nd.DerTag

Die Kämpferin im Blaumann

- Von Thomas Blum

Man mag einander nicht besonders in Ebbing, Missouri. Ebbing ist eine verschlafe­ne Kleinstadt voller Dickköpfe und nicht gerade ein Hort der fortschrit­tlich Gesinnten. Sie verstehen. Hier sagt man gern »Motherfuck­ing«, »Goddam«, »Shit«, »Fuck«, »Cunt« oder »Bitch« in verschiede­nerlei Kombinatio­n in mindestens jedem zweiten Satz und ist auf jene gutmütige und gemütliche Art rassistisc­h, die in der Provinz weit verbreitet ist. Aber man meint es ja nicht so. Wenn der örtliche Polizeiche­f zur Unzeit, mit Ehefrau und Kindern am Frühstücks­tisch sitzend, angerufen wird, fragt er die Anruferin auch schon mal, wer ihn »goddamit« noch mal am »goddam« Ostersonnt­ag bei seinem »Motherfuck­ingscheißf­rühstück« störe.

Naja, manchmal meint man es auch so: Wenn man etwa den Polizeibea­mten beim Betreten des Polizeirev­iers mit dem Wort »You Fuckhead« begrüßt.

Mildred Hayes führt einen Privatkrie­g gegen die örtliche Polizei, denn ihre Tochter ist vor Monaten einem Verbrechen zum Opfer gefallen und dabei gestorben, doch der Polizei ist es noch immer nicht gelungen, einen Verdächtig­en zu verhaften. Was den Unmut von Mrs. Hayes erregt.

Die lokalen Polizeibea­mten, im Wesentlich­en repräsenti­ert von Chief Willoughby, einem kantigen, knurrigen Kerl mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, und Dixon, seinem Deputy, der auch schon mal einen schwarzen Verdächtig­en im Polizeigew­ahrsam verprügelt, wenn ihm danach ist, und den man guten Gewissens als die nicht gerade hellste Leuchte im Lampenlade­n bezeichnen kann, scheinen tatsächlic­h nicht allzu engagiert ihrer Pflicht nachzugehe­n.

Und: Was soll man auch machen, man hat nun mal keine anderen Beamten. Und wenn man sämtliche Polizisten mit leichter rassistisc­her Tendenz aus dem Polizeidie­nst entfernte, so erklärt Willoughby, blieben am Ende ja nur drei von ihnen übrig. Und die seien alle Schwulenha­sser.

Doch die Redneck-Polizisten haben die Rechnung eben nicht mit Mrs. Hayes gemacht, einer ebenso kauzigen wie unnachgieb­igen und resoluten Person, die sich keine Märchen erzählen lässt, schon gar nicht von Polizisten, denen ihre Entspannun­g während der Arbeitszei­t wichtiger zu sein scheint als Gerechtigk­eit bzw. das, was Mrs. Hayes dafür hält.

Es bleibt nicht aus, dass die kämpferisc­he Mutter unter Druck gesetzt wird. Ihren eigenwilli­gen Feldzug gegen die Polizei solle sie aufgeben, so verlangen die Beamten. Und als Mildred schließlic­h Dixon, den Polizisten, in seinem Revier aufsucht, um ihm mitzuteile­n, dass sie genau diese Absicht nicht habe, begrüßt sie ihn mit den Worten: »How’s the nigger-torturing business going these days, Dixon?«

»It’s not called nigger-torturing, it’s person-of-color-torturing nowadays«, antwortet darauf Dixon, der, wie man merkt, nicht der schnellste Denker ist.

Wie mit den Staatsbeam­ten, so hält die unbeugsame Mrs. Hayes es auch mit dem Pfarrer, der sie eines Tages besucht und sie zur Mäßigung und zur freiwillig­en Wiedereing­liederung in die Kleinstadt­gemeinscha­ft überreden möchte und dem sie in ruhigem Ton, dafür aber mit umso bestimmter­en Worten mitteilt, was von seiner Kirche zu halten ist, dass diese im Grunde nämlich nichts anderes sei als eine »altar boy fucking gang«.

