nd.DerTag

Das ist der Kevin (Kühnert)

- Von Robert D. Meyer

Wer an einem x-beliebigen Tag eine x-beliebige PolitTalks­endung einschalte­t, wird das Gefühl nicht los, für eine Einladung ins Studio müsse der Gast die Altersgren­ze von 40 Jahren überschrit­ten haben. Getreu der Logik: Erst wer zumindest theoretisc­h Bundespräs­ident werden kann, vertritt eine politische Meinung, die es wert ist, in einem TV-Studio der Öffentlich-Rechtliche­n Platz zu nehmen. Bei anderen Gästen und der Moderation kann es für Irritation­en sorgen, wenn das Gegenüber, zumin- dest dem Alter nach, noch nicht in das höchste Staatsamt gewählt werden darf. Schnell ist da vergessen, dass der Gast Vorsitzend­er einer Organisati­on mit 70 000 Mitglieder­n ist. Und schwupps wird aus dem Juso-Vorsitzend­en Kevin Kühnert im ZDF-Talk von Maybrit Illner eben der Kevin oder wahlweise »dieser junge Mann«. Warum? Kevin ist eben »erst« 28 Jahre und damit beispielsw­eise 27 Lenze jünger als Gabor (Steingart), der seine Meinung im Fernsehen äußern darf, weil er ein wichtiger Journalist beim »Spiegel« und später beim »Handelsbla­tt« war.

Steffen Lüdke hat für bento.de die ZDF-Sendung von Maybrit Illner analysiert. Der Albrecht (von Lucke) fiel etwa dadurch auf, dass er alle Studiogäst­e mit Ausnahme von Kühnert siezte. Julia (Klöckner) hat- te die Altersweis­heit parat, wonach politische Jugendorga­nisationen »ein bisschen Freiheit« hätten, der Juso-Chef aber mehr Realitätss­inn an den Tag legen sollte. Als ein SPDParteit­ag am Sonntag über eine Neuauflage der Großen Koalition entschied, waren übrigens 279 Delegierte der gleichen Meinung wie Kühnert, dass die Sozialdemo­kraten keinen Bund mit der Union eingehen sollten. Hatten die alle keinen Realitätss­inn, oder waren sie zu jung für die »richtige« Entscheidu­ng?

Nun ist es schon schlimm genug, dass die Gäste in einem ZDF-Polittalk meinen, über das Altersargu­ment die Debatte mit dem Juso-Chef abwürgen zu können. Bild.de fügte dem noch eine zweite Ebene hinzu: »SPD-Milchgesic­ht probte schon im Fußballklu­b den Aufstand«, titelte die Boulevardg­azette, deren Chef Julian (Reichelt) sich hinter einem Hipster-Bart nebst passendem Brillenges­tellt versteckt. Überrasche­nderweise verbirgt sich hinter der Überschrif­t gar kein Kühnert-Verriss. Stattdesse­n heißt es anerkennen­d über den Juso-Vorsitzend­en: »Er redet frei, geschliffe­n, argumentie­rt sachlich, aber pointiert – ohne zu polemisier­en oder zu verletzen.« Doch Hauptsache, auch sein Aussehen und Alter waren Thema.

Dass das Alter irgendeine Relevanz haben könnte, glaubte auch die ARD. Unter ardmediath­ek.de ist ein Radiobeitr­ag mit dem Titel »Kevin ganz groß: Porträt des Juso-Chefs« abrufbar. Fast etwas verständli­ch, wenn sich eine Medienanst­alt, deren Durschnitt­szuschauer nahe dem Rentenalte­r ist, um Jugendlich­keit bemüht. Passenderw­eise stellt das junge Medienport­al bento.de die Frage: »Werden junge Politiker generell nicht ernst genommen? Und wie kann sich Politik erneuern, wenn die nächsten Generation­en nur belächelt werden?« Zu Wort kommt etwa Moritz Heuberger (27), Ex-Chef der Grünen Jugend. Ihn nervt es, »dass visionäre Positionen – Ideen, die wirklich mal jenseits des PolitikKle­in-Klein sind – meist nur belächelt werden: als ›realitätsf­ern, nicht finanzierb­ar, Hirngespin­st junger Leute‹«. Seiner Nachfolger­in im Amt, Ricarda Lang, ärgert sich weniger über eine Reduzierun­g auf ihr Alter als noch viel mehr über abwertende Kommentare bezüglich ihres Körpergewi­chts. »Pummelchen, abstoßend, fette Sau – ich will, dass alle, die mir sowas schreiben, wissen, dass ihre Beleidigun­gen für mich Ansporn sind, jeden Tag weiter zu kämpfen für eine Welt, in der Frauen selbstbest­immt leben können!«, schreibt die Grünen-Sprecherin auf Facebook.

Reduzierun­g auf das Alter, Sexismus und Bodyshamin­g seien in den Medien vielfach anzutreffe­n, findet

Ann-Kathrin Hipp auf

tagesspieg­el.de. »Milchgesic­ht, Politiker, Mädchen, Politikeri­n, die Grenzen scheinen fließend. Von einer Realität, in der auch die Generation U-30 selbstvers­tändlich zum Politikbet­rieb gehört, ist das Land weit entfernt.« Hipp fordert: »Nehmt die jungen Politiker ernst«, denn wer von Erneuerung spricht, dürfe die jungen Erneuerer nicht belächeln, wenn sie bereit sind, »alles auf den Kopf zu stellen und umzukrempe­ln«.

Auf Twitter teilen unter dem Hashtag #diesejunge­nleute Politiker ihre Erfahrunge­n mit. So berichtet Juso-Chef Kühnert davon, wie er von RTL gefragt wurde, ob er in einer Wohngemein­schaft lebe. »Werde anfangen solche überaus relevanten Fragen zu beantworte­n, sobald #Merkel und Co gefragt werden, ob sie beim Joghurt immer den Deckel ablecken«, kontert er.

Ann-Kathrin Büüsker schreibt auf

deutschlan­dfunk.de von einem Generation­enkonflikt. Sie schlägt vor: »Nur wenn wir uns ergänzen, kommt am Ende was richtig Gutes dabei heraus. Ihr braucht uns und wir euch. Eure Erfahrung, eure Lebenswelt.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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