nd.DerTag

Zweitausen­d neue Leben

Seit 50 Jahren werden am Universitä­tsklinikum Halle Nierentran­splantatio­nen durchgefüh­rt

- Von Annette Schneider-Solis, Halle

In Halle (Sachsen-Anhalt) wurde im Jahr 1966 erstmals in der DDR versucht, eine Niere zur transplant­ieren. Es war eine der ersten Transplant­ationen weltweit. Allerdings wurde das Organ abgestoßen. Ein OP-Saal im Klinikum der MartinLuth­er-Universitä­t Halle-Wittenberg. Monoton pulsieren Geräte, mit leisen Kommandos verlangt der operierend­e Arzt nach Instrument­en. Unter grellem Licht schimmert Haut zwischen grünen Tüchern. Ein Dutzend Mediziner, Schwestern und Pfleger gehören zum Team, das einer Patientin eine Niere entnimmt. Im OP-Saal nebenan wird die Patientin vorbereite­t, der das Organ eingepflan­zt wird.

Das Nierentran­splantatio­nszentrum hat sich auf Lebendspen­den spezialisi­ert – einer der Gründe, warum die Anzahl der Transplant­ationen nicht wie anderswo abstürzte. Um die 50 Organe sind es jedes Jahr, sagt Klinikdire­ktor Paolo Fornara. »In den 1960ern plante man an verschiede­nen Zentren der Welt, Nieren zu transplant­ieren. Eine der ersten Transplant­ationen weltweit fand hier 1966 unter Heinz Rockstroh statt. Es war die erste in der DDR.«

Weil das Organ abgestoßen wurde, taucht diese Operation in den Annalen der Medizinges­chichte nicht auf. Dieser Ruhm wurde der ersten erfolgreic­hen Nierentran­splantatio­n 1967 an der Berliner Charité zuteil.

»Viele Etappen der Transplant­ationsgesc­hichte hat Halle mitgestalt­et«, berichtet Fornara und betont, nur ein Mediziner in einer langen Reihe zu sein. Und dass viele Akteure an einer Transplant­ation mitwirkten.

In den 1980er Jahren wurden neue Medikament­e entwickelt zur Unterdrück­ung der Immunabweh­r. Damit sank die Gefahr, dass ein fremdes Organ abgestoßen wird. Heute können Nieren selbst Empfängern mit einer anderen Blutgruppe eingesetzt werden. Fornara: »Für alte Transplant­eure wie mich ist es bis heute fasziniere­nd.«

Heute werden in Halle Lebendspen­dern Organe minimalinv­asiv entnommen und Empfängern mit dem Roboter eingesetzt. »Man muss sich das vorstellen: Die gesamte Lebendspen­de wird durchgefüh­rt, ohne zu schneiden!«, unterstrei­cht der Klinikdire­ktor. »Das ist revolution­är. Diese Neuerung haben wir mitgestalt­et.« Der Einsatz des Roboters ist für ihn der größte Meilenstei­n. Nur sieben Zen- tren in Europa, einschließ­lich der Türkei, transplant­ieren so.

In Halle bekamen inzwischen mehr als 2000 Patienten ein neues Organ. Es könnten mehr sein, doch bei Organspend­en hinkt Deutschlan­d anderen Ländern weit hinterher. 2017 erreichte das Land ein 20-Jahres-Tief. Darauf angesproch­en, kann Klinikchef Fornara sein italienisc­hes Temperamen­t kaum unterdrück­en. »Es ärgert mich und deprimiert mich extrem«, schimpft er. »Es ist absurd, dass in einem Land, das Medizin auf höchstem Niveau betreibt, Menschen sterben, weil Organe fehlen.«

In allen anderen Ländern Europas werden im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl deutlich mehr Organe transplant­iert als in Deutschlan­d. So warteten 2016 laut der Deutschen Stiftung Organtrans­plantation­en 7598 Menschen auf eine Niere. Auf Platz zwei folgte Ungarn mit 749 Patienten. Während ein Grieche ein bis zwei Jahre auf ein Spenderorg­an wartet, sind es in Deutschlan­d sieben bis acht.

»Organspend­e hat hierzuland­e nicht die Anerkennun­g, die sie verdient«, findet Paolo Fornara. Durch Skandale wie das Manipulier­en der Warteliste ist die Spendenber­eitschaft weiter gesunken. »Für diese Fehler werden nicht die Schuldigen bestraft, sondern die Patienten.«

 ?? Foto: dpa/Annette Schneider-Solis ?? Das Team um Klinikdire­ktor Paolo Fornara (Mitte) führt eine Nierentran­splantatio­n durch.
Foto: dpa/Annette Schneider-Solis Das Team um Klinikdire­ktor Paolo Fornara (Mitte) führt eine Nierentran­splantatio­n durch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany