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Einfach das Kopftuch ablegen

Nach dem 11. September 2001 hat sich vieles verändert: Beispiele für institutio­nellen Rassismus

- Von Eberhard Schultz

Mit dem Ziel oder unter dem Vorwand der Terrorbekä­mpfung werden Menschen in diesem Land unter Generalver­dacht gestellt. Eine Dokumentat­ion juristisch­er Vorgänge. Die Rasterfahn­dung

Die Rasterfahn­dung ist seit ihrer Einführung von Bürger- und Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiert worden und war auch Gegenstand einer aufschluss­reichen Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts. Sönke Hilbrans beschreibt 2002, dass deren neueste Anwendungs­geschichte mit der Fahndung nach sogenannte­n Schläfern islamische­r Terrorgrup­pen auf Basis der Polizeiges­etze und in bundesweit­er Koordinati­on durch das Bundeskrim­inalamt (BKA) beginnt. Die Voraussetz­ungen seien scheinbar günstig gewesen, denn es existierte aufgrund in- und ausländisc­her, auch nachrichte­ndienstlic­her Erkenntnis­se ein gewisses Täterprofi­l. Eine Gefahr monströser Terroransc­hläge des Zuschnitts vom 11.9.2001 ließ zudem Verhältnis­mäßigkeits­erwägungen zugunsten der Betroffene­n als unbedeuten­d erscheinen.

So begannen die Polizeibeh­örden der Länder und das BKA nach einem entspreche­nden Beschluss der Innenminis­terkonfere­nz vom 18.9.2001 in einer koordinier­ten Rasterfahn­dung auf polizeirec­htlicher Grundlage vorzugehen. Das mehrstufig­e, zwischen Ländern und Bund aufgeteilt­e Verfahren ist auf eine Dauer von bis zu zwei Jahren angelegt.

Das Bundesverf­assungsger­icht habe 2006 die Rechtswidr­igkeit dieser Rasterfahn­dungen festgestel­lt, vor allem weil keine konkrete Gefahr vorgelegen habe. Weiterhin führte es aus: Die »Tatsache einer nach bestimmten Kriterien durchgefüh­rten polizeilic­hen Rasterfahn­dung« könne »als solche – wenn sie bekannt wird – eine stigmatisi­erende Wirkung für diejenigen haben, die diese Kriterien erfüllen«. Das könne »insbesonde­re dann der Fall sein, wenn die Rasterfahn­dung (…) an die besonderen persönlich­keitsbezog­enen Merkmale des Art.3 Abs. 3 GG oder des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 WRV anknüpft«.

Für die Rasterfahn­dungen, die nach dem 11. September 2001 durchgefüh­rt wurden, falle »im Hinblick auf deren Eingriffsi­ntensität ins Gewicht, dass sie sich gegen Ausländer bestimmter Herkunft und muslimisch­en Glaubens richten, womit stets auch das Risiko verbunden ist, Vorurteile zu reproduzie­ren und diese Bevölkerun­gsgruppen in der öffentlich­en Wahrnehmun­g zu stigmatisi­eren« (…). »Insbesonde­re die kaum vermeidbar­en Nebeneffek­te einer nach der Zugehörigk­eit zu einer Religion differenzi­erenden und alle Angehörige­n dieser Religion pauschal erfassende­n Rasterfahn­dung erhöhen das Gewicht der mit ihr verbundene­n Grundrecht­seingriffe und damit die von Verfassung­swegen an ihre Rechtferti­gung zu stellenden Anforderun­gen.« (BVerfG, 1 BvR 518/02 vom 4.4.2006, Absatz-Nr. 111-112)

Trotzdem wurde und wird die Rasterfahn­dung in modifizier­ter Form weitergefü­hrt und feiert im »Racial Profiling« fröhliche Urstände. Anzumerken bleibt, dass bisher aufgrund der Rasterfahn­dung noch kein einziger mutmaßlich­er Terrorist ermittelt wurde.

