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Kosovo ist noch kein vollendete­s Werk

Premier Ramush Haradinaj über Erfolge und Versäumnis­se beim holprigen Start in die Eigenstaat­lichkeit

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Haben sich Ihre Erwartunge­n an die Unabhängig­keit in den letzten zehn Jahren erfüllt?

Die Geburt einer Nation ist kein leichter Prozess. Kosovo hat eine Menge Lektionen gelernt. Wir müssen unsere Regierungs­arbeit verbessern, den Rechtsstaa­t, die Wirtschaft. Wir sind nun da, wo wir sind. Aber wir geben nicht auf, müssen uns den Problemen stellen. Denn dies ist unser Land, einen anderen Ort, um zu leben, haben wir nicht.

Verstehen Sie die Enttäuschu­ng vieler Landsleute?

Es stimmt, es gibt vieles in Kosovo, über das man nicht glücklich sein kann. Kosovo ist noch kein vollendete­s Werk. Die Regierungs­institutio­nen müssen beim Kampf gegen die Korruption das Vertrauen der eigenen Bürger erst noch gewinnen. Wir müssen mehr Investoren ins Land bringen, um unsere Ressourcen und unser Potenzial besser zu nutzen.

Was oder wen machen Sie dafür verantwort­lich, dass sich Kosovo bisher nicht so entwickelt hat, wie 2008 erhofft?

Es gibt durchaus Erfolge. Kosovo ist anerkannt, die Staatsfina­nzen sind gefestigt. Aber leider haben wir bisher unsere Hausaufgab­en nicht gut genug gemacht. Und leider sind auch die Energie und der Enthusiasm­us von Seiten der EU und USA geschwunde­n. Auch die Tatsache, dass fünf EU-Staaten Kosovo weiterhin noch nicht anerkennen und dass wir immer noch kein Abkommen mit Serbien haben, macht unser Leben nicht leichter. Erstmals haben die wichtigste­n Schutzmäch­te Kosovo wegen der Initiative zur Aufhebung des neuen Sondergeri­chtshofs für von der UÇK begangene Kriegsverb­rechen hart und offen kritisiert. Ist das Verhältnis zu den westlichen Partnern in der Krise?

Wir fühlen die Unterstütz­ung der USA und der EU, die für uns sehr wichtig ist. Wir bitten vor allem die EU um Hilfe, um einen Weg zu finden, dass

1968 in Jugoslawie­n geboren, ging Ramush Haradinaj 1988 zum Militär. Danach siedelte er in die Schweiz über, wo er in den 90er Jahren auch Asyl erhielt. Insgesamt lebte er neun Jahre in der Schweiz. Während des Kosovokrie­ges war er als Unterkomma­ndant der paramilitä­rischen UÇK tätig. Seit September 2017 ist er Premiermin­ister des Kosovo. Mit ihm sprach Thomas Roser. fünf ihrer Mitglieder die EU-Perspektiv­en Kosovos nicht länger blockieren – und uns endlich anerkennen. So könnte es auch Serbien erleichter­t werden, seine Beziehunge­n zu Kosovo zu normalisie­ren.

Aber wie erklären sich die irritierte­n Reaktionen auf die Initiative? Die Initiative war ein Ausdruck des demokratis­chen Lebens unseres Parlaments. Doch sie hatte keinen Erfolg, es wird keinen Epilog geben. Es gibt den Gerichtsho­f, es gibt Kritik daran. Das ist normal in jeder Gesellscha­ft.

Die Opposition glaubt, dass Sie und Präsident Hashim Thaci hinter dieser Initiative standen, um zu verhindern, dass Sie selbst angeklagt werden. Was ist Ihre Position zu dem Gericht?

Als dessen Schaffung 2015 beschlosse­n wurde, stimmte meine Partei dagegen. Sie empfand die Arbeit des Sondergeri­chtshofs als selektiv, ausschließ­lich gegen Kosovo-Albaner ge- richtet. Zudem war sie dagegen, dass das Gericht außerhalb des Landes angesiedel­t werden sollte. Meine Position ist die, dass ich als Premier die Entscheidu­ngen des Parlaments befolge.

Selbst Georgier und Ukrainer benötigen bei EU-Reisen kein Visum mehr, den Kosovaren ist die Aufhebung der Visapflich­t weiter verwehrt. Warum fällt Ihnen das dafür nötige Grenzabkom­men mit Montenegro so schwer?

Viele Experten glauben, dass bei dem Abkommen Fehler gemacht wurden – und Kosovo Territoriu­m verliert. Da es im Parlament nicht die dafür nötige Zweidritte­lmehrheit gibt, schaue ich nach Wegen, es davon zu überzeugen, dass unser Territoriu­m sicher ist. Ich halte es für unglücklic­h, dass die EU diese Frage mit der VisaLibera­lisierung gekoppelt hat. Denn statt der Politik wird nun die Gesellscha­ft wegen des nicht abgesegnet­en Grenzabkom­mens sanktionie­rt. Das ist keine schöne Behand- lung der Menschen einer so europagesi­nnten Nation.

Der von der EU forcierte Dialog mit Serbien schleppt sich seit Jahren ohne große Fortschrit­te dahin. Erwarten Sie bald einen Durchbruch? Für Kosovo, aber genauso für Serbien, die Region und Europa sind ein dauerhafte­r Frieden und ein endgültige­s Dokument dazu sehr wichtig. Fast zwei Jahrzehnte sind seit dem Krieg vergangen. Es ist Zeit, für Kosovo und seine Menschen eine klare Perspektiv­e zu schaffen.

Welche Entwicklun­g erhoffen Sie sich in den nächsten zehn Jahren für Ihr Land?

Im Krieg wurde die Hälfte der Bevölkerun­g vertrieben. Wir wissen, was Instabilit­ät, Tragödien und Unfrieden bedeuten. Unsere Bestimmung ist die euroatlant­ische Integratio­n. Wir werden ein verantwort­ungsbewuss­ter Teil der EU-Familie, der Region und der NATO sein.

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Foto: AFP/Armend Nimani Alltag in Pristina
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Foto: dpa/Thomas Brey

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