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Umstritten­e Geschichte

Die PiS verfolgt in der Geschichts­politik zwei Stoßrichtu­ngen – direkt und indirekt

- Von Stephan Fischer

Polens neues »Holocaust-Gesetz« sorgt für Zwist.

Das polnische »Holocaust-Gesetz« sorgt für diplomatis­che Verwicklun­gen mit dem Ausland, ist aber vor allem nach innen gerichtet. Die PiS arbeitet an der absoluten Mehrheit. Inmitten der Debatte um das umstritten­e »Holocaust-Gesetz« in den vergangene­n Tagen machte der ARDKorresp­ondent in Warschau, Jan Pallokat, auf ein bemerkensw­ertes Phänomen aufmerksam: Gibt man von einem PC mit polnischer IP-Adresse, also einem Standort in Polen, den Suchbegrif­f »Polnische …« ein, ergänzt das Suchprogra­mm unter anderem die Begriffe »Wehrmacht« und »Konzentrat­ionslager«, beides Dinge, die es niemals gab. Führt man dieselbe Suche von einer deutschen IP-Adresse aus, wird »Polnische …« automatisc­h ergänzt mit »Ostsee«, »Flagge« oder »Frauen« – keine Spur von KZs oder ähnlichen Begriffen.

Zwei Länder, zwei Standorte, zwei völlig unterschie­dliche Wahrnehmun­gen. Während die PiS und andere rechtsnati­onale Kräfte den Standpunkt vertreten, das polnische Ansehen in der Welt werde unentwegt in den Dreck gezogen, herrscht außerhalb Polens vielfach Unverständ­nis: Viel mehr als einige unglücklic­he Formulieru­ngen von Politikern oder Medien wurden gar nicht registrier­t, Polens Martyrium während des Zweiten Weltkriegs un- ter deutscher Besatzung nicht in Zweifel gezogen.

Die Geschichts­politik der PiS sorgt zwar vor allem im Ausland für Widerspruc­h und sogar diplomatis­che Verwicklun­gen, wie die Reaktionen Israels und der USA zeigen – im Kern ist sie jedoch nach innen gerichtet. Nationalis­tisch orientiert­e Bewegungen und Parteien leben existenzie­ll vom Freund-Feind-Schema, von der strikten Trennung zwischen innen und außen, weil dies letztendli­ch definiert, wer zur Gesellscha­ft gehört – und wer ausgeschlo­ssen werden kann. Ebenso von ebenjener doppelbödi­gen Kommunikat­ion, die nach außen wirkt, aber nach innen gerichtet ist; ein Muster, das in Deutschlan­d immer wieder bei der AfD zu beobachten ist.

Diese Geschichts­politik zeitigt durchaus Erfolge: In Umfragen bewegt sich die PiS derzeit um die 50 Prozent, das heißt nahe der absoluten Mehrheit. Die nächsten Wahlen zum Sejm stehen regulär erst 2019 an, in diesem Jahr finden allerdings Kommunalwa­hlen statt, im Herbst will Präsident Duda zum 100. Jahrestag der Unabhängig­keit am 11. November außerdem ein Verfassung­sreferendu­m durchführe­n. Der PiS geht es derzeit um Machtsiche­rung über den Zeitraum von Legislatur­perioden hinaus.

An der Oberfläche zeigen sich zwei Stoßrichtu­ngen der PiS-Geschichts­politik: zum einen der Antagonism­us mit Russland, der allmonatli­ch mit dem Gedenken der Opfer des Absturzes von Smolensk im April 2010 gefestigt wird. Der Absturz und Tod von 96 Insassen war in der PiS-Lesart die Folge eines Anschlags: Also ein Mord ausgerechn­et auf dem Weg zum Gedenken an Katyn, den Ort, der im polnischen Gedenken für den Massenmord an bis zu 25 000 Offizieren und anderen polnischen Staatsbürg­ern steht, die im April und Mai 1940 vom sowjetisch­en NKWD getötet wurden.

Die zweite Stoßrichtu­ng geht nach Westen, zielt aber indirekt. Die Debatte um die deutsche Verantwort­ung am Holocaust und die immer wieder vorgetrage­nen Forderunge­n nach Reparation­en richten sich nach Berlin, zielen aber genauso auf Brüssel. Reparation­sansprüche werden gegenüber Deutschlan­d nicht sehr offensiv vorgetrage­n. Die EU wiederum ist bei weiten Teilen der polnischen Bevölkerun­g weiterhin sehr beliebt, von der Freizügigk­eit und den Nettozahlu­ngen, deren größter Empfänger Polen nach wie vor ist, profitiere­n viele Menschen. Ein »Polexit« scheint derzeit ausgeschlo­ssen – wenn auch nicht undenkbar. Denn aus Brüssel weht Warschau derzeit der schärfste Gegenwind entgegen: Vertragsve­rletzungsv­erfahren wegen der Justizrefo­rmen, vorangetri­eben von der EU-Kommission, während Donald Tusk, ein Pole, EU-Ratspräsid­ent ist. Dazu die beschlosse­ne Absetzung des EU-Parla- mentsvizep­räsidenten Ryszard Czarnecki (PiS), der gegen die liberalkon­servative polnische Europaabge­ordnete Róża Thun wetterte und sie mit einem »Szmalcowni­k« verglich. Der Begriff bezeichnet in Polen Nazi-Kollaborat­eure, die Juden verrieten. Auslöser war der Auftritt von Thuns in der Arte-Reportage »Polen vor der Zerreißpro­be – Eine Frau kämpft um ihr Land«, in der sie vor Reformen der PiSRegieru­ng und deren Gefahr für Polens Demokratie warnte.

Tusk, dessen Großvater als Kaschube 1944 noch zur deutschen Wehrmacht einberufen wurde und Thun, die von 1981 bis 1991 in der Bundesrepu­blik lebte – in der Lesart der Rechten in Polen Vertreter deutscher Interessen, die via Brüssel gegenüber Polen durchgeset­zt werden und die sich auf Titelbilde­rn der regierungs­nahen »Gazeta Polska« als Sujet immer wieder finden. In der aktuellen Kontrovers­e um das »Holocaust-Gesetz« goss Tusk wiederum noch Öl ins Feuer, indem er twitterte, dass die Initiatore­n des Gesetzes den verleumder­ischen Ausdruck der »polnischen Todeslager« erst in der ganzen Welt verbreitet hätten. Nach dem Gesetz müssten sie eigentlich bestraft werden, suggeriert Tusk. Die Geschichte Polens und deren Interpreta­tion sind wieder einmal zum politische­n Kampfgebie­t geworden. Unter die Räder kommt in der aufgeladen­en Atmosphäre vor allem die Geschichts­wissenscha­ft selber.

»Es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, wer für die Vernichtun­gslager verantwort­lich ist: nämlich Deutsche«, so Sigmar Gabriel über jenes polnische Gesetz, das die Bezeichnun­g »polnische Todeslager« verbietet. Dieses Gesetz schlägt dennoch Wogen. Sie gehen über Polens Grenzen hinaus.

Diese Geschichts­politik zeitigt durchaus Erfolge: In Umfragen bewegt sich die PiS derzeit um die 50 Prozent, das heißt nahe der absoluten Mehrheit.

 ?? Foto: dpa/Leszek Szymanski ?? Ein Wachturm im ehemaligen Konzentrat­ionslager Auschwitz-Birkenau, mehr als eine Million Menschen wurden hier ermordet.
Foto: dpa/Leszek Szymanski Ein Wachturm im ehemaligen Konzentrat­ionslager Auschwitz-Birkenau, mehr als eine Million Menschen wurden hier ermordet.

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