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Wenige Robenträge­r blieben anständig

- Von Volkmar Schöneburg

Revolution­en und Konterrevo­lutionen richten sich nicht von ungefähr oft auch gegen den alten Juristenst­and. Denn Recht und Rechtsanwe­ndung gehören zu den Steuerungs­instrument­en des Staates und sind ohne die Kategorien von Macht und Herrschaft nicht zu denken. Marx nannte die Richter und Staatsanwä­lte die verbissens­ten und fanatischs­ten Verteidige­r der alten Ordnung.

Bei der Machtübern­ahme der Nazis 1933 war das jedoch nicht der Fall. Das lag vor allem daran, dass die obrigkeits­staatlich geprägte Justiz der Weimarer Republik überwiegen­d ablehnend gegenübers­tand. Sie trug sogar zu ihrer Destabilis­ierung bei und ebnete den Faschisten den Weg an die Macht mit. Beispiele dafür sind die Nichtverfo­lgung der politische­n Morde von rechts, die Emil Julius Gumbel (»Vier Jahre politische­r Mord«, 1922) dokumentie­rt hat, der skandalöse Hochverrat­sprozess gegen Hitler 1924 oder die Anwendung des Republiksc­hutzgesetz­es, welches zwar mit dem Ruf »Der Feind steht rechts« (Reichskanz­ler Joseph Wirth) 1922 verabschie­det, aber in der Folge exzessiv zur Unterdrück­ung der Linken angewandt wurde. Die Mehrheit der Justizjuri­sten legte, wie es Gustav Radbruch ausdrückte, die Weimarer Verfassung und die neuen Gesetze aus wie der Teufel die Bibel.

Rund 50 000 Todesurtei­le hatte die Justiz während der braunen Diktatur zu verantwort­en. Sie war nach Ralph Giordano der Mantel über allen NS-Massen- und Ausrottung­sverbreche­n. Die Wenigen, die eine Kontraposi­tion aus politische­r Überzeugun­g vertraten, wurden, wie der damalige Amtsrichte­r und spätere Hessische Generalsta­atsanwalt Fritz Bauer, mit Beginn der Naziherrsc­haft interniert, verhaftet oder ausgebürge­rt. Jüdische Richter wurden mit dem »Gesetz über die Wiederhers­tellung des Berufsbeam­tentums« (1933) aus der Justiz vertrieben.

Und trotzdem gab es widerständ­iges Verhalten, ja, Widerstand von Richtern und Staatsanwä­lten während des zwölfjähri­gen Staatsterr­orismus. Man muss ihn jedoch unter den damals 13 000 Richtern und 2000 Staatsanwä­lten mit der Lupe suchen. Dem haben sich die 14 Autoren des Sammelband­es mit ihren 17 Porträts von Justizjuri­sten, die im »Dritten Reich« Courage bewiesen haben, erfolgreic­h unterzogen. Der Titel ist eine Anlehnung an das 1987 erschienen­e Buch »Furchtbare Juristen«, in dem Ingo Müller die Bedeutung der Justiz für die NS-Diktatur analysiert und den »Großen Frieden« der BRD mit den Mördern in den Roben skandalisi­ert. Müller, der für den hier anzuzeigen­den Band die Lebensbild­er zweier bayerische­r Staatsanwä­lte nebst einem Nachwort beisteuert­e, hatte in seinen »Furchtbare­n Juristen« lediglich ein Beispiel richterlic­hen Widerstand­s entdeckt: den Brandenbur­ger Amtsrichte­r Lothar Kreyßig, dem auch ein Kapitel im hiesigen Sammelband gewidmet ist. Kreyßig bezeichnet­e die Euthanasie- »Aktion T4« als das, was sie nach dem geltenden Strafgeset­zbuch war: Mord. Konsequent stellte er Strafanzei­ge. Dafür wurde er in den Ruhestand versetzt.

Die Unangepass­theit besaß unterschie­dlichste Facetten: Da traten Richter der faktischen Entrechtun­g der jüdischen Mitbürger entgegen, indem die Zwangsräum­ung einer durch einen SA-Arzt besetzten jüdischen Praxis angeordnet wurde, SASchergen zum Schadeners­atz gegenüber einem jüdischen Metzger verurteilt wurden oder jüdischen Mietern rechtliche­r Schutz gegenüber der »arischen Hausgemein­schaft« gewährt wurde. Da widersprac­h ein Richter offen Roland Freisler, dem späteren Präsidente­n des Volksgeric­htshofes, da dessen Auffassung zur Gesetzlosi­gkeit führe. Andere wiederum nahmen das Legalitäts­prinzip ernst und ermittelte­n gegen die ers- ten SA-Mörder im KZ Dachau, sahen die Schutzhaft als rechtswidr­ig an oder weigerten sich, die »Röhm-Morde« (1934) als Staatsnotw­ehr einzustufe­n. Ein weiteres Beispiel ist die Verweigeru­ng des Treueeids auf Hitler. Manchmal wurde die Hauptverha­ndlung auch nicht mit dem vorgeschri­ebenen »Hitlergruß« eröffnet. Die Konsequenz­en waren Gehaltskür­zungen, Versetzung­en, Minderunge­n der Karrierech­ancen, Zwangspens­ionierunge­n. Existenzbe­drohend war das nicht. Damit räumt das Buch auch mit der Selbstlegi­timation der Nazirichte­r nach 1945 auf, widerständ­iges Wirken wäre für sie lebensbedr­ohlich gewesen.

Anders verhielt es sich bei den hier porträtier­ten Juristen, die sich außerhalb ihrer juristisch­en Tätigkeit dem aktiven Widerstand (meist um die Attentäter des 20. Juli 1944) anschlosse­n. Sie wurden zum Tode verurteilt, im KZ ermordet oder verbüßten Haftstrafe­n. Viele dachten deutschnat­ional und waren freiwillig im Ersten Weltkrieg. Liberale oder linksliber­ale Auffassung­en waren die Ausnahme. Sie standen ein für richterlic­he Unabhängig­keit und für das formale Rechtsstaa­tsprinzip. Gerade das Insistiere­n auf die Rechtsnorm war gegenüber der nun gängigen Auslegung nach dem »gesunden Volksempfi­nden« schon ein Stück weit resistent. Das wiederum widerlegt die von der Justiz dankend aufgenomme­ne These Radbruchs, dass der Positivism­us die Juristen gegenüber dem Regime wehrlos gemacht habe. Der Sammelband ist hingegen ein Plädoyer dafür, dem jeweiligen Konformitä­tsdruck mutig zu widerstehe­n und sich einer hemmungslo­sen politische­n Instrument­alisierung des Rechts zu widersetze­n.

Anerkennen­swert ist, dass Bundesjust­izminister Heiko Maas das Projekt förderte. Noch verdienstv­oller wäre es gewesen, wenn er zudem die 2014 vollmundig angekündig­te Reform des Mordparagr­afen von 1941, der auf der NS-Tätertypen­lehre basiert, in die Tat umgesetzt hätte.

Heiko Maas (Hg.): Furchtlose Juristen. Richter und Staatsanwä­lte gegen das NS-Unrecht. Verlag C.H.Beck, 331 S., geb., 29,80 €.

50 000 Todesurtei­le hatte die Justiz in der braunen Diktatur zu verantwort­en.

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Foto: dpa »Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen«, Primo Levy

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