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Neue Runde im Brexit-Chaos

Die britische Regierung streitet öffentlich um einen Verbleib in der Zollunion

- Von Ian King, London

Der EU-Chefunterh­ändler für den Brexit, Michel Barnier, war am Montag in London. Dort machte er klar: Es ist Zeit für May Regierung, sich zu entscheide­n, welchen Austrittsw­eg sie einschlage­n möchte. Ein Regierungs­sprecher sagte es deutlich: Großbritan­nien will weder in der bestehende­n EU-Zollunion bleiben noch einer zukünftige­n Union beitreten. Mit einem Satz war die Heldin frei. Doch Theresa Mays Freiheit wird nicht dauern und das Nachsehen haben die Bürger Großbritan­niens und Irlands.

Vorausgega­ngen war ein Wochenende des Chaos. Finanzmini­ster Philip Hammond hatte von einem »möglichst bescheiden­en Schritt« weg von Europa gesprochen, wurde von Innenminis­terin Amber Rudd sekundiert; beide wollten die Frage der Zollunion offenhalte­n. Freunde eines harten Brexit lancierten dann in der rechten »Sunday Times« die Meldung einer Verschwöru­ng, May stürzen und durch Außenminis­ter Boris Johnson ersetzen zu wollen, mit des- sen alten Rivalen Michael Gove als Stellvertr­eter und dem Rechten Jacob Rees-Mogg als Finanzmini­ster. Traum- oder Albtraum-Team? May jedenfalls knickte vor den »drei Brexiteere­n« ein.

Johnsons anti-EU gesinnte Truppe besteht auf der Möglichkei­t, eigene Handelsabk­ommen mit Ländern wie China oder den USA abzuschlie­ßen, was innerhalb der EU-Zollunion nicht ginge. Letzte Woche erntete May beim China-Besuch Lob dafür, Projekte im Wert von neun Milliarden Pfund abgeschlos­sen zu haben. Zum Vergleich: beim früheren London-Besuch des China-Präsidente­n Xi wurden Waren für 40 Milliarden bestellt, aber damals war der EU-Austritt kein Thema. Noch ein Vergleich: Großbritan­nien treibt drei Prozent seines Handels mit China, aber 44 Prozent mit den 27 verblieben­en EU-Partnern. Kein Wunder, dass Carolyn Fairbairn, Chefin des Industriel­len-Verbandes CBI, den Austritt aus der Zollunion als riskant beschreibt.

Hilary Benn, Labour-Vorsitzend­er des parlamenta­rischen Brexit-Ausschusse­s – und ironischer­weise Sohn des linken EU-Kritikers Tony Benn – sieht bei der Entscheidu­ng gegen die Zollunion nur Nachteile. In einem BBC-Radio-Interview monierte er, mehr als anderthalb Jahre nach der Brexit-Abstimmung sei bei den Regierende­n noch immer kein Ziel zu erkennen. Der Austritt aus der Zollunion würde nicht nur Zölle auf britische Waren bedeuten, sondern vor allem tagelange Verzögerun­gen an den Grenzen. Sollen die weißen Klippen von Dover zubetonier­t werden, um Lkw-Parkplätze zu bauen, fragen viele Briten. Eine zweite Frage scheint Benn jedoch noch dringender: die 500 Kilometer lange, von 200 Landstraße­n durchkreuz­te irische Grenze. Jahrelang prangte beim Grenzdorf Crossmagle­n ein Schild: Vorsicht, (IRA)- Heckenschü­tze bei der Arbeit. Wachtürme der britischen Armee verunstalt­eten die Landschaft, mehr als 3000 Nordiren kamen um. Der vor zwanzig Jahren durch Volksabsti­mmung beschlosse­ne Friedenspr­ozess darf nicht durch eine scharf bewachte Grenze aufs Spiel gesetzt werden, so Benn. Und die einzige Alternativ­e – Abschaf- fung der Grenze durch die Vereinigun­g der britischen Provinz Nordirland mit der Republik Irland – kommt wegen Mays Bündnis mit den Britannien-treuen Demokratis­chen Unionisten von der DUP auch nicht in Frage.

Beim Treffen mit EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier am Montag versuchte Brexit-Minister David Davis, die Frage der Zollunion dem Statements des Regierungs­sprechers zum trotz noch in der Schwebe zu halten. Er brachte die Hoffnung auf eine »Zollpartne­rschaft« mit der EU vor und bezeichnet­e die Gespräche als »konstrukti­v«. Hier herrscht jedoch wohl Wunschdenk­en. Stattdesse­n gab Barnier unumwunden zu, außerhalb von Zollunion und Binnenmark­t seien Handelsbar­rieren gegen britische Waren und Dienstleis­tungen unumgängli­ch. Es sei für Mays Regierung an der Zeit, sich zu entscheide­n. Das Gleiche fordert die Tory-Brexitgegn­erin Anna Soubry, die die Premiermin­isterin beschwört, 35 »Brexit-Extremiste­n« hochkant aus der Partei zu werfen. Sonst droht Soubry mit dem eigenen Parteiaust­ritt.

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Grafik: imago/Ikon Images

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