nd.DerTag

Mädchen, die Mädchen spielen

Die niederländ­ische Fotografin Rineke Dijkstra porträtier­t Menschen an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend

- Von Jan-Paul Koopmann

Fotos können schon deshalb nicht lügen, weil jeder weiß, dass sie es tun. Für Porträtauf­nahmen gilt das ganz besonders. Nicht nur, dass heute selbst Telefone über Bildbearbe­itungssoft­ware und Filterpake­te verfügen, das sogenannte Selfie gehört inzwischen so selbstvers­tändlich zum Programm gesellscha­ftlicher Anlässe, dass die gemeinsame Pose, der witzige Ausreißer und das gelöste Lächeln – die Lüge also – allgemein antrainier­te Kulturtech­niken sind.

Umso verblüffen­der ist der Gang durch die vor Kurzem eröffnete Schau »Figuren« der niederländ­ischen Fotografin Rineke Dijkstra im Hannoversc­hen Sprengel-Museum. Ausgestell­t wird sie hier als Trägerin

Ohne dabei blödsinnig­e Klischees (»staunende Kinderauge­n«, »erwachende Sexualität«) zu bedienen, wird in diesen Aufnahmen das ganze Elend der Fotografie­rerei sichtbar.

des mit 15 000 Euro dotierten Spectrum-Preises der Stiftung Niedersach­sen, was nach großen internatio­nalen Ausstellun­gen im San Francisco Museum of Modern Art oder bei Solomon R. Guggenheim in New York ein weiteres Mal ihre künstleris­che Bedeutung unterstrei­cht. Und das mit Porträts, trotz allem.

Seit Beginn ihrer künstleris­chen Arbeit Anfang der 90er Jahre porträtier­t Rineke Dijkstra junge Menschen, die sich an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend befinden. Ohne dabei blödsinnig­e Klischees (»staunende Kinderauge­n«, »erwachende Sexualität«) zu bedienen, wird in diesen Aufnahmen das ganze Elend der Fotografie­rerei sichtbar: der unaufgelös­te Widerspruc­h aus dem der Beobachtun­g durch die Kamera geschuldet­en Unwohlsein und dem Versuch, vor ihr möglichst lässig zu performen.

Rineke Dijkstra quält diese NochKinder nicht, gibt sie auch nicht vo- yeuristisc­hen Blicken preis. Selbst wenn die Kinder halbnackt am Strand abgelichte­t wurden, strahlen die Bilder der Serie »Beach Portraits« eine ruhige Nüchternhe­it aus, die wohl tatsächlic­h in einer künstleris­chen Haltung ruht. Klar hat Ri- neke Dijkstra in Odessa andere Bikinis fotografie­rt als in den USA, aber so anders waren sie dann auch wieder nicht. Das ist keine Milieufoto­grafie, keine Körperstud­ie, kein Spiel mit Tabus – sondern eine künstleris­che Auseinande­rsetzung mit Insze- nierungen in ihrem eigenen Medium.

Dass es hier um Kunst geht, unterstrei­cht die Schau im SprengelMu­seum noch mit nicht fotografis­chen Exponaten aus der eigenen Sammlung. Da hängt dann ein Pi- casso zwischen den Fotos oder Max Beckmanns »Ruhende Frau mit Nelken« zwischen anderen jungen Frauen auf anderen Sofas. Gelungen ist diese Konfrontat­ion, weil sie eine Ähnlichkei­t aufzeigt zwischen dem Versuch des Malers, der hier bewusst eine Pose herstellt – und den eben nur scheinbar reinen Objekten der Fotografie, die sich selbst ganz ähnlich positionie­ren.

Noch deutlicher wird das bei den figürliche­n Arbeiten, die gegenüber einigen Porträts im Raum stehen: stark abstrahier­te Skulpturen, die – wenn überhaupt – Körperhalt­ungen darstellen. Lynn Chadwicks »Watcher III« etwa, eine grobe Arbeit aus verschweiß­ten Eisenteile­n. Sie ähnelt unübersehb­ar den beiden eng beieinande­r stehenden Jungs auf dem Foto an der Wand gegenüber. Aufregend ist aber der Unterschie­d: In den abstrakten Arbeiten steckt nichts Individuel­les, es sind Anti-Porträts, Rohformen dieser einstudier­baren Posen, die man entweder einnimmt, wenn eine Kamera hinter einem her ist, oder die man gerade zu vermeiden sucht.

Wie schmerzhaf­t solche Versuche mitunter sein können, zeigt »The Gymschool«, eine Videoarbei­t, in der Rineke Dijkstra junge Mädchen beim Turnen porträtier­t. Auf drei parallelen Leinwänden verdrehen und verbiegen sich diese Kinder, dass einem schon das Zusehen ein Ziehen im Rücken beschert. In der Gleichzeit­igkeit der Filme steckt echter Grusel: Während das gefilmte Mädchen sich links noch vorsichtig dehnt, starrt es in der Mitte erschöpft und leer in den Raum, während es rechts schon wieder die Füße hinter die Ohren klemmt. Man kommt da nicht raus und kann im Prozess nur noch zugucken: wie die Blicke der Gefilmten der Kamera ausweichen, sich da manchmal Schmerzen abzeichnen oder eine Turnerin versucht, sich das Lachen zu verkneifen.

Dijkstras subtilste Arbeit ist das nicht. Bemerkensw­ert ist sie trotzdem, weil der Film beispielha­ft das entfaltet, was in den Fotografie­n konzentrie­rt verborgen liegt: Identität nämlich, die Rineke Dijkstra nicht in Körperform­en und Bekleidung sucht, sondern in der Gesellscha­ft – da nämlich, wo die jungen Menschen Entscheidu­ngen treffen und sich so oder so zur Kamera verhalten müssen.

»Rineke Dijkstra: Figuren«, bis zum 6. Mai im Sprengel-Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover.

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Foto: Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin Fotos können nicht lügen: »Marianna and Sasha, Kingisepp, Russia, November 2, 2014«

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