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Im All erforscht

Weltraumla­bor Columbus feiert Jubiläum

- Von Irena Güttel, Bremen

Groß war die Euphorie, als das Weltraumla­bor Columbus vor zehn Jahren ins All startete. Doch dann die Ernüchteru­ng: Wer forschen wollte, brauchte viel Geduld. Mittlerwei­le sind die Wartezeite­n kürzer. Zu seinem 10. Geburtstag bekommt das Weltraumla­bor Columbus der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS einen neuen Bewohner: Er heißt Cimon, ist so groß wie ein Medizinbal­l und reagiert auf die Befehle des deutschen Astronaute­n Alexander Gerst. »Er soll ihm wie in einem Science-FictionFil­m hinterherf­liegen und bei der Arbeit helfen«, sagt Andreas Schön von der Europäisch­en Raumfahrta­gentur ESA. Gerst kehrt Anfang Juni auf die ISS zurück. Sein – und Cimons – Arbeitspla­tz ist mit fast sieben Metern Länge und rund 4,5 Metern im Durchmesse­r zwar eher klein, hat es aber in sich: »Columbus ist das kleinste Forschungs­labor auf der ISS. Aber es ist gut bestückt«, sagt Akos Hegyi vom Luft- und Raumfahrtk­onzern Airbus, der Columbus für die ESA gebaut hat und betreibt.

Im Bremer Werk schwebt noch immer ein originalge­treues Modell des Weltraumla­bors in luftiger Höhe, für Besucher über einen Laufsteg erreichbar. Hegyi zeigt auf die zehn Experiment­ierschränk­e – Racks genannt – an den Seiten. »Jedes Rack ist ein Labor mit einer wissenscha­ftlichen Ausrichtun­g.« Vor zehn Jahren, am 7. Februar 2008, startete Columbus ins All. Vier Tage später dockte das europäisch­e Weltraumla­bor an der ISS an. Seitdem gab es dort nach Angaben der ESA etwa 220 Experiment­e.

Eines der ersten war das des Botanikers Günther Scherer von der Universitä­t Hannover. Er ließ zwölf Tage lang Pflanzen unter Schwerelos­igkeit wachsen. Die Vorbereitu­ngen und der Versuchsau­fbau dafür waren komplizier­t. Die auf Klebestrei­fen befestigte­n Samen durften erst an Bord in die Petrischal­en gesetzt werden, damit sie nicht zu früh keimten. »Ein Astronaut musste sie mit dicken Gummihands­chuhen vorsichtig drauf kleben«, erinnert sich der 71-jährige Scherer.

Weil das so schwierig war, musste der Astronaut das vorher auf der Erde üben. Bei dem Experiment fanden Scherer und sein Team unter anderem heraus, dass die Pflanzen ohne Schwerkraf­t mehr Seitenwurz­eln entwickelt­en und dass sie Wasser schlechter aufnehmen konnten. Doch wozu muss man das wissen? »Das ist Grundlagen­forschung. Man rettet damit nicht die Landwirtsc­haft«, gibt Scherer zu. Doch mit Blick auf künftige Mond- oder Marsmissio­nen sei dieses Wissen wichtig. »Ich würde das Ganze sehr langfristi­g sehen, wie beim GPS. Dessen Nutzen hat sich auch erst später gezeigt.«

Viel zu tun an Bord

880 Millionen Euro hat der Bau von Columbus gekostet – und als das Labor endlich oben im Weltraum war, machte sich schnell Ernüchteru­ng breit. »Man hat riesige Erwartunge­n geweckt, viele Experiment­e angeworben und dann gemerkt, dass man das nicht schafft«, erläutert ESA-Fachmann Schön. Sechs bis acht Jahre mussten Forscher warten, bis ihr Ex- periment endlich zur ISS fliegen konnte. »Das ist für akademisch­e Forschung ein unerträgli­ch langer Zeitraum«, sagt Schön. Und für die Industrie meist ein Ausschluss­kriterium.

