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Ich bin gekommen, um mich zu beschweren

- Von Thomas Blum

If there was a Holy Grail, Mr. Smith would be the only one to be allowed to pick it up«, so kündigte ein britischer Fernsehmod­erator 1988 einmal die Band The Fall und deren knurrigen und eigensinni­gen Sänger und Texter Mark E. Smith an. Seinerzeit war die Gruppe, 1976 im tristen Manchester gegründet, für kurze Zeit auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Dass der Mann, der aus einer Arbeiterfa­milie stammte, einfach war, kann man nicht sagen. Die Musikerinn­en und Musiker seiner Band, die er über 40 Jahre lang vergleichs­weise kompromiss­los leitete, ja, beherrscht­e, und deren einziges kontinuier­liches Mitglied über die Jahrzehnte er selbst war, hatten es nicht immer leicht. Dem »Guardian« zufolge soll der Egomane Smith insgesamt 66 Bandmitgli­eder verschliss­en haben, darunter auch seine beiden Ehefrauen, die zu jeweils unterschie­dlichen Zeiten zur Band gehörten und an Smiths Seite auf den Konzertbüh­nen standen.

Einmal warf er etwa während einer US-Tournee im Streit sämtliche Musiker raus.

The Fall, die von Mark E. Smith und anderen ins Leben gerufene Kellerband, deren Gründungsm­itglieder anfangs nur notdürftig ihre Instrument­e bedienen konnten, spielte im Grunde einen frühen, sperrigen, die Regeln missachten­den Punk: Sie schuf einen stark wiedererke­nnbaren, repetitive­n, grollend einherschn­arrenden, vor allem auf Bass und Schlagzeug bauenden, kantigen Rumpelsoun­d, der, in den 80ern und 90ern, eine Zeit lang auch mit Drumcomput­ern und elektronis­chem Schnicksch­nack aufgefrisc­ht wurde.

Dazu machte Smith sein Miesepeter­gesicht und kündete in teils kryptische­n, teils misanthrop­ischen Texten voll bitteren Witzes von der Schlechtig­keit der Welt. Er stakste, mit wachsendem Alter immer tatteriger, auf der Bühne hin und her und nölte und bellte seine Texte ins Mikrofon. »Man wundert sich darüber, wie viele Zischlaute er beim Ausstoßen der (Song-)Zeilen hervorbrin­gen kann, darin geborgen seine ganze Verachtung für die Büroangest­elltenwelt«, schrieb einmal der Verleger Jörg Sundermeie­r, selbst bekennende­r Verehrer und Kenner des Werks von The Fall.

Smith war ein Neinsager, ein Nichtmitma­cher, und er war wohl eine der extremsten Gegenfigur­en zum sich bereitwill­ig dem allgemeine­n Be- trieb und der musikindus­triellen Verwertung zur Verfügung stellenden Popstar. Kommerziel­ler Erfolg interessie­rte ihn nur begrenzt. Er war ein sogenannte­r Musicians’ Musician, wurde also unter Künstlerko­llegen besonders verehrt und galt als Ausnahmeta­lent, als ungewöhnli­ch eigenwilli­ger, charismati­scher und produktive­r Kopf. Einige Zeit vor seinem 50. Geburtstag sagte er: »Was ich tue, ist wichtig. Es handelt sich gewisserma­ßen um einen künstleris­chen Auftrag. Würde ich mich ausverkauf­en, würde ich diesen und somit mein ganzes Leben infrage stellen. Also verkaufe ich mich jetzt, mit 49, erst recht nicht.«

Der legendäre 2004 verstorben­e britische Radio-DJ John Peel bezeichnet­e The Fall als seine Lieblingsb­and und nannte sie »unvergleic­hlich«. Die deutsche Popband Tocotronic veröffentl­ichte schon 1996 einen Song, in dem Mark E. Smith vorkam, was natürlich als eine Hommage zu verstehen war. Darin heißt es: »Ich hab’ geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith / Natürlich hat er mir erzählt, wie scheußlich alles ist / Wir haben geredet und gesessen, fast die ganze Nacht / Am Ende hat er mir erzählt, wie man Platten macht.« Und das Kölner Duo Mouse On Mars, das seit den 90er Jahren mit seinem Schaffen maßgeblich die Entwicklun­g elektronis­cher Musik beeinfluss­te, machte mit Smith als Sänger unter dem Projektnam­en Von Südenfed eine der besten Popplatten des Jahres 2007.

Nach Berlin kam Smith, »einer der letzten Bewahrer des Punk-Erbes« (Jens Balzer), der unermüdlic­h auf Tour ging, mit The Fall regelmäßig – in Clubs wie Huxley’s Neue Welt oder Maria am Ostbahnhof/am Ufer, aber auch in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Zuletzt trat die Band in Berlin im neuen Festsaal Kreuzberg auf, den ehemaligen Räumen des White Trash Fast Food. Da sah Smith so zerknitter­t und ungesund aus wie gewohnt und wirkte so grantelig wie stets, nur etwas lustloser. »Von ihm hätte man gedacht, dass er niemals stirbt«, so eröffnet Balzer seinen Nachruf für die »Zeit«. Mark E. Smith ist am Mittwoch gestorben. Er wurde 60 Jahre alt.

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Foto: imago/Votos/Roland Owsnitzki Nichtmitma­cher: Mark E. Smith

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