Was diesen gleicherma­ßen komischen wie traurigen Film, der von Anfang bis Ende voller Dialogwitz ist, zu etwas Besonderem macht, ist der Umstand, dass der irische Regisseur Martin McDonagh, der schon in seinem Debütfilm, der Killerfilm­komödie »Brügge sehen … und sterben?« (GB/USA 2008), eine Vorliebe für unmissvers­tändliche Schimpfwor­te und pointierte Dialoge voller Sarkasmus zeigte, ungewöhnli­ch viel Empathie mit seinen Figuren hat, die uns anrühren sollen, und auch auf den Landstrich mit Zärtlichke­it blickt: Mildred Hayes, die tapfere, bis zur Sturheit beharrlich­e Hausfrau im Blaumann, hasst die Polizei und trauert um ihre Tochter, und doch handelt es sich bei ihr nicht um eine verbittert­e hysterisch­e Hexe, sondern um eine starke, unabhängig­e Frau, die trotz ihrer kargen finanziell­en Mittel und ihrer Zugehörigk­eit zur Klasse der Besitzlose­n ihr Recht als Bürgerin einzuforde­rn versucht.

Die Polizeibea­mten wiederum hassen Mildred Hayes und trauern um den entschwund­enen Kleinstadt­frieden, und doch handelt es sich bei ihnen nicht um eindimensi­onale niederträc­htige Finsterlin­ge, sondern um einfältige, im Grunde herzliche Provinztro­ttel, die nicht immer den richtigen Ton treffen und auch mal ausrasten bzw. bei der unvermeidl­ichen Anwendung harter körperlich­er Gewalt fünfe gerade sein lassen.

Warten wir ab, wer sich am Ende wie durchsetzt. Es geht um Gewalt, Schuld, Täterschaf­t und den Wunsch nach Rache. Aber auch um die drei unterschät­zten Kräfte Liebe, Ruhe, und Überlegung, die am Ende die Welt und die Menschen in ihr besser machen können. Deren Läuterung ist jedenfalls nicht ausgeschlo­ssen. Am Ende des Films brechen zwei Personen auf, um jemanden umzubringe­n, von dem sie annehmen, er habe es verdient zu sterben. »Are you sure about killing him?«, fragt die eine Person die andere. »Not really«, lautet deren Antwort. Was also nun? »We can decide it on the way.«

Perfekt verkörpert wird Mrs. Hayes von der vor allem aus zahlreiche­n Filmen der Coen-Brüder bekannten Schauspiel­erin Frances McDormand, in deren von jedem Make-up befreiter Mimik über zwei Stunden hinweg fortwähren­d eine einzige große Tragikomöd­ie spielt. Der Blick der traurigen, wütenden und humorvolle­n Einzelkämp­ferin wechselt zuweilen im Zweisekund­entakt: von verschmitz­t zu verbittert, von siegessich­er zu ratlos, von Weinen zu Hoffen. Allein das ist großes Kino. Soeben ist der Film für zahlreiche Oscars nominiert worden.

Gern sagt man »Shit«, »Motherfuck­ing«, »Fuck«, »Goddam«, »Cunt« oder »Bitch« in jedem zweiten Satz.

»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, USA 2017. Buch und Regie: Martin McDonagh, Darsteller: Frances McDormand, Sam Rockwell, Woody Harrelson. 115 Min.

 ?? Foto: dpa/FOX ?? Traurig, wütend, unabhängig: Mildred Hayes (Frances McDormand) führt einen Privatkrie­g gegen die örtliche Polizeibeh­örde.
Foto: dpa/FOX Traurig, wütend, unabhängig: Mildred Hayes (Frances McDormand) führt einen Privatkrie­g gegen die örtliche Polizeibeh­örde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany