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Es ging ihm um »Reinhaltun­g«

- Von Christophe­r Wimmer

Wenn Philosophe­n eine Biografie schreiben, steckt wohl mehr dahinter als das reine Interesse an der Lebensgesc­hichte eines Menschen. So verhält es sich auch bei dem Buch »Weil ich nun mal ein Gerechtigk­eitsfanati­ker bin«. Die Wienerin Herlinde PauerStude­r hat es zusammen mit ihrem New Yorker Kollegen J. David Velleman verfasst. Es erschien 2015 in Englisch. Die erweiterte deutsche Ausgabe ist von einem rechtstheo­retischen Exkurs eingerahmt. Gestützt auf Berichte und Briefe des Protagonis­ten Konrad Morgen (1909– 1982) sowie auf seine Aussagen im Nürnberger Tribunal und beim Frankfurte­r Auschwitz-Prozess, wird die Karriere eines SS-Richters nachgezeic­hnet.

Die Gründe für seinen Eintritt in die NSDAP und SS seien, behauptete Morgen später, »rein opportunis­tischer Natur« gewesen. Jedoch hat er sich früh mit Hitlers Diktatur arrangiert. Im Herbst 1940 kam er zur SS-Gerichtsba­rkeit, drei Jahre später wurde er mit der Untersuchu­ng von Korruption in Konzentrat­ionslagern beauftragt. Aufgrund seiner Ermittlung­en wurde beispielsw­eise der Kommandant von Buchenwald, Karl Otto Koch, zum Tode verurteilt.

Morgen war ein ambivalent­er Täter. Er ermittelte zwar gegen hochrangig­e Nazis, jedoch nicht etwa wegen deren Verbrechen wider die Menschlich­keit.

Das Buch versucht zu eruieren, inwieweit Morgen moralische Grundsätze leiteten oder ob er lediglich NS-Recht vertreten habe. Eine eindeutige Antwort wird auf diese Frage nicht gegeben, kann es vielleicht auch nicht geben. Das Autorenduo verweist darauf, dass Morgen bereits 1942, vor seiner Versetzung nach Osten, von Gräueltate­n und Massenmord­en in den NS-Lagern gewusst haben muss. Nachgewies­en wird, dass er sich dem Wertekanon der SS verpflicht­et fühlte. Es ging ihm um die »Reinhaltun­g« der eigenen Reihen. Seine Loyalität galt einer vermeintli­ch »idealen SS«, einer Elitetrupp­e, die auf die Tugenden Ehrlichkei­t, Anständigk­eit und Treue eingeschwo­ren sei.

Anderersei­ts zeigen Pauer-Studer und Velleman, dass Morgen mit seinem Vorgehen gegen höhere SS-Offiziere teilweise hohe Risiken ein. Er verstand sein Amt als »moralische­n« Auftrag, der Korruption Einhalt zu gebieten. Seine Selbstbesc­hreibung als Gerechtigk­eitsfanati­ker offenbart die ganze Widersprüc­hlichkeit. Er hat das NS-Recht wie die politisch-rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen der Hitlerdikt­atur nie ernsthaft hinterfrag­t.

Im rechtstheo­retischen Teil des Buches wird Morgen als ein Vertreter des Übergangs vom bürgerlich­en zum faschistis­chen Recht beschriebe­n. Im NS-Staat trat ein »Willensstr­afrecht« an die Stelle des tatgebunde­nen liberalen Strafrecht­s. Im Mittelpunk­t standen nun der »böse Wille« und die Täterpersö­nlichkeit. Diese Vorgaben prägten auch Morgen. So publiziert­e er selbst einen Aufsatz zum Typus des »Korruption­sverbreche­rs«, in dem von gewissen Tätertypol­ogien auf die Bereitscha­ft zu Verbrechen geschlosse­n wurde.

Die Frage bleibt: Kann man gerecht sein in einem ungerechte­n System? Welche Rolle spielt Moral in einem unmoralisc­hen Umfeld? Das Autorenduo hütet sich vor einem abschließe­nden Urteil. Das ist schade, auch stößt man sich an der relativ kritiklose­n Hinnahme von Morgens Beschreibu­ng der SS in diesem Buch. Man ist zudem irritiert, wenn man hier von »verbrecher­ischen Auswüchsen« des Nationalso­zialismus liest. Das dürfte wohl eine verharmlos­ende Wertung sein.

Ehrlichkei­t und Anständigk­eit?

Herlinde Pauer-Studer/J. David Velleman: »Weil ich nun mal ein Gerechtigk­eitsfanati­ker bin«. Der Fall des SSRichters Konrad Morgen. Suhrkamp, 349 S., geb., 26 €.

Am Dienstag, dem 30. Januar, findet in der Topographi­e des Terrors in Berlin eine Podiumsdis­kussion zwischen der Buchautori­n Herlinde Pauer-Studer und Werner Konitzer statt (19 Uhr, Eintritt frei).

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