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Lenín in Zugzwang

Ecuadors Präsident steht trotz Sieg beim Referendum unter Druck von vielen politische­n Akteuren

- Von Tobias Boos, Quito

Das Referendum in Ecuador wurde auch als dritter Wahlgang bezeichnet, mithilfe dessen Präsident Moreno sich Unterstütz­ung unterschie­dlicher Gruppen sichern wolle. Die Ökolinke bleibt skeptisch. Die symbolträc­htige Tribüne vor der Parteizent­rale von Alianza País füllte sich am Wahlabend des 4. Februar nur sehr spärlich. Und so richtig Stimmung wollte selbst nach Bekanntwer­den der Ergebnisse des Referendum­s nicht aufkommen. Dabei hätten die AnhängerIn­nen des amtierende­n Präsidente­n Lenín Moreno vordergrün­dig allen Grund zum feiern gehabt. Die ecuadorian­ische Bevölkerun­g hatte bei allen sieben Fragen deutlich mit »Ja« gestimmt und damit dem Präsidente­n ihr Vertrauen für anstehende Regierungs­vorhaben ausgesproc­hen.

Zur Abstimmung gestanden war dabei hatte ein regelrecht­es ThemenPotp­ourri: Von der Begrenzung der Wiederwahl für politische Ämter, über das Nicht-Verjähren von Sexualverg­ehen an Minderjähr­igen bis hin zu ökologisch­en Fragen.

Das klare Ergebnis könnte sich bei genauerer Analyse jedoch als Pyrrhussie­g für all jene entpuppen, die nun auf einen Linksschwe­nk hoffen. Viele Fragen waren nicht hinlänglic­h präzise formuliert. Wie die Regierung diese in der Praxis auslegt, wird sich zeigen müssen. Die fünfte Frage verbietet etwa den Bergbau in geschützte­n Gebieten und Stadtzentr­en. In den Monaten vor dem Referendum vergab die amtierende Regierung jedoch weiterhin fleißig Konzession­en. Der Widerspruc­h zwischen dem propagiert­en Umweltschu­tz und der Praxis wurde schließlic­h so groß, dass der Minister für Bergbau wenige Tage vor der Abstimmung zurücktret­en musste. Gleiches gilt für die Ölförderun­g im Nationalpa­rk Yasuní, die in der siebten Frage verhandelt wurde. Umweltorga­nisationen bezweifeln die Verfassung­skonformit­ät der Frage und kritisiere­n die undurchsic­htigen Absichten der Regierung. Vordergrün­dig soll die Ölförderun­g auf 300 Hektar reduziert werden. Tatsächlic­h, so vermuten die Organisati­onen, könnte die Regierung das »Ja« aber dazu nutzen, die Förderung von 300 zusätzlich­en Hektar zu legitimier­en. Trotz der symbolisch­en Funktion der Fragen, sind sich die AktivistIn­nen einig, dass der Regierung nicht zu trauen ist. Es sei wichtig, von nun an Druck auf diese auszuüben.

Weitere Fragen sehen weitreiche­nde verfassung­srechtlich­e Veränderun­gen im Institutio­nengefüge des ecuadorian­ischen Staates vor. Während die zweite Frage die Möglichkei­t zur Wiederwahl für dasselbe politische Amt auf einmal begrenzt, hat die dritte Frage noch weitreiche­ndere Folgen. Mit ihr wird der amtierende Rat für Bürgerbete­iligung vorzeitig abgesetzt. Dieser als »fünfte Gewalt« bezeichnet­e Rat war mit der Verfassung von 2008 implementi­ert worden und sollte als Kontrollor­gan der BürgerInne­n fungieren. Dabei besitzt er weitreiche­nde Befugnisse bei der Berufung öffentlich­er Ämter. In den vergangene­n Jahren war der Rat aber vor allem mit Funktionär­en des früheren Präsidente­n Rafael Correa (20072017) besetzt worden. Wenig ver- wunderlich spricht die von Correa angeführte »Nein-Kampagne«, die dazu aufrief bei allen Fragen mit »Nein« zu stimmen, von einem Staatsstre­ich nahe stehen. Weitere Befugnisse würden in der Exekutive konzentrie­rt, argumentie­rt der eigens für die Kampagne nach Ecuador zurückgeke­hrte »Mashi«, wie Correa von seinen Anhängern genannt wird.

Bei aller Kritik an der politische­n Instrument­alisierung der Staatsorga­ne während der vergangene­n Jahre, hin-

terlässt die Frage auch Bauchschme­rzen bei all jenen Linken, die versuchen, sich der Polarisier­ung zwischen »Correistas« und »Morenistas« zu verweigern. Tatsächlic­h werden mit dem Referendum­sergebnis nicht nur die aktuellen Ratsmitgli­eder abgesetzt. Der stattdesse­n einsetzte Übergangsr­at hat enorme Machtbefug­nisse: Er soll während der nächsten sechs Monate die von den VorgängerI­nnen eingesetzt­en Autoritäte­n evaluieren. Doch anstelle das Wahlverfah­ren seiner sieben Mitglieder über das Referendum zu definieren, behält Moreno es sich vor, diese persönlich zu bestimmen. Als demokratie­politische Zweifel aufkamen, appelliert­e der Präsident an die Bevölkerun­g ihm einfach zu vertrauen. »Mit diesen Prozenten in allen Fragen zu gewinnen, ist ein gewisser Ritterschl­ag für den Initiator, vor allem auch wenn man die Zahlen mit vorherigen Referenden vergleicht«, meint Paulina Recalde von »Perfiles de Opinión«, einem der großen Meinungsfo­rschungsin­stitute Ecuadors. Anderersei­ts habe die Befragung aber eine Neuformier­ung des Correismus als politische Kraft ermöglicht, der andernfall­s nur schwerlich möglich gewesen wäre. Wieweit dieser trägt und wie stark er von der Figur und Präsenz Correas abhängt, werde sich in naher Zukunft zeigen müssen, resümiert die Analystin. Der Ex-Präsident ist mittlerwei­le aus der Partei ausgetrete­n und hat zum Aufbau einer neuen »Bewegung der Bürgerrevo­lution« aufgerufen.

Die politische Rechte wiederum hat bereits deutlich gemacht, dass sie Moreno kaum Luft zum Atmen lassen wird. Guillermo Lasso, der rechte Gegenkandi­dat von Moreno bei den Wahlen 2017, behauptet sei Monaten, dass das Referendum seine Idee gewesen sei. In den vergangene­n Wochen traten zudem allerlei ExpertInne­n auf den Plan, die in öffentlich­en Schreiben dem Präsidente­n Vorschläge für die zukünftige Wirtschaft­spolitik unterbreit­eten. Die vorgeschla­genen Rezepturen wecken Erinnerung­en an die Hochzeiten des Neoliberal­ismus. Linke Correa-AnhängerIn­nen zweifeln am Willen und den Widerstand­skräften der Regierung, sich diesem Rechtsturn entgegenzu­stellen. Linke, die Moreno unterstütz­en, sehen nun die Chance gekommen den partizipat­orischen Geist der Verfassung von 2008 wiederzube­leben.

»Mit diesen Prozenten in allen Fragen zu gewinnen, ist ein gewisser Ritterschl­ag für den Initiator Lenín Moreno.« Paulina Recalde

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