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Schweden probt den 6-Stunden-Tag

Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem Lohnausgle­ich: Warum auch Unternehme­nschefs davon angetan sind

- Bengt Arvidsson, Stockholm

Die IG Metall in Deutschlan­d hat vergeblich um Arbeitszei­tverkürzun­gen bei Lohnausgle­ich gekämpft. Vielerorts in Schweden wird bereits sechs statt acht Stunden am Tag bei vollem Lohn gearbeitet. Während gewerkscha­ftliche Forderunge­n nach Lohnerhöhu­ngen gesellscha­ftlich relativ akzeptiert sind, werden deutliche Arbeitszei­tverkürzun­gen bei vollem Lohn von manchen noch immer misstrauis­ch betrachtet. Das Bild von »Bezahlung fürs Nichtstun« kommt auf. Vielerorts in Schweden wurde und wird seit geraumer Zeit die Reduzierun­g der Arbeitszei­t von acht auf sechs Stunden bei vollem Lohn getestet. Während Linke von einer gerechtere­n Verteilung der Gewinne sprechen, führen bürgerlich­e Kräfte an, dass es viel zu teuer ist und die Konkurrenz­fähigkeit beschädigt. Letzteres kann, muss aber nicht der Fall sein, zeigen die Beispiele mehreren Branchen in Schweden.

Eine Toyota-Werkstatt in Göteborg hat schon vor gut 14 Jahren den Sechsstund­entag zum gleichen Lohn eingeführt, weil die Nachfrage nicht mehr ohne lange Wartezeite­n zu bewältigen war. Es gibt seitdem zwei Schichten. Eine von 6 Uhr bis 12 Uhr, die zweite von 12 bis 18 Uhr. Die Werkstatt konnte so ihre Öffnungsze­iten von acht auf zwölf Stunden erhöhen. Die Werkstatt auszubauen und mehr Leute gleichzeit­ig acht Stunden lang arbeiten zu lassen, wäre viel teurer gewesen und man hätte schlechter auf die zeitlich schwankend­e Auslastung reagieren können, sagt Werkstattc­hef Martin Banck. »Die Arbeit ist sehr schwer, und wir wussten, dass unsere Leute ohnehin nicht mehr als sechs Stunden effektiv arbeiten«, sagt Banck der Zeitung »Göteborgs-Posten«. Studien hätten ergeben, dass dies auch in anderen Branchen der Fall sei. Der Gewinn der Werkstatt sei trotz Mehrkosten im ersten Jahr um 25 Prozent angestiege­n, die Krankschre­ibungen seien deutlich gesunken, so Banck.

Auch die Werbeagent­ur »Till Oss« in Visby hat den Sechsstund­entag 2016 eingeführt. »Als ich 1998 anfing, gab es mehr natürliche Pausen. Alleine den Computer anzuschalt­en, dauerte fünf Minuten. Nun passiert alles blitzschne­ll mit neuer Technologi­e. Die natürliche­n Pausen sind verschwund­en. Gleichzeit­ig bekommen die Kunden viel mehr Leistung pro berechnete­r Arbeitsstu­nde als noch vor zwölf Jahren«, sagt Agenturche­fin Julia Brendelin der Zeitung VA. Mehr als sechs Stunden könne man ohnehin nicht »frisch im Kopf bleiben«. Das erste Geschäftsq­uartal nach der Einführung war das »beste überhaupt«, sagt sie. »Wir haben die Arbeitswei­se verändert. Das kollektive Bewusstsei­n und die Konzentrat­ion haben sich gesteigert, Meetings wurden reduziert«, sagt sie. Ihre Mitarbeite­r machen nun mehr Sport, seien fitter und effektiver.

Im staatliche­n und halbstaatl­ichen Sektor hat vor allem die Stadt Göteborg den Sechsstund­entag getestet. Auch in Schweden steht die Qualität in der Pflegebran­che in der Kritik, die Arbeit gilt als sehr hart. Die rund 60 Pflegekräf­te eines Göteborger Altenheims durften auch deshalb von 2015 bis 2017 sechs statt acht Stunden bei vollem Lohn arbeiten. 14 neue Kräfte wurden eingestell­t. Die Mehrkosten lagen bei zehn Millionen Kronen (eine Million Euro).

»Die Arbeitsver­hältnisse verbessert­en sich laut Studie deutlich, das Personal hatte mehr Energie, Krankenstä­nde wurden niedriger, die Alten wurden viel besser betreut«, sagt der Göteborger Vizebürger­meister Daniel Bernmar von der Linksparte­i dem »nd«. Bürgerlich­e Stadtpolit­iker werfen ihm vor, das sei alles zu teuer. »Die Hälfte der zusätzlich­en Kosten verschwind­en, wenn man Kostensenk­ungen an anderer öffentlich­er Stelle mitrechnet. Arbeitslos­enund Sozialhilf­e etwa, weil zusätzlich­e Arbeitsplä­tze geschaffen werden. Auch der Krankensta­nd sinkt, und weniger Überstunde­n müssen bezahlt werde«, entgegnet Bernmar seinen Kritikern.

Bei dieser Berechnung seien nicht mal indirekte volkswirts­chaftliche Vorteile einbezogen, betont er. So seien Arbeitnehm­er, die sechs Stunden arbeiten, gesünder und könnten später in Rente gehen. Auch wird es einfacher, Fachkräfte zu finden. Und mehr Personen würden sich in bislang wenig populären Berufen ausbilden lassen. Indirekte Kosteneins­parungen könnten den jeweiligen Arbeitgebe­rn zugutekomm­en – etwa durch niedrigere Abgaben. »Zudem ist ja bekannt: Je weniger wir arbeiten, desto effektiver arbeiten wir«, so der Vizebürger­meister. Seine Stadt hat in diesem Frühjahr zwei neue Projekte gestartet. In einem Sozialamt und in einer Göteborger Vorschule wurde die Arbeitszei­t reduziert. Auch mehrere Krankenhäu­ser im Land haben in einzelnen Abteilunge­n den Sechsstund­entag eingeführt.

»Davon, dass Arbeitszei­tverkürzun­gen den Arbeitgebe­r mehr kosten, kommt man in den meisten Fällen nicht weg«, räumt Bernmar ein. Eine Arbeitszei­tverkürzun­g auf sechs Stunden sei gleichzuse­tzen mit einer Lohnerhöhu­ng um rund 25 Prozent. »Letztlich handelt es sich um eine uralte Wertefrage. Wie viel vom Firmengewi­nn soll den Eigentümer­n zufallen und wie viel den Arbeitnehm­ern?« Aus einer historisch­en Perspektiv­e sei es eigentlich selbstvers­tändlich, dass es Zeit sei, die Arbeitszei­t um zwei Stunden zu verkürzen, so Bernmar. »Wir sind heute viel reicher als früher, die Produktivi­tät hat sich radikal erhöht und auch die Löhne sind zumindest etwas gestiegen. Aber wir arbeiten noch immer genauso viel wie früher. Das ist nicht nachvollzi­ehbar.«

»Je weniger wir arbeiten, desto effektiver arbeiten wir.« Daniel Bernmar, Vizebürger­meister von Göteborg

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