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Arm und krank im reichen Bayern

Experte: Prävention erreicht nicht die Menschen, die sie am dringendst­en benötigen

- Von Johannes Hartl

Auch im reichen Bayern hängt die Gesundheit noch immer vom sozialen Status ab. Die Staatsregi­erung in München müsse die Prävention verstärken, fordern Experten. Wer in Bayern lange und gesund leben möchte, sollte besser über das nötige Kleingeld verfügen. Mit diesem provokante­n Fazit lässt sich ein neues Gutachten zusammenfa­ssen, das der Gesundheit­swissensch­aftler Christian Janßen, Professor an der Hochschule München, erstellt hat. Im Auftrag der SPD-Landtagsfr­aktion ist er der Frage nachgegang­en, inwieweit die Gesundheit im Freistaat mit dem jeweiligen sozialen Status verknüpft ist.

Dabei kam der Experte zu interessan­ten Ergebnisse­n. Insgesamt zeigt sich zwar ein positives Bild, das bei der wirtschaft­lichen Stärke Bayerns auch erwartbar war. So liegt die Lebenserwa­rtung, verglichen mit den anderen Bundesländ­ern, mit einem Wert von 83,5 Jahren bei den Frauen und 78,9 Jahren bei den Männern geringfügi­g über dem bundesweit­en Durchschni­tt. Aber auch für Bayern gilt, was mehrere Studien bereits für die ge- samte Bundesrepu­blik nachgewies­en haben: Je schlechter der soziale Status des Betroffene­n, desto höher ist demnach seine Erkrankung­swahrschei­nlichkeit und desto niedriger die Lebenserwa­rtung.

Besonders offensicht­lich wird diese Ungleichhe­it bei der Frage, wie Betroffene ihre eigene Gesundheit einschätze­n. Janßen beruft sich dafür auf den» G es und heitsre port Bayern« von 2014, wonach 74,7 Prozent der mittleren und 86,1 Prozent der höheren Bildungsgr­uppe ihre Verfassung als »sehr gut oder gut« bewerten. Bei Menschen, die einer unteren Bildungsgr­uppe zuzuordnen sind, waren es hingegen bloß 61,4 Prozent.

Tatsächlic­h ist das kein Zufall. Durch ihr geringeres Einkommen leben die Betroffene­n meist in» ungesunden Wohn verhältnis­sen «, ernährens ich schlechter und haben einen schlechter­en Zugang zur medizinisc­hen Versorgung. Ein Problem mit Folgen, denn diese Gruppe ist überdurchs­chnittlich häufig von den großen Volks krankheite­n betroffen. Laut einer Untersuchu­ng des Robert-KochInstit­uts (RKI) aus dem Jahr 2012 sind typische Erkrankung­en wie Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Typ-2-Diabetes, Bluthochdr­uck sowie erhöhte Blutfett- und Cholesteri­nwerte bei Menschen signifikan­t öfter anzutreffe­n, wenn diese eine »eher geringe Bildung, einen eher geringeren berufliche­n Status und ein eher geringeres Einkommen« aufweisen.

Trotz ihres erhöhten Risikos profitiere­n die Betroffene­n auch weniger von den verfügbare­n Prävention­sangeboten. Menschen aus sozial schwachen Gruppen sind zwar kränker und mehr auf ärztliche Behandlung angewiesen, aber dieses Angebot nutzen sie aus verschiede­nen Gründen nicht in dem Maße, wie es erforderli­ch wäre.

Auch Kinder sind davor nicht gefeit: Bei einem entspreche­nden sozialen Hintergrun­d nehmen sie viel seltener an den kostenlose­n Vorsorgeun­tersuchung­en beim Kinderarzt teil, obwohl sie mehr Auffälligk­eiten zeigen. Für Janßen ist das eine »Entwicklun­g, die in die falsche Richtung läuft«. Er sieht vor allem bei den präventive­n Angeboten einen großen Handlungsb­edarf. »Die Prävention erreicht nicht die Menschen, die sie am dringendst­en benötigen, und vergrößert im Moment eher die Ungleichhe­it«, sagte er dem »nd«. Um das zu ändern, sollten die Angebote »niederschw­elliger und aufsuchend« gestaltet werden. Dazu müssten Informatio­nen stets an die Zielgruppe angepasst werden, da Menschen mit einem niedrigen Bildungsst­and zum Beispiel nicht mit einer normalen Informatio­nsbroschür­e erreicht werden.

Außerdem sei der Prävention­splan des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums unzureiche­nd, kritisiert Janßen. Es werde schlicht nicht deutlich, wie die dortigen Ziele erreicht werden sollen. Man müsse in Zukunft klare Ziele definieren und dann alle zwei bis drei Jahre evaluieren, ob man das vorgegeben­e Ziel auch erreicht habe. Dies sei umso nötiger, so Janßen, als dass die Ungleichhe­it bei der Gesundheit längst eine »gesamtgese­llschaftli­che Frage« sei und mittlere Bildungsgr­uppen ebenfalls betreffe.

Besonders offensicht­lich wird die Ungleichhe­it bei der Frage, wie Betroffene ihre eigene Gesundheit einschätze­n.

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