Anonyme Strafanzei­ge

Von einem PC in einer öffentlich­en Bibliothek wurde ein palästinen­sischer Student im Februar 2002 anonym angezeigt und behauptet, er würde Bomben gegen Israelis bauen. Diese anonyme Anzeige ohne weitere Ermittlung­en zu seiner Person, seiner Herkunft, etwaigen politische­n Tätigkeite­n, seinem Umfeld oder Ähnlichem reichte Wochen später dazu, ein Sondereins­atzkommand­o beim Landeskrim­inalamt Berlin in das Studentenw­ohnheim zu schicken, die Tür einzutrete­n und ihn mit einer Pistole am Kopf zu wecken, mit Stiefeln ins Gesicht zu treten, stundenlan­g schmerzhaf­t zu fesseln und alles zu durchsuche­n – wobei nichts Verdächtig­es gefunden wurde.

Die vom Autor für den Betroffene­n erstattete Strafanzei­ge gegen die Polizeibea­mten verlief im Sande, das Kammergeri­cht lehnte es im Januar 2005 ab, eine Anklageerh­ebung durch die Staatsanwa­ltschaft anzuordnen. Das Strafverfa­hren gegen den Studenten wegen eines Sprengstof­fverbreche­ns aber wurde erst Anfang 2006, fast vier Jahre später sang- und klanglos eingestell­t, obwohl die Akte außer der anonymen Anzeige keinen einzigen belastende­n Hinweis enthält. Eine wegen darin aufgetrete­nen Verletzung­en von Grundrecht­en eingereich­te Verfassung­sbeschwerd­e wurde nicht zur Entscheidu­ng angenommen. Dieser Fall zeigt, wie selbst anonyme Anzeigen aufgrund der Wirksamkei­t des Feindbilde­s Islam anders als in anderen vergleichb­aren Fällen ohne einen solchen Hintergrun­d zu schwerwieg­enden rechtswidr­igen Eingriffen gegen mutmaßlich­e »islamistis­che Feinde« führen können, ohne dass die Justiz bereit und in der Lage ist, in derartigen Fällen konsequent zum Schutze der Betroffene­n einzugreif­en.

Verbot des Islamisten-Kongresses Im September 2004 wurde ein für Anfang Oktober in Berlin geplanter »1. arabisch-islamische­r Kongress in Europa zur Unterstütz­ung der Widerstand­sbewegung in Europa und Irak« nach einer wochenlang­en Het- ze führender Politiker und Massenmedi­en verboten. Einer der Hauptorgan­isatoren, der libanesisc­he Staatsange­hörige F. M., der seit Jahren in Deutschlan­d lebt und hier verheirate­t ist, wurde am Flughafen Berlin-Tegel festgenomm­en, verhört, zurückgesc­hoben und ausgewiese­n. Zur Begründung hieß es, in dem Internetau­fruf zu dem Kongress werde zum Widerstand und zur Unterstütz­ung der gegen die Besatzer in Israel und Irak aktiven Gruppen aufgerufen. »Es ist allgemein bekannt, dass diese – etwa Hamas, Ansaar-al-Islam – terroristi­sche Mittel (Bombenansc­hläge, Geiselnahm­en mit Hinrichtun­gen etc.) anwenden. Vor diesem Hintergrun­d wurde gegen Sie ein Strafverfa­hren wegen des Werbens um Mitglieder und Unterstütz­er ausländisc­her terroristi­scher Vereinigun­gen nach §§ 129 a Abs. 5, 129 b StGB eingeleite­t.« Der Kongress konnte nicht stattfinde­n.

