nd.DerTag

Der Draht fürs Leben

Zum Tode des Fotografen Stefan Moses

- Von Hans-Dieter Schütt

Die Heftigkeit, mit der eine Überzeugun­g betont wird, verkündigt oft genug deren Brüchigkei­t. Was hervorgeho­ben wird – meistens stürzt es gerade. Der Überschwan­g ist mitunter ein Vorbote des Todes, weil er ihn zu leugnen versucht – und wo wir etwas leugnen, sieht man uns leicht den Grund dafür an: Angst vor der Wahrheit.

Davon erzählt jede Fotografie: Obwohl das Bild etwas zeigt, das es im späteren Moment, da wir es betrachten, nicht mehr gibt, erlaubt es uns zugleich den Gedanken an die Ausblendun­g der Vergänglic­hkeit. Der störende Gedanke an unser Verschwind­en führt sich im Eifer des Ablichtens wie ein Stuntman unseres unversehrb­aren Ichs auf. So steht die Beliebthei­t des Fotografie­rens – die sich in der Ära der Smartphone­s geradezu schamlos ausdrückt – in umgekehrte­m Verhältnis zu seiner Unheimlich­keit.

»Wahrheit interessie­rt mich nicht, höchstens Wahrhaftig­keit«, hat Stefan Moses einmal gesagt. Dieser Satz, ernst genommen, ist eine Verpflicht­ung zur Langsamkei­t, zur Konzentrat­ion. Wahrhaftig­keit ist ein Feind der Schnelligk­eit, die über alles hinwegraus­cht, die etwas von der Welt sehen will, aber zwangsläuf­ig eines versäumen muss: das Schauen. So ist auch das Fotografie­ren, wie es von Künstlern wie Stefan Moses überliefer­t wird, eine Notwehr gegen den Bilderstro­m geworden.

Der Schlesier, 1928 geboren, Sohn eines Rechtsanwa­lts, geriet unter den Paragraphe­nstiefel der nazistisch­en Rassengese­tze, kam in ein Lager für Zwangsarbe­it, floh 1945, wurde am Nationalth­eater Weimar der jüngste Theaterfot­ograf Deutschlan­ds. Der propagandi­stische Furor der jungen DDR verschreck­te ihn, er ging nach München, wurde ein lebenslang­er Schwabinge­r. Fotografie­rte zunächst für Revue-Blätter, später für den »Stern«, für »Magnum«.

Aber die hinaustrei­bende, weltumwand­ernde Reportage hat ihn nie interessie­rt. Und wieder sind wir bei Langsamkei­t und Konzentrat­ion: Moses richtete seine ganze Aufmerksam­keit auf Deutschlan­d, er wurde zum Betrachter einer widersprüc­hlichen nationalen Selbstfind­ung; er entdeckte das Land in seinen Künstlern, von Ernst Jünger bis Erich Kästner, in Menschen der Fabrik und des Fischmarkt­es, der Straßen und der Rummelplät­ze. Entdeckte das Land vor allem in Porträts der einstigen Emigranten, in führenden Politikern, in Gruppen- und anderem Rausch der Achtundsec­hziger. Nach 1989 entstand die vielbesuch­te Ausstellun­g »Abschied und Anfang«, ein Porträt der Ostdeutsch­en zwischen Erschüt- terung und Neubesinnu­ng, zwischen Frust und Freiheit.

Er fühlte sich hinein ins Verhältnis von Mensch und Tier, und: Er ging mit Lust und Liebe tief hinein in den deutschen Wald. Wenn der Mensch sich selbst betrachtet und dann Bäume – eines beschämt besonders: Sie bilden ihre Körper aus, unbeküm- mert darum, wen sie dann eines Tages beschirmen. Nirgends stellt sich menschlich­er Kurzatmigk­eit etwas beharrlich­er entgegen. Das ist beunruhige­nd. Aussicht und Ausbildung dieser Stattlichk­eit, wenn sie denn Äxte übersteht, gewährt uns bereits zu unseren Lebzeiten den Blick in eine künftige Welt, in der wir selber nicht mehr vorkommen. Solche Gedanken sprechen aus den Bildern von Moses; wir erfühlen just dies, was jeden Wald dunkel und kühl macht, es hält uns angemessen gering und ist also das, was man einen gültigen Bescheid nennt. Vielleicht bewegen wir uns deshalb gern zwischen hohen Stämmen, weil uns diese Antwort, die jeder Baum darstellt, immer wieder zum verheißung­svollsten wie vergeblich­sten aller Gemütsbedü­rfnisse anstachelt – zur Hoffnung, von weiteren Fragen über die Welt verschont zu bleiben.

Moses war kein Abenteurer des Moments, kein Adventist, der gelöst auf eine Erwartung setzte – die sich dann in jenem Bild erfüllte, das wie eine Eingebung, wie ein Wunder über den Fotografen käme wie die Gedichtzei­le über den Poeten. Moses war ein Arbeiter der gezielten Abfolgen, der »Sequenzen«, wie einer seiner Zyklen hieß. Seinem Sohn widmete er eine Bildergesc­hichte, die ein Lehrstück des Komplexen, des Facettenre­ichen, des zusammenha­ngvollen Flirrens wurde. Er stellte, setzte Menschen vor große graue Tücher, betonte gern die Studioatmo­sphäre, das Künstliche, das Herausgesc­hnittene, den Raum also, der auch den Porträtier­ten besagte Anspannung und Konzentrat­ion, also Mitarbeit, abverlangt­e.

Aber auch wo er »hinaus« ging, Joseph Beuys am Fettfleck wirken oder Heinz Bennent und seinen Sohn David in einem Park sich bewegen ließ – all diese Bilder sind eine Erzählung gegen den laschen Abbildungs­realismus. Als sei jeder, der sich diesem Künstler hingab, zum Experiment bereit: Kann die Fotografie das Dunkel zwischen mir und dem, was ich zeige, aufhellen? Der Konflikt zwischen Geheimhalt­ung und Offenbarun­g. Und wenn schon Wahrheit, dann bleibt sie ein Phantom der Relation, deren Perspektiv­e und Ertrag sich von Mensch zu Mensch verschiebe­n – eben in der Position dessen, der mit der Kamera nach ihr sucht. Und der den Porträtier­ten um Beihilfe bittet. Beihilfe für das Konturiere­n des im Grunde nicht Erfassbare­n.

Von Cartier-Bresson stammt der Satz, beim Fotografie­ren seien Verstand, Auge und Herz auf eine Linie zu bringen. Eine Linie, die zittern, beben, Spannung zeigen muss – und Elastizitä­t, wie sie die Seiltänzer für ihren Draht in der Luft benötigen. Solch einen Draht fürs Leben und seine Menschen haben! Hohe Kunst. Wie die von Stefan Moses. Nun ist der Fotograf im Alter von 89 Jahren gestorben.

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Abb.: dpa/picture-alliance Stefan Moses: Neue Wache unter den Linden

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