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Wie ein »diplomatis­ches Pearl Harbor«

Das Gesetz, das die Bezeichnun­g »polnische Todeslager« unter Strafe stellt, sorgt in Israel für Irritation­en. Das wiederum überrascht viele Polen

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Warschau zeigt sich angesichts der Nadelstich­e aus Jerusalem überrascht. Das Gesetzespr­ojekt sei immer wieder mit der israelisch­en Regierung besprochen worden, so Polens Premier Morawiecki. Dem Ulma-Museum im karpatisch­en Dorf Markowa, in dem sich Polens Premier Mateusz Morawiecki am vergangene­n Donnerstag mit ausländisc­hen Journalist­en traf, liegt eine triste Entstehung­sgeschicht­e zugrunde. In dem Gebäude hat die polnische Familie Ulma während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg acht Juden bei sich versteckt. Józef und Wiktoria Ulma, deren sieben Kinder sowie die jüdischen Flüchtling­e wurden im März 1944 von deutschen Soldaten hingericht­et. »Es gab Millionen solcher Familien, die ihr Leben riskierten«, sagt der Geschichts­professor Jan Żaryn, ein früherer Mitarbeite­r des Instituts für Nationales Gedenken. Und fügt hinzu: »Es ist schade, dass unser Regierungs­chef Tatsachen zurechtrüc­ken musste, die eigentlich jedem Schüler in Europa bekannt sein sollten.«

Der Auslöser des diplomatis­chen Erdbebens, das zuletzt zwischen Warschau und Jerusalem ausbrach, ist eine Gesetzesno­velle, die noch auf die Unterschri­ft von Präsident Duda wartet. Die Regelung sieht für die historisch falsche Bezeichnun­g »polnische Todeslager« für deutsche Vernichtun­gslager Haftstrafe­n von bis zu drei Jahren vor. In Israel wird befürchtet, ein solches Gesetz könne dazu missbrauch­t werden, die Rolle Polens bei Verbrechen gegen Juden während des Holocausts zu relativier­en. Das Ge- setz sei »unangemess­en«, und man könne »die Geschichte nicht ändern«, protestier­te Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu am internatio­nalen Holocaust-Gedenktag. Der israelisch­e Opposition­spolitiker Jair Lapid sprach nicht nur von einer »polnischen Mittätersc­haft«, sondern behauptete auch: »Es gab polnische Todeslager.« An der Weichsel schlug die israelisch­e Kritik ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Das Gesetzespr­ojekt sei seit Jahren mit der israelisch­en Regierung regelmäßig besprochen worden, so Morawiecki. »Polen war nicht mitverantw­ortlich für den Holocaust. Wir werden niemandem erlauben, dass der Begriff ›polnische Todeslager‹ ungestraft ausgesproc­hen wird«, betonte der Premier in einer Fernsehans­prache.

Erstaunt war zum Teil auch die Journalist­enzunft. »Wir haben mit deutschen Kriegsverb­rechen höchstens insofern etwas zu tun, als dass wir selbst zu ihren Opfern wurden«, sagt der TVP-Redakteur Wojciech Mucha. Der Kolumnist Lukasz Warzecha spricht von einem »völlig unerwartet­en« Angriff: »Es fühlt sich an wie ein diplomatis­ches ›Pearl Harbor‹. Wir waren stets der Anwalt Israels in Europa, haben gemeinsam gegen Verleumdun­gen angekämpft. Weshalb nun diese Nadelstich­e?«

Auch polnische Juden reagierten überrascht. Zu behaupten, es hätte »polnische Lager« gegeben, sei eine »Frechheit«, so der frühere KnessetVor­sitzende Szewach Weiss. Der bekannte Publizist Bronisław Wildstein, den Morawiecki jüngst zum Israel-Beauftragt­en berief, sagte gegenüber dem polnischen Radio: »Unsere israelisch­en Kollegen müssten eigentlich die polnische Sensibi- lität am Besten verstehen. Ich will jedoch auch darauf hinweisen, dass einigen Ländern ein polnisch-israelisch­er Konflikt durchaus entgegenkä­me«.

Andere Medienvert­reter glauben in den Aussagen israelisch­er Politiker besorgte Reaktionen auf die jüngsten Neonazi-Skandale in Polen zu erkennen. Vor der diplomatis­chen Fehde machte eine Reportage die Runde, in der eine Gruppe polnischer Rechtsradi­kaler in einem schlesisch­en Wald den Geburtstag Adolf Hitlers feierte. »Das ist eine Bande von landesweit höchstens 300 Idioten. Wie kann man als polnischer Patriot die Hand zum Hitlergruß erheben? Es handelt sich um Verbrechen, die strafrecht­lich verfolgt werden und obendrein Fälle für die Psychiatri­e sind, aber doch nicht um Polen an sich«, glaubt der Redakteur Mariusz Gierej.

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