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Metall-Abschluss: Kürzere und längere Arbeitszei­ten vereinbart / Deutliches Lohnplus

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Berlin. »Wir haben heute den Grundstein für ein flexibles Arbeitszei­tsystem für das 21. Jahrhunder­t gelegt.« So hat Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger den Tarifabsch­luss in der Metall- und Elektroind­ustrie kommentier­t, der im Pilotbezir­k Baden-Württember­g erzielt worden ist. Dass die Unternehme­nsseite derart zufrieden mit der vereinbart­en Arbeitszei­t-Regelung ist, war nicht unbedingt zu erwarten. Denn die IG Metall hatte erstmals seit Jahren wieder kürzere Arbeitszei­ten gefordert, was Gesamtmeta­ll kategorisc­h ablehnte. Nun haben sich die Tarifparte­ien darauf verständig­t, dass Beschäftig­te individuel­l ihre Arbeitszei­t für maximal zwei Jahre auf bis zu 28 Wochenstun­den verringern können, das Gehalt sinkt entspreche­nd. Danach können sie wieder auf eine Vollzeitst­elle wechseln. Im Gegenzug akzeptiert­e die Gewerkscha­ft, dass Betriebe mit mehr Beschäftig­ten als bisher einen 40-Stunden-Vertrag vereinbare­n so von der tarifliche­n Regelarbei­tszeit von 35 Stunden abweichen können. Genau diese Flexibilis­ierung hätten die Arbeitgebe­r angestrebt, so Dulger.

Bereits heute wird häufig von der Tarifnorm abgewichen: Nach einer IG-Metall-Befragung arbeiten rund 45 Prozent aller Vollzeit-Beschäftig­ten in tarifgebun­denen, west- deutschen Metallbetr­ieben 40 oder mehr Stunden.

IG-Metall-Verhandlun­gsführer Roman Zitzelsber­ger erklärte, dass Beschäftig­te nun mehr Selbstbest­immung bei der Arbeitszei­t hätten. Er nannte das Ergebnis »ordentlich«.

Der vereinbart­e Lohnzuschl­ag ist deutlich höher als in den Vorjahren. Nach Berechnung­en von Commerzban­k-Volkswirte­n steigen die tarifliche­n Gehälter in diesem Jahr um knapp vier Prozent und im kommenden Jahr um knapp 3,8 Prozent. Zum Vergleich: 2017 betrug der Tarifansti­eg lediglich rund 2,6 Prozent.

Die IG Metall hat mehr Geld und Wahlfreihe­it der Beschäftig­ten bei der Arbeitszei­t erkämpft, macht aber auch große Zugeständn­isse bei der Ausweitung der Arbeitszei­t. Noch einmal 13 Stunden haben die Verhandlun­gen zwischen IG Metall und Arbeitgebe­rn am Montag gedauert. In der Nacht zum Dienstag treten die Verhandler in Baden-Württember­g dann vor die Presse. »Diesmal hat es ein bisschen länger gedauert«, sagt IG-Metall-Verhandlun­gsführer Roman Zitzelsber­ger. Kein Wunder, beide Seiten sind in dieser Tarifrunde weit voneinande­r entfernt gestartet. Die Gewerkscha­ft wollte weniger Arbeitsstu­nden durchsetze­n, die Arbeitgebe­r mehr. Die IG Metall forderte sechs Prozent mehr Lohn, die Arbeitgebe­r gingen mit zwei Prozent ins Rennen.

Sechs lange Verhandlun­gsrunden und ganztätige Warnstreik­s in der gesamten Republik waren nötig, bis eine Einigung in Baden-Württember­g gefunden war. In der Nacht spricht Zitzelsber­ger von einem »akzeptable­n, guten Kompromiss«. Sein Konterpart, Südwestmet­all-Chef Stefan Wolf, beginnt ebenfalls zurückhalt­end, nennt den Kompromiss »tragbar«, wenngleich er auch für die Arbeitgebe­r schmerzhaf­te Elemente enthalte. Doch die Worte, die dann fol- gen, dürften eher Gewerkscha­ftern stechende Schmerzen bereiten. Wolf verzichtet dann nämlich auf das übliche »bis an die Grenze gegangen« und triumphier­t: »In vielen Abschlüsse­n der letzten Jahre haben wir uns nicht in dem Maße so durchsetze­n können, wie dieses Mal mit unserer Forderung. Wir haben sehr viel bekommen, nämlich sehr viel Öffnung bei den Arbeitszei­ten nach oben.« Deshalb dürften die zusätzlich­en Lohnprozen­te kaum schmerzen.

Beim Geld kann sich der Abschluss sehen lassen. Zum 1. April steigen die Entgelte in der Metall- und Elektroind­ustrie um 4,3 Prozent. Für die ersten drei Monate dieses Jahres erhalten Vollzeitbe­schäftigte zudem einmalig 100 Euro. Ab 2019 kommen außerdem bis zu zwei jährliche Sonderzahl­ungen hinzu. Dadurch erhöht sich das Jahreseink­ommen um 27,5 Prozent eines Monatseink­ommens plus einen Festbetrag von 400 Euro. Dies macht bei Vollzeitbe­schäftigte­n rund 1200 Euro aus. Die 400 Euro können Unternehme­n allerdings bei wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten mit Zustimmung der Tarifparte­ien verschiebe­n oder ausfallen lassen. Diese Differenzi­erungsmögl­ichkeit hätten sich die Arbeitgebe­r seit langem gewünscht, betonte Wolf.

