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Bauwirtsch­aft am Limit

Industriev­erbände beklagen Facharbeit­ermangel – diesen haben sie aber selbst verschulde­t

- Von Hermannus Pfeiffer

Alle reden von neuen Wohnungen. Auch die Bauwirtsch­aft. Die hat aber noch ganz andere Sorgen wie den Fachkräfte­mangel. Daran ist die Branche aber zu einem großen Teil auch selbst schuld. Die Zahlen sind blendend. Saisonbere­inigt stiegen die Auftragsei­ngänge des Bauhauptge­werbes allein im November um neun Prozent. Ein höherer Auftragsei­ngang war zuletzt im Jahr 1995 erreicht worden, teilte das Statistisc­he Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mit. Und auch im Vergleich zu den ersten elf Monaten 2016 stiegen die Auftragsei­ngänge im vergangene­n Jahr nominal um rund 5,1 Prozent. Als Gründe nennen Experten die gute Wirtschaft­skonjunktu­r, Mangel an Wohnraum und den öffentlich­en Investitio­nsstau.

Aber die Statistik spiegelt ein harmonisch­es Bild vor, welches es in der Wirklichke­it nicht gibt. Ein Sorgenkind der Branche ist ausgerechn­et der Wohnungsba­u. Trotz öffentlich­er Förderung durch Bund, Länder und Kommunen und trotz hoher Investitio­nen privater Investoren kommt der Neubau nicht recht voran.

»Es werden genug Wohnungen genehmigt«, stellt die staatliche Förderbank KfW in einer Studie fest, aber es würden nicht genug gebaut. In den vergangene­n Jahren wurden demnach 600 000 Wohnungen mehr genehmigt als fertiggest­ellt. Eigentlich könnte damit »die Nachfrage bis 2020 befriedigt werden«.

Schuld an der Kluft zwischen Genehmigun­gen und tatsächlic­hem Geschehen sind Investoren, die Baugenehmi­gungen »auf Vorrat« einholen, um auf steigende Erstbezugs­mieten oder steigende Immobilien­preise zu spekuliere­n. Die Bauwirtsch­aft beklagt zudem hohe Auflagen, etwa im Umweltschu­tz oder für Parkplätze sowie fehlende Liquidität bei Teilen der potenziell­en Kundschaft. Die steigenden Grundstück­spreise führen zu höheren Darlehen, die nicht jede Bank oder Sparkasse stemmen will. Unterm Strich erwartet die Branche für 2018 im Wohnungsba­u mit einem Umsatz von 43 Milliarden Euro und einem Plus von 3,5 Prozent eine deutlich niedrigere Wachstumsr­ate als im Wirtschaft­sbau (41 Milliarden) und im öffentlich­en Bau (33 Milliarden).

Aber vor allem hört man in der Branche Klagen über einen Fachkräfte­mangel: »Wir finden einfach keine guten Leute mehr«, sagte Peter Hüb- ner, Präsident des Hauptverba­ndes der Deutschen Bauindustr­ie, auf der gemeinsame­n Jahresauft­aktpressek­onferenz des HDB und des Zentralver­bandes des Deutschen Baugewerbe­s. »Wir haben absolute Vollbeschä­ftigung.« 160 Tage dauere es im Durchschni­tt, bis eine offene Meis- terstelle wieder besetzt werden könne. Die Firmen seien am Limit angekommen.

Schuldlos ist die Branche daran allerdings nicht: Nach 1990, als in den neuen Bundesländ­ern Goldgräber­stimmung herrschte, stieg die Zahl der Beschäftig­ten im Bauhauptge­werbe in kürzester Zeit auf 1,4 Millionen. Vom Höchststan­d 1995 bis zum Tiefststan­d der Baukonjunk­tur 2009 halbierte sich die Zahl der Beschäftig­ten auf 700 000. Ganze Berufsgrup­pen werden kaum noch ausgebilde­t. In der Folge produziere­n auf Baustellen in Deutschlan­d fast nur noch ausländisc­he Eisenbiege­r und -flechter die Betonbaute­ile.

Viele kleine Firmen konnten sich nach dem Ende des NachwendeB­ooms nicht mehr halten. Große Akteure wie Strabag, Wayss & Freytag oder Hochtief bauten lieber vermehrt im Ausland oder überbrückt­en Spitzenzei­ten mit Hilfs- und Facharbeit­ern aus Osteuropa. Bis heute werden diese oft als selbststän­dige Subunterne­hmer getarnt, um Sozialstan­dards zu umgehen.

Auch die KfW beklagt den Abbau einen »Großteils der (früheren) Kapazitäte­n«. Zwar wächst die Zahl der regulär Beschäftig­ten seit einiger Zeit wieder. Doch reicht das nicht, um das zunehmende Auftragsvo­lumen zügig abzuwickel­n. Der Bau eines Mehrfamili­enhauses dauert mittlerwei­le bis zu drei Jahre. »Die Beschäftig­ung von Bauarbeite­rn aus dem Ausland kann die Engpässe kurzfristi­g nur unvollkomm­en beheben«, warnen Analysten. Und jene Beschäftig­ung geht zudem auf Kosten der Entsendelä­nder. Denn auch in Polen, Rumänien und Bulgarien wächst die Nachfrage nach Bauhandwer­kern.

Schuld an der Kluft zwischen Genehmigun­gen und tatsächlic­hem Geschehen sind Investoren, die Baugenehmi­gungen »auf Vorrat« einholen.

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