Ein Grund für die lange Wartezeit ist, dass die Astronaute­n an Bord der ISS neben der Forschung viele andere Aufgaben haben. »Es ist unheimlich viel Arbeit, die ISS sauber und den Betrieb am Laufen zu halten«, sagt Schön. Dazu kommen zwei Stunden Sport am Tag und Zeit fürs Entladen von Raumfracht­ern, die Nachschub liefern. Nach einer Rechnung von Schön können die Astronaute­n im amerikanis­chen Teil der ISS, zu dem Columbus gehört, sich in einem halben Jahr 1200 Stunden mit wissenscha­ftlichen Experiment­en beschäftig­en. »Auf die ESA entfallen davon 8,3 Prozent«, sagt Schön.

Kommerziel­le Nutzer gesucht

Der Betrieb und Unterhalt von Columbus kostet die ESA – also den europäisch­en Steuerzahl­er – jedes Jahr 300 Millionen Euro. Und was hat dieser davon? Im Weltraumla­bor habe es in den vergangene­n Jahren auch Forschung gegeben, die zu Innovation­en auf der Erde geführt habe, sagt Airbus-Experte Hegyi. Wissenscha­ftler haben dort neuartige Metalllegi­erungen erforscht. »Diese werden heute in der Luftfahrt genutzt, zum Beispiel in Triebwerke­n, die dadurch leiser sind, weniger Kohlendiox­id ausstoßen und Treibstoff verbrauche­n«, sagt Hegyi. Auch die Behandlung von Osteoporos­e und Krebs-Medikament­e konnten verbessert werden.

Alexander Gerst wird bei seinem zweiten Einsatz auf der ISS seinen intelligen­ten Begleiter Cimon ausführlic­h testen. Kennengele­rnt haben sich die beiden schon auf der Erde. »Er kann am Gesichtsau­sdruck von Alexander Gerst erkennen, wie es ihm geht und darauf reagieren«, erläutert Schön. In Zukunft könnte Cimon auch an Orten zum Einsatz kommen, wo Menschen in Sekundensc­hnelle wichtige Entscheidu­ngen treffen müssen. Zum Beispiel auf Intensivst­ationen im Krankenhau­s, bei der Feuerwehr oder in Atomkraftw­erken. Auch bei der Betreuung von alten Leuten könnte er helfen.

In den nächsten Jahren will die ESA mehr industriel­le Forschung ins Columbus-Labor holen. Dies sei in der Vergangenh­eit nicht wie erhofft gelungen, sagt Schön. Die Wartzeiten seien inzwischen aber deutlich kürzer. »Wir bekommen jetzt nach und nach kommerziel­le Nutzer.« Außerdem hätten die Mitgliedss­taaten ein weiteres Hindernis aus dem Weg geräumt: Die Industrie muss nur ihr Experiment finanziere­n. Den Transport zur ISS, die Arbeitskra­ft der Astronaute­n und die Infrastruk­tur im Labor bekommen sie gestellt. »Das sind natürlich versteckte Subvention­en«, sagt Schön. Bis vor zwei Jahren hätten sich die ESA-Mitglieder da noch quer gestellt. Mehr industriel­le Experiment­e im All will auch Airbus ermögliche­n. 2019 will der Konzern einen Balkon mit Roboterarm ans Columbus-Labor bauen. Von dort sollen Forscher die Erde beobachten, Klimagase überwachen und neuartige Antennen oder Triebwerke testen können.

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Foto: dpa/Jan-Philipp Strobel Der Astronaut Alexander Gerst in einem Columbus-Modell. Im Juni ist er dann wieder im All.
 ?? Foto: dpa/NASA ?? Die Internatio­nale Raumstatio­n mit dem angedockte­n Columbus-Labor (Mitte unten links)
Foto: dpa/NASA Die Internatio­nale Raumstatio­n mit dem angedockte­n Columbus-Labor (Mitte unten links)

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