nd.DerTag

Der Enkel eines Rabbi

- Von Harald Loch

Aus solchen Bausteinen setzt sich das große geschichtl­iche Mosaik zusammen, entstehen Erzählunge­n über Epochen. Der am Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung der TU Berlin lehrende Historiker Manfred Gailus hat eine Biografie über Friedrich Weißler vorgelegt. Der 1933 aus dem Justizappa­rat gedrängte Landgerich­tsdirektor gehörte zu den »nichtarisc­hen« Christen der Bekennende­n Kirche, der von Dietrich Bonhoeffer und Martin Niemöller gegründete­n Opposition­sbewegung gegen Gleichscha­ltung. Weißler entstammte einer jüdischen Familie, wurde getauft und heiratete die Tochter eines evangelisc­hen Pastors.

Vorbildlic­h fächert Gailus die Familienge­schichte auf. Er beschreibt den »reichsweit« bekannten Notar Adolf Weißler, den Vater seines biografisc­hen Helden, als einen bürgerlich assimilier­ten Juden, zugleich als einen patriotisc­hen Deutschen, der am Tage der Unterzeich­nung des Versailler Vertrages 1919 wegen der »Schmach« seines deutschen Vaterlande­s freiwillig aus dem Leben schied. Der jüngste, 1891 geborene Sohn Friedrich folgte ihm beruflich, schlug die Richterlau­fbahn erfolgreic­h ein und wurde noch Anfang 1933 in Magdeburg zum Landgerich­tsdirektor befördert. Auch er war in der Fachwelt »reichsweit« durch wissenscha­ftliche Veröffentl­ichungen bekannt. Als er kurz nach der Machtergre­ifung der Nazis einen in Uniform vor Gericht erscheinen­den SA- Mann mit einer Ordnungsst­rafe belegte, wurde er entlassen.

Mit seiner inzwischen um zwei Söhne gewachsene­n Familie zog Weißler nach Berlin, wo er eine Arbeit als Honorarkra­ft im Büro der Bekennende­n Kirche erhielt. Er war dort 1936 in eine Indiskreti­on verwickelt, in deren Verlauf ein an Hitler gerichtete­s, vertraulic­hes Schreiben an die internatio­nale Presse gelangte. Im Zuge der von der Bekennende­n Kirche selbst eingeleite­ten und von der Gestapo aufgegriff­enen Ermittlung­en verhaftet, kam er ins KZ Sachsenhau­sen, wo er im Februar 1937 zu Tode geprügelt wurde. Die Täter wurden übrigens damals noch strafrecht­lich zur Rechenscha­ft gezogen – ein interessan­tes Detail der Justizgesc­hichte im »Dritten Reich«.

So weit die Biografie. Der Anspruch von Gailus geht darüber hinaus. Deutschnat­ionaler Patriotism­us einer assimilier­ten jüdischen Familie ist selten so eindrucksv­oll beschriebe­n worden wie von ihm. Wie konnte Adolf Weißler, Sohn eines Rabbiners, sein Leben derart konsequent mit deutschem Waffensieg verknüpfen? Und der Enkel des Rabbis wiederum trat der konservati­ven Deutschnat­ionalen Volksparte­i nur deshalb nicht bei, weil er dort antisemiti­sche Einstellun­gen registrier­te. Zudem glaubte er, auch unter Hitler dem Recht Genüge tun zu können.

Manfred Gailus: Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennende­r Christ im Widerstand gegen Hitler. Vandenhoec­k & Ruprecht, 316 S., geb., 30 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany