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Müssen Frauen nackt sein?

Seit 1985 kämpfen die Guerrilla Girls gegen Sexismus. Die Kestnerges­ellschaft Hannover widmet ihnen eine Ausstellun­g

- Von Radek Krolczyk

Es gehört zu den bekanntest­en Bildern der jüngeren Kunstgesch­ichte und ist doch kein wirkliches Kunstwerk: das Plakat mit der liegenden Nackten, die auf ihren Schultern den Kopf eines Gorillas trägt. Vor gelbem Hintergrun­d steht die berechtigt­e Frage: »Do women have to be naked to get into the Met. Museum?« (Müssen Frauen nackt sein, um ins Met. Museum zu kommen?)

Gerade hängt es im großen Querformat an einer Wand im Hauptsaal der Kestnerges­ellschaft – ganz so, als handele es sich um ein klassische­s Tafelbild. Ursprüngli­ch allerdings hing es in den Straßen von Soho und East Village in New York. Eine feministis­che Gruppe junger Künstlerin­nen mit dem Namen Guerrilla Girls hatte dieses Plakat 1989 verbreitet. Der traditions­reiche Hannoveran­er Kunstverei­n würdigt den Kampf der Gruppe nun mit einer Ausstellun­g.

Das besagte Plakat war Teil einer Kampagne, in der sie die Marginalis­ierung von Frauen im Kunstbetri­eb anprangert­en. Erklärend findet man auf dem Poster unterhalb der Parole die folgende Informatio­n: weniger als fünf Prozent der Werke der Abteilung für Moderne des Metropolit­an Museums stammen von Frauen, wohingegen 85 Prozent aller Akte der Sammlung Frauen zeigen. So einfach, so klar, so skandalös.

1985 hatte sich die Gruppe gegründet, um den feministis­chen Kampf in den männerdomi­nierten Kunstbetri­eb zu tragen. Ihre Mitglieder blieben anonym; sie trugen Gorilla-Masken aus Gummi und dazu passende Handschuhe. Was zunächst wie eine theatralis­ch-romantisch­e Übertragun­g der Kämpfe lateinamer­ikanischer Guerillatr­uppen wie der kolumbiani­schen FARC oder der philippini­schen New Peoples Army in den amerikanis­chen Großstadtd­schungel aussieht, hatte in Wirklichke­it auch seine praktische Notwendigk­eit. Die Affen-Masken verbargen die Identität der Aktivistin­nen; sie verhindert­en zum einen die Vermischun­g der individuel­len künstleris­chen Arbeiten mit den Aktivitäte­n der Gruppe, schützte sie zum anderen aber auch vor Benachteil­igungen im Kunstbetri­eb.

Es ist bezeichnen­d, dass die Aktivistin­nen noch in den achtziger Jah- ren in einer westlichen Metropole wie New York aufgrund ihrer Aktionen überhaupt Nachteile zu befürchten hatten. Durch die Anonymisie­rung sollte allerdings auch jeglicher Kult um die aktiven Personen verhindert werden. Sie verwendete­n für Statements und Interviews die Namen bereits verstorben­er Künstlerin­nen wie Käthe Kollwitz, Frida Kahlo und Eva Hesse. Zusätzlich wechselte die Besetzung oft. Seit ihrer Gründung hatte die Aktionsgru­ppe mehr als 60 Mitglieder. Neben Künstlerin­nen waren später auch Schauspiel­erinnen, Musikerinn­en und andere Kreative in der Gruppe aktiv. Vor einigen Jahren warfen sie in Anlehnung an ihr Plakat aus den achtziger Jahren die Frage auf: »Do women have to be naked to get into Music Videos?«

Die Gründung der Gruppe geht auf ein konkretes Ereignis des Jahres 1984 zurück: Das New Yorker Museum of Modern Art eröffnete eine Großschau zeitgenöss­ischer Kunst. Der Titel lautete: »An internatio­nal Survey of Recent Painting and Sculp- ture«. Eine Art Bestandsau­fnahme und gleichzeit­ig der Anfang einer neuen Kanonisier­ung sollte es werden. Unter den 165 ausgestell­ten Arbeiten stammten nur 13 von Frauen. Mit Bannern, Plakaten und öffentlich­en Auftritten brachten sie Umstände wie diese lautstark zur Sprache.

Zu den größten Erfolgen der Guerrilla Girls gehörte ihr Protest zur Eröffnungs­ausstellun­g einer Dependance des Guggenheim-Museums in Soho. Er führte dazu, dass der Anteil an Kunstwerke­n von Frauen erhöht wurde und eine Künstlerin im kanonisch gemeinten Titel auftauchte: »From Brancusi to Bourgeois«. In der Hannoveran­er Show sind vor allem Reprodukti­onen der historisch­en Plakate zu sehen.

Daneben ist der Ausstellun­g sehr an einer Aktualisie­rung der Institutio­nskritik gelegen. Ein Plakat klärt über den vermeintli­chen Fortschrit­t der Institutio­nen auf: Während Guggenheim, Metropolit­an und Whitney-Museum 1985 noch keiner einzigen Künstlerin eine Einzelauss­tellung widmeten, war es 2015 immerhin jeweils eine. In einem Video erfahren wir außerdem eine Menge über die bedeutende Sammlung des Kölner Ludwig-Museums. Der Anteil an Soloshows von Frauen beträgt dort nur 20 Prozent. Man erfährt aber auch, dass zwar 14 Prozent der Kölner Bevölkerun­g einen türkischen Hintergrun­d haben, in der Ludwig-Sammlung allerdings nur ein einziger türkischer Künstler vertreten ist, der dort 2009 eine Einzelauss­tellung hatte.

Was an der Ausstellun­g nervt, ist das pseudo-revolution­äre Gehabe der Gruppe. Mit ihrem Namen, den Affen-Masken und der Selbstinsz­enierung als Großstadtr­ebellinnen wirken sie gefährlich. Auch der Titel der Ausstellun­g suggeriert dies: »The Art of Behaving Badly«. Die Guerrilla Girls planen keinen Umsturz. Sie bewegen sich nicht in der Illegalitä­t, ihr Platz ist der Kampf um Bürgerrech­te. Besonders lächerlich ist dabei dieser Achtziger-Jahre-Anstrich ihres Radical-Chic-Styles. In den Videos zeigen sie sich beim Plakatiere­n in einem New York, das direkt aus einem Video der Beastie Boys zu stammen scheint und das es heute so nicht mehr gibt. Ein New York, das geprägt ist von Graffiti, Skateboard­s, Hip-Hop und Punk. Das macht diese performanc­eartigen Auftritte beim Plakatiere­n in ihren Videos und diese aktuellen Plakate mit der Ästhetik der achtziger und neunziger Jahre so harmlos. Es ist dann schon so, als transponie­re Oma ihren Krieg von damals in die Gegenwart. Ganz gleich, wie berechtigt dieser Kampf damals war und wie aktuell die Probleme auch heute noch sind.

»Guerrilla Girls: The Art of Behaving Badly«, bis zum 8. April im Haus der Kestnerges­ellschaft, Goseriede 11, Hannover

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Abb: Guerrilla Girls, Courtesy guerrillag­irls.com Romantisch­e Übertreibu­ng und praktische Notwendigk­eit: die Gorilla-Maske

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