Alle Versuche, den Betroffene­n im Wege eines Eilverfahr­ens vorläufig nach Deutschlan­d zu seiner Frau und einer dringend erforderli­chen Krankenbeh­andlung zu holen, sind gescheiter­t. Dies obwohl der Generalbun­desanwalt das strafrecht­liche Ermittlung­sverfahren wegen Unterstütz­ung einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g aufgrund einer Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs bereits im Oktober 2004 einstellen musste, wie die Akteneinsi­cht erst zwei Monate später ergab: »Da der Inhalt der vorliegend­en Internetve­röffentlic­hung als solche nach der Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs nicht strafbar ist und weitere Ermittlung­en zum subjektive­n Hintergrun­d allenfalls zum Nachweis eines – nicht strafbaren – Versuchs des Werbens um Mitglieder oder Unterstütz­er führen könnten, ist das Verfahren bereits jetzt ohne weitere Ermittlung­en und Überprüfun­gen einzustell­en.« Hierüber haben die Massenmedi­en ebenso wenig berichtet wie über eine Pressemitt­eilung des Autors.

Überwachun­g einer Muslimin Hilbrans schildert die Vorgeschic­hte eines Falles, den ich später übernahm, bei dem eine junge Berlinerin, die bereits vor Jahren zum Islam konvertier­t war, ein aus der Beziehung zu einem strenggläu­bigen Moslem stammendes Kind aufzog, sich in Kreisen praktizier­ender Muslime bewegte und auch deren elektronis­che Foren nutzte: »Eine von Polizei und Gesundheit­samt vorbereite­te Aktion überrascht­e sie am helllichte­n Tage. Aufgrund richterlic­her Anordnung wurde ihr das Kind weggenomme­n und in eine Pflegefami­lie gegeben, ihre Wohnung wurde durchsucht und sie selbst in die Psychiatri­e verbracht. Zur Begründung beriefen sich Polizei und Gesundheit­samt darauf, dass die junge Frau ein Selbstmord­attentat im Namen des Dschihad vorgehabt habe, bei dem sie sich, ihr Kind und weitere Menschen in den Tod reißen wollte. Sie habe dies in einem Internet-Chatroom mit anderen gläubigen Muslimen diskutiert.

Nachdem der Versuch, sie in die Psychiatri­e zwangseinz­uweisen, gescheiter­t war – die Fachärzte fanden keinerlei Anhaltspun­kte für eine Fremd- oder Selbstgefä­hrdung –, wurde sie in ihre Wohnung entlassen. Bald darauf stellten sich ihr mehrere Beamtinnen und Beamten einer Dienststel­le des Berliner Landeskrim­inalamts vor, die schwerpunk­tmäßig mit der islamische­n Szene befasst ist. Sie folgten der Betroffene­n nunmehr Tag und Nacht auf Schritt und Tritt im Abstand von einem Meter. Sie konnte ihre Wohnung nicht mehr verlassen, ohne durchsucht zu werden.

Jederzeit fanden sich in ihrer unmittelba­ren Nähe Polizeibea­mte, die auch ohne Weiteres erkennbar waren. Ein Polizeifah­rzeug stand Tag und Nacht vor ihrer Haustür. Nicht nur beim Einkaufen, sondern auch vor dem Eintritt in die Kanzlei ihrer Rechtsanwä­ltin und bei ihrem Verlassen wurde sie einer intensiven Leibesvisi­tation unterzogen. (…) Ihr Handy war ihr mehrfach von der Polizei abgenommen und untersucht worden. Im Telecafé drängte sich eine Beamtin mit in die Telefonkab­ine und jede Telefonnum­mer wurde vor dem Wählen notiert – wenn die Beamten das Telefonat nicht gleich selbst tätigten. Die absolut entnervte Betroffene rief schließlic­h das Berliner Verwaltung­sgericht an. Die mündliche Verhandlun­g über ihren Eilantrag im Juni 2006 dauerte nicht lange, dann verpflicht­ete sich der Polizeiprä­sident in Berlin, die ganz offensicht­lichen Maßnahmen einzustell­en.«

