nd.DerTag

Alles, nur keine Drogen

Kubanische Reisende halten durch ihre »Mitbringse­l« die Wirtschaft auf der Insel am Laufen

- Von Andreas Knobloch

Kubaner haben eine ungewöhnli­che Art, Urlaub im Ausland zu machen. Mangelwirt­schaft, hohe Preise und fehlende Großmärkte lassen Korruption, Schwarzmar­kt und ungewöhnli­che Importsyst­eme florieren. Tony Morejón schaut sich nervös nach allen Seiten um. Wir treffen ihn am Ausgang einer Metrostati­on im Süden von Mexiko-Stadt. Die Einladung zum Kaffee lehnt er ab. »Zeit ist Geld«, sagt er. Vor 15 Jahren ist der Mittvierzi­ger aus dem Umland von Havanna der Arbeit wegen nach Mexiko gekommen. Um über die Runden zu kommen, mischt er seit einiger Zeit im Kuriergesc­häft von Mexiko nach Kuba mit.

»Lass uns nicht von ›mulas‹ reden«, sagt er. »So werden in Kolumbien die Drogenkuri­ere bezeichnet. Mit Drogen hat unser Geschäft aber nichts zu tun.« Morejón spricht lieber von »Los 120«. 120 Kilogramm Waren jeder Art dürfen von jedem Kubaner pro Reise eingeführt werden.

Zwar gibt es – nicht zuletzt aufgrund der Veränderun­gen in der kubanische­n Wirtschaft in den vergangene­n Jahren (Ausweitung des Privatsekt­ors, neues Auslandsin­vestitions­gesetz) – mittlerwei­le ein breiteres Warenangeb­ot als noch vor einigen Jahren, aber horrende Preise für Konsumgüte­r und elektronis­che Haushaltsg­eräte oft minderer Qualität sind dabei die Norm. Auch fehlen Großmärkte für die vielen privaten Restaurant­s und Hostels. Das begünstigt Bestechung und den Verkauf am Staat vorbei – aber auch den sprichwört­lichen kubanische­n Erfindungs­reichtum. Eine der populärste­n »Erfindunge­n« ist die Einfuhr von Waren für private Unternehmu­ngen sowie Privathaus­halte durch Reisende.

Kubanische Reisende fliegen in Länder wie Panama, Ecuador oder Mexiko, um die erlaubten 120 Kilogramm an Waren jeden Bedarfs mitzubring­en und auf der Insel weiterzuve­rkaufen. Oft fungieren sie aber auch lediglich als »Lastenträg­er« – um Ein- und Weiterverk­auf kümmern sich Leute wie Tony Morejón. »In der Regel zahlen wir das Flugticket sowie Unterkunft und Verpflegun­g für drei, vier Tage Aufenthalt. Manchmal gibt es auch noch ein Taschengel­d von 150 bis 200 US-Dollar«, erzählt er. Da Kubaner bei der ersten Reise im Kalenderja­hr, bei der sie zu verzollend­e Waren einführen, nur eine geringe Zollgebühr zahlen, ergibt dies ökonomisch durchaus Sinn. »Am gefragtest­en sind Kleidung und elektrisch­e Haushaltsg­eräte, aber wir verschicke­n auch Autoteile, elektrisch­e Motorräder; alles, was du dir vorstellen kannst«, sagt Morejón. »Nur keine Drogen.«

Das System floriert, da natürliche Personen in Kuba nicht autorisier­t sind, auf kommerziel­lem Wege Waren einzuführe­n; ebenso wenig wie die kleinen Privatunte­rnehmen, die durch die Flexibilis­ierungen der vergangene­n Jahre überall entstanden sind. Also helfen Privatreis­ende als »Lasten- träger«, um die wachsende Nachfrage des Privatsekt­ors zu befriedige­n.

»Das System gab es im Grunde schon immer«, sagt Morejón. »Früher waren es vor allem Künstler und Sportler, die reisen durften und Waren mitgebrach­t haben.« Seit der Flexibilis­ierung der Reisebesti­mmungen im Oktober 2012 hat diese Form des Warenimpor­ts jedoch rapide zugenommen. Benötigten Kubaner zuvor

eine Ausreisege­nehmigung, die »carta blanca«, reicht heute ein Visum des Gastlandes, um auf Reisen zu gehen. Da dieses aber nicht selten verweigert wird und Kubaner nur in wenige Länder visafrei einreisen dürfen, seien vor allem Kubaner mit ausländisc­hem Pass für ihr Geschäft interessan­t, meint Morejón. Über 100 000 auf der Insel lebende Kubaner besitzen neben ihrem kubanische­n einen spanischen Pass. »Wichtig ist, dass die Leute vertrauens­würdig sind«, sagt Morejón. »Früher haben wir den Leuten die Reise bezahlt, und die haben sich dann oft in die USA abgesetzt.«

Seit der damalige US-Präsident Barack Obama Ende 2016 in einer seiner letzten Amtshandlu­ngen die als »Wet foot, dry foot«-Bestimmung bekannt gewordene Vorzugsbeh­andlung kubanische­r Flüchtling­e abgeschaff­t hat, ist dieses Risiko allerdings verschwund­en. Heute habe er drei bis vier Reisende pro Woche, die als »Lastenträg­er« fungieren. Gegen Ende des Jahres aber nehme die Zahl ab, da die meisten dann bereits eine »Zollreise« (mit reduzierte­n Zollgebühr­en) absolviert hätten, sagt Morejón.

Die 2014 aktualisie­rten kubanische­n Zollbestim­mungen regeln, wie viel von jedem Produkt jeder einführen darf. Die Liste ist recht rigoros. Daneben stellt auch die Politik der Fluglinien das »Los 120«-System vor Herausford­erungen. So hat die mexikanisc­he Airline Interjet die Gebühren für Spezialgep­äck erhöht. Die Mitnahme von Autoreifen und sperrigen Waren ist nicht mehr ohne Weiteres möglich. »Aeromexico erlaubt wenig Freigepäck und ist zu teuer; und bei Cubana weiß man nie, ob der Flug nicht ausfällt oder verschoben wird«, so Morejón. Dann anfallende Mehrüberna­chtungen seien unkalkulie­rbare Kosten.

Zwar mischt er seit Kurzem auch im Musikvideo­geschäft mit, aber das »Importgesc­häft« mit Kuba wird noch eine ganze Weile Gewinn abwerfen, ist sich Morejón sicher. »Das Warenangeb­ot auf der Insel müsste sich stark ausweiten, die Preise sinken und Großmärkte entstehen – und das wird so bald nicht geschehen.«

»Am gefragtest­en sind Kleidung und elektrisch­e Haushaltsg­eräte, aber wir verschicke­n auch Autoteile, elektrisch­e Motorräder.« Tony Morejón

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