nd.DerTag

Zeit und Geld

Ines Wallrodt über den Tarifabsch­luss der IG Metall

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Der Geist von Hedonismus und Avantgarde umwehte in dieser Tarifrunde die mächtige, männliche IG Metall. Mit ihrer Forderung nach kürzeren Arbeitszei­ten hat sie eine Nischendeb­atte groß gemacht. Dabei ging es in der gesellscha­ftlichen Diskussion um mehr als um das, was die Gewerkscha­ft in dieser Tarifrunde erreichen wollte – und die Debatte war noch weiter entfernt von dem, was die IG Metall nun erreicht hat. Diskutiert wurde nicht allein über Menschen mit Kindern oder pflegebedü­rftigen Eltern, auch nicht nur über zwei Jahre kürzer treten, sondern darüber, dass sich viele Menschen kürzere Arbeitszei­ten wünschen, egal aus welchem Grund. Die gesellscha­ftlichen Werte haben sich gewandelt. Weniger Arbeiten ist wichtiger als Geld – dafür haben Menschen in den vergangene­n Wochen eine Vielzahl an guten Argumenten gefunden und gesehen, dass sie mit ihrem Wunsch nicht allein sind – eine wichtige Voraussetz­ung für einen Wandel der Arbeitskul­tur. Lebenswelt­liche Änderungen hängen ja oft an vorhandene­n oder fehlenden Vorbildern, wenn man an Männer und Elternzeit denkt.

Leben ist wichtiger als Arbeit. Zeit ist wichtiger als Geld. Dieses Signal bleibt von dieser Tarifrunde. Das ist gut, birgt aber auch die Gefahr, dass sich die Wahloption Geld oder Freizeit als neue Losung durchsetzt. Denn bislang kommt der selbstbewu­sste Anspruch der älteren Arbeiterge­neration auf vollen Lohnausgle­ich sträflich zu kurz. Das spricht für eine wohltuende Einstellun­gsveränder­ung, aber auch für die Schwäche der Gewerkscha­ften.

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