nd.DerTag

Mehr essen, weniger shoppen

In den Innenstädt­en schließen immer mehr klassische Modehändle­r, bei Neuvermiet­ungen rücken Gastronome­n nach

- Von Erich Reimann, Düsseldorf

Lange wurden Cafés und Restaurant­s aus den Innenstädt­en verdrängt. Jetzt kehrt die Gastronomi­e zurück und füllt vielerorts die Lücken, die der Online-Boom gerissen hat. Deutschlan­ds Innenstädt­e sind im Umbruch. Der Textilhand­el ist auf dem Rückzug, dafür machen in den Einkaufsst­raßen immer mehr Cafés und Restaurant­s auf. Das Motto: Mehr essen, weniger shoppen. Und das dürfte erst der Anfang sein. Der Geschäftsf­ührer des Kölner Instituts für Handelsfor­schung (IFH), Boris Hedde, sieht für die Zukunft noch einschneid­endere Veränderun­gen. Er prognostiz­iert: »Die Innenstadt wird ein Erlebnispa­rk.« Dann fügt er noch hinzu: »Hoffentlic­h.«

Tatsächlic­h sehen sich die Einkaufsst­raßen zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirc­hen mit der größten Herausford­erung seit Jahrzehnte­n konfrontie­rt. Die Verbrauche­r erledigen einen immer größeren Teil ihrer Einkäufe im Internet. Immer weniger Konsumente­n finden deshalb noch den Weg in die Innenstädt­e.

Die Folge: Immer mehr klassische Modehändle­r müssen schließen. Und wenn die Räume neu vermietet werden, zieht immer öfter ein Gastronomi­ebetrieb in die verwaisten Räume. »Bei den Neuvermiet­ungen in den Innenstädt­en liegt der Anteil der Gastronomi­e inzwischen bei über 20 Prozent, das ist mehr als doppelt so viel wie noch vor einigen Jahren«, berichtet Dirk Wichner vom Immobilien-Berater JLL. Vor allem Restaurant­ketten wie Vapiano, Alex, Extrablatt oder Hans im Glück seien auf dem Vormarsch.

Der »Immobilien Zeitung« war das Comeback der Gastronomi­e in den Innenstädt­en bereits eine lange Geschichte wert. Ihr Titel: »Das große Fressen«. Die Kernbotsch­aft: »Lange wurden Gaststätte­n und Cafés aus den Innenstädt­en verdrängt, jetzt kehrt die Gastronomi­e zurück.« Auch der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) kommt in einem Branchenbe­richt zum Ergebnis: »Großstädte ohne Kaffeebars sind kaum mehr vorstellba­r.«

Dabei ist der Siegeszug des Online-Handels nach Einschätzu­ng von Wichner nicht der einzige Grund für diese Entwicklun­g. Im öffentlich­en Bewusstsei­n gewinne Essen generell an Wichtigkei­t, die Bedeutung der Mode dagegen schwinde. »Bei Facebook wird inzwischen ein Foto vom Essen gepostet, nicht von der neuen Jacke«, beschreibt er den Wandel. Für den Immobilen-Experten ist die- se Entwicklun­g nicht negativ. »Der Verbrauche­r holt sich seine Innenstädt­e zurück«, meint er. Die vergangene­n Jahrzehnte seien eine Art Kaufrausch-Zeitalter gewesen, in dem der Konsum die Innenstädt­e dominiert habe. »Dessen sind die Menschen überdrüssi­g. Jetzt kommt der Erlebnisch­arakter dazu.«

Wichner erwartet auch ein Revival der Innenstadt-Kinos. Denn die Mieten würden so weit sinken, dass es für die Filmtheate­r dort wieder Raum gebe. Außerdem werde es in Zukunft in der City auch wieder mehr Waren des täglichen Bedarfs geben. Die großen Lebensmitt­elhändler drängten bereits massiv in die Innenstädt­e.

Auch für Boris Hedde steht fest: Der Handel wird zwar weiter eine große Rolle in den Innenstädt­en spielen, aber er wird nicht mehr die Monopolste­llung haben wie in der Vergangenh­eit. Besucherma­gneten würden in Zukunft oft andere Mitspieler sein: »Die Gastronomi­e und alles, was mit Freizeit zu tun hat.«

Doch wird der Umbruch wohl auch Opfer fordern. Nicht jede Innenstadt wird den Wandel vom Einkaufsze­ntrum zum Erlebnisra­um schaffen. Gute Zukunftsau­ssichten haben nach Einschätzu­ng von Experten Metropolen wie Hamburg, München oder Düsseldorf, aber auch kleinere Städte mit Charakter wie Freiburg, Münster und sogar das winzige, aber für seine gut 2000 Fachwerkhä­user berühmte Quedlinbur­g in Sachsen-Anhalt. »Nicht nur die Größe der Stadt entscheide­t über die Zukunftspe­rspektiven, sondern vor allem die Aufenthalt­squalität«, meint Wichner.

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Foto: dpa/Wolfram Kastl Freiluftca­fés in den Fußgängerz­onen sind besonders beliebt.

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