nd.DerTag

Mehr Mitte, weniger Marzahn

Zahl rechter Aufmärsche gesunken / Fokus weg von Bezirken hin zu Entscheidu­ngsträgern

- Von Johanna Treblin

Nach dem Höhepunkt rechter und asylfeindl­icher Kundgebung­en im Jahr 2015 hat sich deren Zahl halbiert. Einzelne Veranstalt­ungen wie den Heß-Marsch wertet das apabiz als Erfolg für die rechte Szene. Die Zahl rechter und asylfeindl­icher Kundgebung­en ist 2017 noch einmal gesunken. Gegenüber 2015 hat sich die Zahl damit fast halbiert, berichtet das »antifaschi­stische pressearch­iv und bildungsze­ntrum« (apabiz). 2015, als vor allem die »Nein zum Heim«-Kundgebung­en in die Höhe schnellten, hatte das apabiz 234 Proteste gezählt. 2016 waren es 177 und 2017 nur noch 120 derartiger Veranstalt­ungen.

Die Autoren des Dossiers »Auf ausgetrete­nen Pfaden« nennen für den Rückgang vor allem zwei Gründe: Sowohl 2016 als auch 2017 wurden vergleichs­weise wenige Flüchtling­sheime eröffnet, womit auch die Zahl der konkreten Anlässe für asylfeindl­iche Proteste zurückgega­ngen ist. Vor allem aber sieht das apabiz den Aufstieg der AfD als ursächlich: Mit dem Einzug der asylfeindl­ichen Partei zunächst in das Berliner Abgeordnet­enhaus und im vergangene­n Jahr in den Bundestag hegen viele AfD-Anhänger die Hoffnung, dass ihre Anliegen nun im Parlament Gehör finden und ihre Ziele auf diesem Weg auch praktisch umgesetzt werden.

So konzentrie­ren sich die rechten Straßenpro­teste auch auf den Bezirk Mitte. »Hier zeigt sich eine Verschiebu­ng von ›Nein zum Heim‹-Protesten hin zur Adressieru­ng an Politiker«, sagte am Dienstag Kilian Behrens, einer der Autoren. Mit großem Abstand auf dem zweiten Platz folgt Charlotten­burg-Wilmersdor­f, mit nur elf Veranstalt­ungen. Verantwort­lich für die Häufung ist vor allem der Berliner Pegida-Ableger Bärgida. Zu den Bärgida-Protesten treffen sich regelmäßig jeden Montag rund 30 Personen zumeist am Hauptbahnh­of. Sie halten entweder direkt dort eine Kundgebung ab oder »spazieren« durch die Stadt – besonders oft wählten sie im vergangene­n Jahr dafür Charlotten­burg-Wilmersdor­f aus.

Am erfolgreic­hsten für die rechte Szene war 2017 aus Sicht des apabiz der Rudolf-Heß-Gedenkmars­ch am 19. August. Daran nahmen rund 1200 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebi­et teil. »Es war ein Erfolg, dass der Marsch überhaupt stattfinde­n konnte«, sagte Autor Frank Metzger und verwies auf das sogenannte »Wunsiedel-Urteil«: Ein regelmäßig­er Aufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertr­eters am ehemaligen Wohnort seiner Eltern war 2005 gerichtlic­h untersagt, das Urteil dann vom Bundesverf­assungsger­icht bestätigt worden. Berlin hätte sich auf eine ähnliche Argumentat­ion beziehen können, so Metzger: wegen der »Symbolhaft­igkeit« Spandaus als Ort, an dem Heß Selbstmord begangen hatte. Indem die Veranstalt­er aber nicht das Gedenken in den Mittelpunk­t stellten, sondern die Forderung »Gebt die Akten frei« – die Nazis zweifeln den Suizid von Heß an –, sei ein Verbot der Demonstrat­ion schwierig gewesen, ergänzte Au- torin Vera Hanßler. Das hätte aber spätestens erfolgen müssen, als Teilnehmer mit einem Transparen­t an der Spitze des Zuges aufmarschi­erten, auf dem der bekannte Heß-Satz »Ich bereue nichts« zu lesen war. Jegliche Glorifizie­rung des Hitler-Stellvertr­eters hatte die Versammlun­gsbehörde im Voraus verboten. Weil der Marsch trotz Gegenprote­sten fast reibungsfr­ei lief, geht das apabiz davon aus, dass es 2018 eine Wiederaufl­age geben wird.

Der Heß-Marsch ist dem apabiz zufolge ein Beispiel dafür, dass sich Berlin zu einem Ziel bundesweit­er Mobilisier­ungen etabliert habe. Das hätten auch die regelmäßig­en »Merkel muss weg«-Demonstrat­ionen gezeigt, die etwa vierteljäh­rlich immer mehr neonazisti­sche Teilnehmer anzogen. Für 2018 hat der Aufmarsch ein neues Label bekommen: Für den 3. März wird erstmalig unter dem Motto »Nein zur GroKo« zur Demonstrat­ion nach Berlin aufgerufen.

Die NPD hingegen hatte 2017 keine nennenswer­ten Kundgebung­en angemeldet. Zum einen gab es keine sogenannte­n »Ketten-Kundgebung­en« mehr, bei denen die gleichen Teilnehmer am gleichen Tag an verschiede­nen Orten aufmarschi­erten. Zum anderen war die NPD wegen Verfahrens­fehlern nicht zur Bundestags­wahl zugelassen, weshalb sie auch keine Wahlkampfv­eranstaltu­ngen abhalten konnte.

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Foto: imago/IPON Auf den Bärgida-Demonstrat­ionen tummeln sich Neonazis, Reichsbürg­er und anderweiti­g Verwirrte.

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