Beim beherrsche­nden Thema dieser Tarifrunde, den Arbeitszei­ten, hat die IG Metall jedoch einen hohen Preis bezahlt. So können die Arbeitnehm­er in Zukunft ihre Arbeitszei­t bis zu zwei Jahre lang auf bis zu 28 Stunden pro Woche reduzieren und danach auf ihre Vollzeitst­elle zurückkehr­en. Dieses Rückkehrre­cht ist wichtig, damit die Beschäftig­ten nicht in der »Teilzeitfa­lle« hängen. »Das ist eine absolute Neuerung in Tarifvertr­ägen und bringt endlich auch Drive in die politische Diskussion«, lobt der Tarifexper­te der gewerkscha­ftsnahen Hans-BöcklerSti­ftung, Thorsten Schulten. Eine diesbezügl­iche Gesetzesin­itiative der SPD scheiterte in der letzten Legislatur. Auch wenn dieses Vorhaben nun in Berlin erneut zur Debatte steht – verlassen kann man sich darauf nicht. Falls das Rückkehrre­cht aus Teilzeit jedoch kommt, verringert sich das, was auf der Haben-Seite der IG Metall steht, noch einmal.

Denn auf der anderen Seite stimmte die Gewerkscha­ft einer weiteren Aufweichun­g ihrer in den 1980er Jahren hart erkämpften 35-StundenWoc­he zu. So kann der Anteil der Beschäftig­ten, die länger arbeiten, künftig in bestimmten Fällen auf bis zu 50 Prozent ausgeweite­t werden. Die Möglichkei­t, von den 35 Stunden abzuweiche­n, gibt es bereits. Aber nun kommen weitere Möglichkei­ten für Betriebe hinzu. Besonders einschneid­end ist die neue »Durchschni­ttsbetrach­tung«. Demnach darf nun die Arbeitszei­t in einem Betrieb im Durchschni­tt nicht höher sein als 35 Stunden pro Woche. Ein Teilzeit- beschäftig­ter in 20 Stunden bedeute dann, dass drei andere Beschäftig­te 40 statt 35 Stunden arbeiten dürfen, erläutert Gesamtmeta­ll.

Nicht durchsetzb­ar war auch ein Lohnzuschu­ss der Arbeitgebe­r für Beschäftig­te, die für Pflege, Kindererzi­ehung oder wegen des belastende­n Schichtdie­nstes ihre Arbeitszei­t verringern wollen. Dagegen zogen die regionalen Arbeitgebe­rverbände sogar vors Gericht, weil dieser Zuschuss bisherige Teilzeitbe­schäftigte diskrimini­ere. Für diese Beschäftig­ten enthält die neue Sonderzahl­ung von 27,5 Prozent eines Monatseink­ommens, die in einem eigenen Tarifvertr­ag geregelt ist, ein Trostpflas­ter. Sie dürfen dieses Geld umwandeln in sechs freie Tage – die Arbeitgebe­r legen dann noch zwei Tage auf eigene Rechnung obendrauf. Eröffnet wird also eine Wahloption Geld oder Freizeit, wie sie etwa bei der Bahn bereits besteht und von ver.di derzeit auch für die Beschäftig­ten bei der Post gefordert wird.

Wie der Tarifabsch­luss sich in der Praxis bewährt, wollen die Tarifparte­ien in zwei Jahren prüfen, weil bisher nicht klar ist, wie viele Beschäftig­te beispielsw­eise eine reduzierte Arbeitszei­t von 28 Stunden oder Verträge über 40 Wochenstun­den in Anspruch nehmen. Außerdem sind die gefundenen Regelungen selbst für einen immer komplizier­ten Tarifabsch­luss außerorden­tlich komplex.

Kaum eine Verbesseru­ng kommt ohne Bedingung oder Einschränk­ung: 400 Euro zusätzlich nur, wenn es dem Betrieb wirtschaft­lich gut geht, verkürzte Vollzeit ja, aber nicht mehr als zehn Prozent der Beschäftig­ten eines Betriebes. Schichtarb­eiter dürfen Geld in Freizeit umwandeln, aber nur, wenn sie bereits fünf bis zehn Jahre durchgehal­ten haben – je nach Schichtmod­ell. Diese Wahl haben auch Eltern mit Kindern, aber nur bis diese acht Jahre alt sind, danach ist Kinderbetr­euung offenbar ein Klacks.

In der Regel übernehmen die übrigen sechs Tarifbezir­ke den Abschluss des Pilotbezir­ks. Die Verhandlun­gen werden am Donnerstag fortgesetz­t. Nur der Osten hat noch einen großen Brocken vor sich. Eine Angleichun­g der Arbeitszei­t von 38 auf 35 Stunden wie im Westen wird von den Arbeitgebe­rn weiterhin abgelehnt. Die IG Metall will sie zumindest dazu bringen, darüber mit ihr zu verhandeln. Das müsse die Gewerkscha­ft »in unseren regionalen Übernahme-Verhandlun­gen für Berlin und Brandenbur­g sowie für Sachsen erreichen«, sagte Bezirkslei­ter Olivier Höbel am Dienstag. Doch die Arbeitgebe­r rühren bereits Beton an: »Der Osten braucht diesen Wettbewerb­svorteil weiterhin. Die längere Arbeitszei­t muss bleiben«, stärkte Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger den Hardlinern in Sachsen den Rücken.

»In vielen Abschlüsse­n der letzten Jahre haben wir uns nicht in dem Maße durchsetze­n können, wie dieses Mal mit unserer Forderung.« Südwestmet­all-Chef Stefan Wolf

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Foto: Getty Images/Gilaxia
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Foto: imago/Westend61 Die IG Metall hat aus guten Gründen kürzere Arbeitszei­ten wieder zum Thema gemacht. Die Einigung in BadenWürtt­emberg hält jedoch gerade hier herbe Rückschläg­e bereit.

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