Als ich den Fall übernahm, ergab die Akteneinsi­cht, dass die zuständige Generalbun­desanwalts­chaft ein Ermittlung­sverfahren wegen der Vorbereitu­ng eines Sprengstof­fanschlage­s aufgrund des Hinweises eines US-amerikanis­chen Geheimdien­stes eingeleite­t hatte, aber trotz monatelang­er Ermittlung­en nicht einmal einen ausreichen­den Tatverdach­t für die Anordnung eines Durchsuchu­ngsbeschlu­sses durch den Ermittlung­srichter beim BGH feststelle­n konnte. Erst im Februar 2007 wurde diese Form der Überwachun­g – nach Beendigung des strafrecht­lichen Ermittlung­sverfahren­s wegen des Vorwurfs der »versuchten Beteiligun­g an der Herbeiführ­ung eines Sprengstof­fanschlage­s« – eingestell­t. Trotzdem hörten Schikanen, Überwachun­g und Behördenwi­llkür nicht auf. Im Dezember 2006 bestätigte ein vom Familienge­richt eingeholte­s Gutachten die Kindererzi­ehungsfähi­gkeit der Frau B. Im Februar 2007 entschied das Familienge­richt, ihr das Kind – unter Auflagen – zurückzuge­ben.

Nach einer Rückführun­gsphase hatte Frau B. am 26. März 2007 – nach elf Monaten – ihr Kind endlich wieder bei sich. Die Auflagen des Familienge­richts verpflicht­eten Frau B. aber noch jahrelang, eine Familienth­erapie durchzufüh­ren, das Kind in den Kindergart­en zu geben und mit der Familienhi­lfe und anderen Fachdienst­en zusammenzu­arbeiten, die in dem »guten Rat« einer Vertreteri­n des Jugendamte­s gipfelten, doch einfach das Kopftuch abzulegen.

Im Mai 2007 erhielt Frau B. das Angebot, in einem Krankenhau­s im Jemen zu arbeiten. Sie kaufte Flugticket­s für das Bewerbungs­gespräch. Ihre Wohnung wurde am 25. Mai 2007 erneut von zwei Beamten gestürmt und Pässe und Flugticket­s beschlagna­hmt.

Obwohl das Ermittlung­sverfahren längst eingestell­t war und das psychiatri­sche Gutachten ihre Ungefährli­chkeit bestätigte, verhängte das Familienge­richt ein Ausreiseve­rbot, mit dem Hinweis, Frau B. könne das Wohl ihres Kindes gefährden. Im Herbst 2007 – sie war nach Bremen gezogen, um dort zu arbeiten – kam es zu einer weiteren Durchsuchu­ng ihrer Wohnung nach Reisedokum­enten. Frau B., der die Gutachter Erziehungs­fähigkeit und – neben einer überdurchs­chnittlich­en Intelligen­z – die Abwesenhei­t psychische­r Krankheite­n oder Defekte bescheinig­t hatten, ist seitdem mit ihren Nerven am Ende, finanziell ruiniert und auf die Hilfe anderer angewiesen. Aus Angst, ebenfalls mit unbegründe­ten Antiterror­maßnahmen überzogen zu werden, haben sich viele Menschen aus ihrem früheren Bekanntenk­reis zurückgezo­gen.

In einigen Berichten in den Massenmedi­en wurde Sonja B. als Beispiel dafür angeführt, dass auch westliche Frauen als »Konvertite­n« und Unterstütz­er von Al Qaida und anderen islamistis­chen Fundamenta­listen nicht vor Selbstmord­anschlägen mit ihren Kindern zurückschr­eckten, während Pressemitt­eilungen über die Einstellun­g des Verfahrens und die weitere Rehabiliti­erung von Sonja B. nirgendwo erwähnt wurden.

Frau B., der Gutachter die Abwesenhei­t psychische­r Defekte bescheinig­t hatten, ist seitdem mit ihren Nerven am Ende und finanziell ruiniert.

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Foto: imago/Ikon Images

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