Alles, nur keine Drogen
Kubanische Reisende halten durch ihre »Mitbringsel« die Wirtschaft auf der Insel am Laufen
Kubaner haben eine ungewöhnliche Art, Urlaub im Ausland zu machen. Mangelwirtschaft, hohe Preise und fehlende Großmärkte lassen Korruption, Schwarzmarkt und ungewöhnliche Importsysteme florieren. Tony Morejón schaut sich nervös nach allen Seiten um. Wir treffen ihn am Ausgang einer Metrostation im Süden von Mexiko-Stadt. Die Einladung zum Kaffee lehnt er ab. »Zeit ist Geld«, sagt er. Vor 15 Jahren ist der Mittvierziger aus dem Umland von Havanna der Arbeit wegen nach Mexiko gekommen. Um über die Runden zu kommen, mischt er seit einiger Zeit im Kuriergeschäft von Mexiko nach Kuba mit.
»Lass uns nicht von ›mulas‹ reden«, sagt er. »So werden in Kolumbien die Drogenkuriere bezeichnet. Mit Drogen hat unser Geschäft aber nichts zu tun.« Morejón spricht lieber von »Los 120«. 120 Kilogramm Waren jeder Art dürfen von jedem Kubaner pro Reise eingeführt werden.
Zwar gibt es – nicht zuletzt aufgrund der Veränderungen in der kubanischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren (Ausweitung des Privatsektors, neues Auslandsinvestitionsgesetz) – mittlerweile ein breiteres Warenangebot als noch vor einigen Jahren, aber horrende Preise für Konsumgüter und elektronische Haushaltsgeräte oft minderer Qualität sind dabei die Norm. Auch fehlen Großmärkte für die vielen privaten Restaurants und Hostels. Das begünstigt Bestechung und den Verkauf am Staat vorbei – aber auch den sprichwörtlichen kubanischen Erfindungsreichtum. Eine der populärsten »Erfindungen« ist die Einfuhr von Waren für private Unternehmungen sowie Privathaushalte durch Reisende.
Kubanische Reisende fliegen in Länder wie Panama, Ecuador oder Mexiko, um die erlaubten 120 Kilogramm an Waren jeden Bedarfs mitzubringen und auf der Insel weiterzuverkaufen. Oft fungieren sie aber auch lediglich als »Lastenträger« – um Ein- und Weiterverkauf kümmern sich Leute wie Tony Morejón. »In der Regel zahlen wir das Flugticket sowie Unterkunft und Verpflegung für drei, vier Tage Aufenthalt. Manchmal gibt es auch noch ein Taschengeld von 150 bis 200 US-Dollar«, erzählt er. Da Kubaner bei der ersten Reise im Kalenderjahr, bei der sie zu verzollende Waren einführen, nur eine geringe Zollgebühr zahlen, ergibt dies ökonomisch durchaus Sinn. »Am gefragtesten sind Kleidung und elektrische Haushaltsgeräte, aber wir verschicken auch Autoteile, elektrische Motorräder; alles, was du dir vorstellen kannst«, sagt Morejón. »Nur keine Drogen.«
Das System floriert, da natürliche Personen in Kuba nicht autorisiert sind, auf kommerziellem Wege Waren einzuführen; ebenso wenig wie die kleinen Privatunternehmen, die durch die Flexibilisierungen der vergangenen Jahre überall entstanden sind. Also helfen Privatreisende als »Lasten- träger«, um die wachsende Nachfrage des Privatsektors zu befriedigen.
»Das System gab es im Grunde schon immer«, sagt Morejón. »Früher waren es vor allem Künstler und Sportler, die reisen durften und Waren mitgebracht haben.« Seit der Flexibilisierung der Reisebestimmungen im Oktober 2012 hat diese Form des Warenimports jedoch rapide zugenommen. Benötigten Kubaner zuvor
eine Ausreisegenehmigung, die »carta blanca«, reicht heute ein Visum des Gastlandes, um auf Reisen zu gehen. Da dieses aber nicht selten verweigert wird und Kubaner nur in wenige Länder visafrei einreisen dürfen, seien vor allem Kubaner mit ausländischem Pass für ihr Geschäft interessant, meint Morejón. Über 100 000 auf der Insel lebende Kubaner besitzen neben ihrem kubanischen einen spanischen Pass. »Wichtig ist, dass die Leute vertrauenswürdig sind«, sagt Morejón. »Früher haben wir den Leuten die Reise bezahlt, und die haben sich dann oft in die USA abgesetzt.«
Seit der damalige US-Präsident Barack Obama Ende 2016 in einer seiner letzten Amtshandlungen die als »Wet foot, dry foot«-Bestimmung bekannt gewordene Vorzugsbehandlung kubanischer Flüchtlinge abgeschafft hat, ist dieses Risiko allerdings verschwunden. Heute habe er drei bis vier Reisende pro Woche, die als »Lastenträger« fungieren. Gegen Ende des Jahres aber nehme die Zahl ab, da die meisten dann bereits eine »Zollreise« (mit reduzierten Zollgebühren) absolviert hätten, sagt Morejón.
Die 2014 aktualisierten kubanischen Zollbestimmungen regeln, wie viel von jedem Produkt jeder einführen darf. Die Liste ist recht rigoros. Daneben stellt auch die Politik der Fluglinien das »Los 120«-System vor Herausforderungen. So hat die mexikanische Airline Interjet die Gebühren für Spezialgepäck erhöht. Die Mitnahme von Autoreifen und sperrigen Waren ist nicht mehr ohne Weiteres möglich. »Aeromexico erlaubt wenig Freigepäck und ist zu teuer; und bei Cubana weiß man nie, ob der Flug nicht ausfällt oder verschoben wird«, so Morejón. Dann anfallende Mehrübernachtungen seien unkalkulierbare Kosten.
Zwar mischt er seit Kurzem auch im Musikvideogeschäft mit, aber das »Importgeschäft« mit Kuba wird noch eine ganze Weile Gewinn abwerfen, ist sich Morejón sicher. »Das Warenangebot auf der Insel müsste sich stark ausweiten, die Preise sinken und Großmärkte entstehen – und das wird so bald nicht geschehen.«
»Am gefragtesten sind Kleidung und elektrische Haushaltsgeräte, aber wir verschicken auch Autoteile, elektrische Motorräder.« Tony Morejón