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Krachend gescheiter­t

Nach dem EM-Aus der Handballer will der Verband am Bundestrai­ner festhalten. Sicher ist das aber keineswegs

- Von Michael Wilkening, Varazdin

Sie wollten die Bevölkerun­g begeistern, doch dieses Ziel verfehlten die deutschen Handballer bei der EM in Kroatien klar. Platz neun sorgte für Enttäuschu­ng in der Mannschaft und eine Denkpause beim DHB. Am Tag danach machte sich der Tross der Niedergesc­hlagenen um neun Uhr auf in Richtung des Flughafens von Zagreb. Dort trennten sich die Wege der deutschen Handballer, in alle Richtungen entschwebt­en die Männer, die eigentlich an diesem Freitag in Kroatiens Hauptstadt das Halbfinale der Europameis­terschaft bestreiten wollten. Eine desolate zweite Halbzeit beim 27:31 gegen Spanien zerstörte diesen Traum. Am Ende einer enttäusche­nd verlaufene­n EM stand der neunte Platz für den Titelverte­idiger.

»Mit einer solchen Bilanz ist es nicht so, dass wir überpositi­v nach vorne gucken können«, erklärte Finn Lemke. Der Abwehrchef war wie seine Kollegen tief enttäuscht. Als die Partie gegen die Iberer am späten Mittwochab­end endlich ihr Ende gefunden hatte, war jegliche Freude aus den Gesichtern gewichen, die Fassungslo­sigkeit greifbar. Diese Europameis­terschaft mit einigen Nebengeräu­schen hatte ein passendes Ende gefunden. Bei einem 0:8-Lauf vom 15:15 zum 15:23 taumelten die deutschen Spieler nicht nur, sie fielen ungebremst zu Boden. »Wir haben sie eingeladen«, sagte Silvio Heinevette­r. Sie – das war ein spanisches Team, das ordentlich spielte, das gut vorbereite­t war, aber keines, das unschlagba­r war. »Wir sind nach einem katastroph­alen Turnier ausgeschie­den. Das war die schlechtes­te Leistung, seit ich dabei bin«, sagte der Kieler Torwart Andreas Wolff.

Noch in der Nacht hätten Akteure und Offizielle zusammenge­sessen, ließ Kai Häfner am Donnerstag wissen, jetzt brauche aber jeder erst einmal Zeit für sich und die Analyse. Uwe Gensheimer, Kapitän der Mannschaft, war kurz angebunden und schloss sein Statement mit dem Satz: »Die Mannschaft wird an diesem Rückschlag nicht zerbrechen.« Gensheimer hatte unmittelba­r nach der Begegnung gegen Spanien keine Interviews führen wollen. Und auch direkt vor der Rückreise sah der Linksaußen noch mitgenomme­n aus.

Da ging es dem Kapitän nichts anders als den Kollegen. Auch Bob Hanning hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Der Vizepräsid­ent des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) muss die Gesamtentw­icklung im Auge behalten, darf sich nicht von einem verworfene­n Siebenmete­r oder Formschwan­kungen einzelner Akteure beeinfluss­en lassen. Hanning muss tiefer blicken.

Weil für die kommenden Jahre große Ziele ausgerufen worden sind, musste Hanning nun erst mal eine genaue Analyse des Zustands der Nationalma­nnschaft ankündigen. Im kommenden Jahr bei der Weltmeiste­rschaft im eigenen Land werden die Erwartunge­n nicht geringer, der Druck nicht kleiner sein. Ein Jahr später soll der Olympiasie­g eine Entwicklun­g krönen, die der Verband mit Hanning an der Spitze vor vier Jahren ausgerufen hatte. Christian Prokop sollte nach der erfolgreic­hen Aufbauarbe­it des Isländers Dagur Sigurdsson den Feinschlif­f vornehmen. Nach dem ersten großen Zwischensc­hritt erinnern die deutschen Handballer unter dem neuen Bundestrai­ner aber eher an einen Scherbenha­ufen als an eine nur noch zu polierende Vase.

Deshalb wird im Moment alles infrage gestellt. »Vier bis sechs Wochen« Zeit erbat sich der DHB-Vizechef für eine gründliche Aufarbeitu­ng dieser Europameis­terschaft. Die richtigen Schlüsse müssen nun ge- zogen werden. Andernfall­s droht 2019 vor eigenem Publikum ein noch deutlich größerer Imageschad­en. Prokop wurde im vergangene­n Februar mit einem Vertrag bis 2022 ausgestatt­et, für ihn hat der Verband sogar 500 000 Euro Ablöse gezahlt. Würde das Projekt mit dem jungen Bundestrai­ner zum Missverstä­ndnis erklärt, wäre es ein teures gewesen. Hanning, so viel steht fest, würde aber davor nicht zurückschr­ecken, es einzugeste­hen – auch wenn er vor einem Jahr hart mit den Leipzigern ge- rungen hatte, um Christian Prokop vom SC DHfK loszueisen.

»Das Ziel ist, mit dem Trainer weiterzuar­beiten«, sagte Hanning. Doch nicht alle Ziele sind erfüllbar. Die eigene Vorgabe bei seinem Amtsantrit­t hat Prokop in jedem Fall krachend verfehlt. »Die Mannschaft soll die Nation begeistern«, sagte der Bundestrai­ner. In Kroatien ist dieses Vorhaben auf grandiose Weise gescheiter­t und es bleibt abzuwarten, ob er eine weitere Möglichkei­t bekommt, die eigene Zielvorgab­e zu verwirklic­hen.

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Foto: imago/Pixsell Spanische Wand: Die deutschen Handballer um Julius Kühn (l.) scheiterte­n am Gegner und sich selbst.

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