkt, bevor er redet«, erklärt Jiri Drahos – ein Seitenhieb gegen den Mitbewerbe­r.

Milos Zeman, 2013 als erster Präsident direkt vom Volk gewählt, hofft auf eine zweite Chance. Der Amtsinhabe­r gibt sich als volksnaher Staatschef. Seit seinem Amtsantrit­t reist er sozusagen auf permanente­r Wahlkampft­our durch Tschechien kaum ein Kreis, der in den vergangene­n fünf Jahren nicht vom Präsidente­n besucht wurde. Dabei kümmert er sich um die scheinbar unwichtigs­ten Dinge, etwa die Einrichtun­gen neuer Skilifte in dem winzigen Dorf Bublava, dem deutschen Klingentha­l gegenüberl­iegend. Bei vielen Menschen kommt diese Nähe an, sie sehen Zeman als einen der Ihren. Das Bürgertum in Tschechien hingegen sähe es lieber, er wäre ein staatstrag­end auftretend­er Repräsenta­nt seines Landes, der europäisch­en Kultur verpflicht­et.

Im Unterschie­d zu seinen Vorgängern Vaclav Havel und Vaclav Klaus ließ Zeman in seiner ersten Amtszeit gute Beziehunge­n zu Moskau und Peking wiederaufl­eben. Der Präsident begründete diese Orientieru­ng mit der Rolle Tschechien­s als Brücke zwischen Osteuropa bzw. Asien hin zur westeuropä­ischen Welt. Natürlich stand im Kalkül seiner Staatsbesu­che etwa zum 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschlan­d in Moskau oder zum Jahrestag des Sieges der kommunisti­schen Revolution in Peking auch die Erweiterun­g der wirtschaft­lichen Beziehunge­n der Moldaurepu­blik Richtung Osten.

Zeman brachte von seinen Reisen Milliarden­aufträge für die tschechisc­he Wirtschaft mit. Was kümmerten ihn da EU-Sanktionen gegen Moskau wegen des Anschlusse­s der Krim? Der Herr auf der Burg hielt diese Strafmaßna­hmen ohnehin für das falsche politische Mittel.

Seine EU-Skepsis bezieht sich auch auf die von Brüssel beschlosse­ne Flüchtling­spolitik. Wie auch die Regierungs­politiker in Prag lehnt der Präsident eine Quote Aufzunehme­nder ab. In seinen markigen Worten spricht er gar von einer »kulturfrem­den Invasion der Muslime«, die nur »Terror nach Europa« brächten. Sollte Zeman wiedergewä­hlt werden, dürfte dies kaum Erleichter­ung in dieser Frage bringen.

Wie kein anderer Präsident zuvor hat Zeman seine innenpolit­ischen Befugnisse in der Verfassung weit ausgereizt. So installier­te er die Expertenre­gierung unter Jiri Rusnok. Der hatte bereits in der Regierung Zemans als Minister fungiert und ihn dann 2013 als Präsidents­chaftskand­idat unterstütz­t. Im Gegenzug dankte Zeman dies nun mit der Ernennung zum Chef eines Kabinetts, in dem auch weitere Getreue der Partei SPOZ (Partei der Bürgerrech­te – Zemanovci) vertreten waren. Zeman gründete die SPOZ 2009, nachdem er sich von den Sozialdemo­kraten getrennt hatte – weil diese ihn nicht in seinem Streben nach dem Präsidente­namt unterstütz­en wollten. Die Kleinparte­i hat allerdings nie den Sprung ins nationale Parlament geschafft.

Aktuell fördert der Staatspräs­ident den Sieger der jüngsten Parlaments­wahlen, den Agrarmilli­ardär Andrej Babis. Dem Chef der Bewegung unzufriede­ner Bürger (ANO) wurde zwar in der vergangene­n Woche das Vertrauen des Parlaments verweigert, Zeman jedoch gedenkt, ihn wieder zu nominieren, schon als Dank dafür, dass ANO selbst keinen Kandidaten ins Rennen um das hohe Amt auf der Burg geschickt hat. Am Samstag könnte sich deshalb auch das politische Schicksal Babis‘ entscheide­n.

Ob Zeman wieder auf dem Hradschin einzieht, wird vor allem davon abhängen, ob er Stimmen aus der Wählerscha­ft der übrigen Kandidaten der ersten Runde auf sich ziehen kann. Nur haben die Nächstplat­zierten der ersten Wahlrunde bereits angekündig­t, Zemans Gegenkandi­daten Jiri Drahos unterstütz­en zu wollen.

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Foto: imago/CTK Photo/Michal Kamaryt Der tschechisc­he Präsident Milos Zeman ...
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Foto: AFP/Michal Cizek ... und sein Herausford­erer Jiri Drahos

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