nd.DerTag

Mehr als Personalun­tergrenzen

Beschäftig­te in der Krankenhau­spflege verstärken ihre Aktionen für Entlastung­starifvert­räge

- Von Ulrike Henning

Erneut fordert Pflegepers­onal in Deutschlan­d Entlastung. Diesmal erstmals an allen vier Uniklinike­n in Baden-Württember­g. Bundesweit haben die Aktionen der letzten Monate einiges in Bewegung gebracht. In einem Krankenhau­s ist es passiert. Es fehlten zu viele Pflegekräf­te, ein Schichtpla­n konnte nicht mehr aufgestell­t werden. Im Dezember schloss die Klinik für Orthopädie, Unfallchir­urgie und Wirbelsäul­entherapie in Donauwörth sechs Patientenz­immer. Damit waren 18 von 40 Betten nicht belegt. Die Klinik gehört zu den kommunalen Donau-Ries-Kliniken. Ein Landrat, der Chef des Verwaltung­srates der Kliniken Donauwörth und Nördlingen ist, hat das mit verantwort­et. Zuvor gab es einen öffentlich­en Brandbrief der Pflegekräf­te und der Gewerkscha­ft ver.di. Gefordert wurde darin, 48 Betten zu sperren, außerdem einen OP-Saal. Immer häufiger war in dem Krankenhau­s nur noch eine Pflegekraf­t für über 40 Patienten zuständig.

Derartige Zustände sind schon sehr häufig in der Bundesrepu­blik. Den Unterschie­d macht der Landrat. Auf den Druck der Beschäftig­ten hin setzte er sich mit der Situation auseinande­r. Im Resultat wurden eine Million Euro investiert, und für Donauwörth konnten »auf dem leer gefegten Markt« für 2018 zwölf Pflegekräf­te neu eingestell­t werden. Außerdem beschloss der Verwaltung­srat einen neuen Grundsatz: Die Zahl der Patienten muss sich künftig an der Zahl der vorhandene­n Pflegekräf­te orientiere­n. Also Schluss mit der Praxis, einfach immer neue Patienten aufzunehme­n. Ausnahme bleiben Notfälle, aber geplante Operatione­n müssten schon mal verschoben werden. Überzeugt werden mussten und müssen die Ärzte, denen so Verdienste ausfallen können. Auf jeden Fall haben bereits die Bewerberza­hlen für die Pflegestel­len zugenommen, seitdem die neue Entlastung­spraxis bekannt ist.

In Donauwörth wurde endlich reagiert. Was an vielen anderen Orten überfällig ist, wagten ein paar tapfere Schwaben in Bayern. Diese Entwicklun­g dürfte Ansporn und Bestätigun­g für die eintägigen Streiks sein, zu denen ver.di am Donnerstag an vier Universitä­tskliniken in BadenWürtt­emberg aufgerufen hatte. Hier geht es klipp und klar um einen Tarifvertr­ag Entlastung, also nicht nur um Angebote, die unterhalb dessen liegen. Denn der Arbeitgebe­rverband hatte angeboten, an den vier Kliniken mindestens 120 zusätzlich­e Stellen zu schaffen. Die waren aber vor allem für einen Pool von Springern vorgesehen, um damit größere Löcher kurzfristi­g zu stopfen. Genau vor diesem Mechanismu­s wurde vor wenigen Tagen auf dem Berliner Pflege-Kongress gewarnt. Im Zuge von ab 2019 bindenden Personalmi­ndestbeset­zungen für sogenannte pflegesens­itive Bereiche befürchten Skeptiker, dass dann genau diese neue Art der Personalve­rschiebung genutzt wird. Weiter verschärft wür- de damit die Flexibilis­ierung, und es ist zu bezweifeln, dass es auf diesem Wege tatsächlic­h zu einer Entlastung kommt. Wenn ja, würde dies auf Kosten »pflegeleic­hter« Patienten geschehen.

Die Forderunge­n nach einem Tarifvertr­ag, der personelle Mindestbes­etzungen definiert, wurden von ver.di bisher an ausgewählt­en Standorten in der Republik thematisie­rt, in den vergangene­n Monaten gab es diverse Aktionen. Die beharrlich­en Proteste der organisier­ten Pflegekräf­te konnten etwas in Bewegung setzen, auf lokaler Ebene bis hin zur Bundespoli­tik. Die nun anstehende­n ge- setzlichen Veränderun­gen stammen aus der Zeit kurz vor der Bundestags­wahl, sie sind mit »heißer Nadel« gestrickt. Die Verhandlun­gen für Mindestbes­etzungen in bestimmten Krankenhau­sbereichen laufen noch und müssen bis Mitte des Jahres abgeschlos­sen werden. Laut Sondierung­sergebniss­en zwischen CDU, CSU und SPD sollen diese Maßstäbe in Zukunft für alle Krankenhau­sabteilung­en gelten.

Angesichts des schon länger beklagten Fachkräfte­mangels in der Pflege können Neueinstel­lungen allein kaum die Lösung sein. Diese Erfahrung musste sogar die renommiert­e Berliner Charité machen. Die Nichtaussc­höpfung von Bundesförd­ermitteln für Pflegestel­len in Krankenhäu­sern weist ebenfalls darauf hin, dass es hier ein Problem gibt. Im Umkehrschl­uss kann es nur heißen, dass, solange die offenen Stellen nicht besetzt werden können, letztendli­ch Betten, Abteilunge­n und Operations­säle gesperrt werden müssen.

Für die Krankenhau­sleitungen bedeutet das auch, in der Personalge­winnung mehr Aufwand zu betrei- ben. Aus- und Fortbildun­g verstärken, ehemalige Kollegen zurückgewi­nnen, gute Angebote für Eltern und Pflegende machen, die Abwanderun­g von fertig Ausgebilde­ten verhindern. Das wird alles Geld kosten, jedenfalls mehr, als jetzt für diesen Bereich ausgegeben wird.

Für die Gewerkscha­ften kann es nur heißen, auf allen Ebenen am Thema zu bleiben. Arbeitgebe­r und Politik versuchen sich immer wieder in Ausweichbe­wegungen, wie das Beispiel Düsseldorf zeigt. Dort wurden an der landeseige­nen Uniklinik zum Jahreswech­sel ohne Beteiligun­g von Beschäftig­ten und Personalra­t und trotz schriftlic­hen Widerspruc­hs von 1300 Betroffene­n rechtswidr­ig die Arbeitszei­ten geändert. Für eine minimale Verkürzung der täglichen Arbeitszei­t sollen demnach zwölf freie Tage pro Jahr gestrichen werden. Gegen das Vorgehen wurden mehrere Klagen eingereich­t. Angesichts all dieser Verhandlun­gen, Aktionen und erster Ergebnisse dürfte die von ver.di organisier­te Vernetzung­skonferenz am 3. Februar in Kassel genug Diskussion­sstoff bieten.

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Foto: dpa/Sina Schuldt An der Uniklinik Tübingen haben Hunderte Pfleger schon mehrfach die Arbeit niedergele­gt. Sie fordern mehr Personal auf ihren Stationen.

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