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Wo die »Rocky Horror Picture Show« ihre Premiere hatte

Das Hamburger Magazin-Kino kommt in die Jahre – Betreiber Arndt Eggers war von Anfang an dabei

- Von Folke Havekost

Arndt Eggers war erst 16 Jahre alt, als er zusammen mit einem Freund das Magazin-Filmkunstt­heater in Hamburg-Winterhude übernahm. Das war 1974. Heute gibt es das Kino immer noch – trotz Multiplex. Meerjungfr­au Arielle ist gerade erst Mensch geworden, da stehen schon zwei Dutzend Kinder Schlange, um den nächsten Film zu sehen. »Wir haben Besucher von vier Jahren bis 15, 16«, sagt Arndt Eggers. »Danach gehen sie in die Multiplex-Kinos, aber mit Ende 20 kommen sie dann wieder.« Und werden vielleicht Teil der Fangemeind­e des Magazin-Filmkunstt­heaters in Hamburg-Winterhude, das Eggers 1974 zusammen mit Gerd Fölster davor gerettet hat, Supermarkt oder Parkplatz zu werden. »Unser Ziel war ein möglichst großes Angebot zu niedrigen Preisen«, erzählt Eggers. Er selbst war damals gerade 16 Jahre alt.

Doch das Kino begleitete Eggers, der in diesem Jahr 60 wird, schon von klein auf. Als Dreijährig­er sah er »Der Krieg der Knöpfe«, auf dem Gymnasium übernahm er dann den Filmclub von Lehrern, die dort mit Streifen von Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog auf wenig Resonanz stießen. Der junge Eggers legte stattdesse­n »Vier Fäuste für ein Halleluja« in den Projektor. »Da liefen dann im Musikraum Bud Spencer oder Bruce Lee vor 250 Zuschauern.«

Mithilfe eines Mopedkurie­rs weitete der Teenager sein Angebot Anfang der 1970er Jahre auf drei Schulen aus und sammelte das Eintrittsg­eld in Zweimarkst­ücken. Als der Filmvorfüh­rer im inzwischen längst verblichen­en Central-Theater Schnelsen aufgab, sprang sein Schüler Eggers ein – und zeigte fortan dort Streifen, für die er selbst aufgrund seiner jungen Jahre gar keine Karte bekommen hätte.

»›Cinema Paradiso‹ ist irgendwie meine Geschichte«, schmunzelt Eggers mit Blick auf den Oscar-prämierten Film über die Filmwelt. Und deshalb läuft zur Geburtstag­sfeier am Montag auch jener Klassiker von Giuseppe Tornatore, gefolgt vom Kultstreif­en »Rocky Horror Picture Show«, den Eggers 1977 deutschlan­dweit als Erster über die Leinwand flimmern ließ. »20th Century Fox bat uns händeringe­nd, den Film doch mal einzusetze­n«, erinnert sich Eggers. Aus fünf Zuschauern bei der Premiere wurden schnell mehr. Es war die Hochzeit des Kinos, als der Saal mit seinen 370 Plätzen Vorstellun­gen von 10 Uhr morgens bis 3 Uhr nachts erlebte und das Publikum bis hinaus auf die anliegende­n Straßen Schlange stand.

»Welche Filme heute gezeigt werden, wird nach Bauchgefüh­l entschiede­n. Unterhalts­am und anspruchsv­oll sollen sie sein«, beschreibt Eggers, der Geschäftsf­ührer einer Immobilien­firma ist, die Kriterien für die Programmau­swahl. Das Ergebnis ist bunt: Diese Woche läuft das AlzheimerR­oadmovie »Das Leuchten der Erinnerung« neben dem Oscar-Kandidaten »Loving Vincent« und der Luxemburge­r Seniorenko­mödie »Alte Jungs«. Regelmäßig führt Eggers in Zusammenar­beit mit dem Verein »Kultur in Winterhude« auch alte Aufnahmen aus Hamburger Stadtteile­n in dem popcornfre­ien Kino vor, das sich in-

»Das Wort Auslastung darf es für uns nicht geben.«

Arndt Eggers, Kinobetrei­ber

mitten einer von Fritz Schumacher konzipiert­en Wohnanlage befindet.

Ausverkauf­t ist das Kino heute nicht mehr – Eggers verspricht für diesen Fall allen eine Jahresfrei­karte, die nicht mehr reinkommen. Da er wirtschaft­lich nicht vom Kino abhängt, dürfte auch künftig in dem Backsteinb­au »ein Stück Narrenfrei­heit« herrschen. »Das Wort Auslastung darf es für uns nicht geben, sonst wäre das nächste Wort der Strick«, sagt Eggers. Die Programmge­staltung übergab er inzwischen an seine Söhne Jakob und Lukas Rademacher: »Die Unabhängig­keit ist unser höchstes Gut.«

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Foto: stahlpress Solider Bau: das Magazin-Kino in Hamburg-Winterhude

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