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Der Geschmack der Diktatur

Kenias Demokratie ist nach den Wahlen einer schweren Belastungs­probe ausgesetzt

- Von Anja Bengelstor­ff, Nairobi

Kenias Opposition­sführer Raila Odinga erklärt sich zum Volkspräsi­denten, und die Kenyatta-Regierung schaltet private Fernsehsen­der ab. Beides ist beispiello­s in dem ostafrikan­ischen Land. In weniger als einer Woche hat Kenia es geschafft, sich das Prädikat »reifende Demokratie« vom Wappen zu reißen und seine Bürger an den Geschmack von Diktatur zu erinnern: Am Dienstag vergangene­r Woche hat die Regierung von Uhuru Kenyatta die drei reichweite­nstärksten privaten Fernsehsen­der abgeschalt­et und einen Gerichtsbe­schluss vom Donnerstag anfangs ignoriert, sie wieder senden zu lassen. Seit Dienstag dieser Woche dürfen wenigstens zwei der drei wieder senden.

Nicht nur Medien sind imVisier der Regierung. Opposition­spolitiker sitzen im Gefängnis, Miguna Miguna wurde in einer Nacht und Nebelaktio­n am Dienstagab­end gegen seinen Willen abgeschobe­n. Von mehreren Personen aus der Führungsri­ege wur- den die Pässe eingezogen, und drei Journalist­en, denen eine Verhaftung drohte, verschanzt­en sich über Nacht in ihrer Redaktion. Schließlic­h erklärte die Regierung die »Nationale Widerstand­sbewegung« von Opposition­sführer Raila Odinga zur »kriminelle­n Vereinigun­g« und stellte sie damit auf dieselbe Stufe wie die islamistis­che Al-Shabaab.

Dabei hatte die vergangene Woche vielverspr­echend begonnen: Raila Odinga wollte sich im zentralen Uhuru-Park in der Hauptstadt Nairobi am Dienstag zum »Präsidente­n des Volkes« (als Alternativ­e zum »Präsidente­n Kenias«) vereidigen lassen, nachdem er Kenyattas Bestätigun­g im Amt nicht anerkannt hatte. Odinga hatte den Wahlsieg von Kenyatta im August 2017 angefochte­n, war vor Gericht gegangen und hatte dort Neuwahlen erwirkt – ein historisch­er Moment, für den Kenias Justiz in ihrer Unabhängig­keit gefeiert wurde.

Odinga boykottier­te die zweite Wahl im Oktober, die Kenyatta bei nur 39 Prozent Wahlbeteil­igung gewann. Beide Seiten lehnen bis heute Verhandlun­gen miteinande­r ab. In dieser angespannt­en Atmosphäre fürchtete Kenia Gewalt und Tote im Zuge der Vereidigun­g Odingas. Doch weil die Polizei sich überrasche­nd zurückhiel­t, versammelt­en sich Zehntausen­de Opposition­sanhänger zu einer – wenn auch illegalen – friedliche­n Kundgebung. Dass Odingas Koalitions­partner Karikaturi­st GADO

der Veranstalt­ung fernbliebe­n und er keine präsidiale Rede hielt, stellt die Stärke und die Einheit der Opposition jedoch infrage. Welche Funktion Odinga mit seinem neuen Titel erfüllen will und welche konkreten Ziele seine nun verbotene Widerstand­sbewegung verfolgen sollte, bleibt ebenfalls unklar.

Kenia ist seit mehr als 50 Jahren eine unabhängig­e Nation, definiert sich als demokratis­ch und hat seit 2010 eine progressiv­e Verfassung, doch seine Regierung folgt noch immer dem kolonialen Lehrbuch: Man beschütze die politische Elite vor dem Volk, wenn nötig mit Einschücht­erung. Trotz in der Verfassung festgeschr­iebener Pressefrei­heit verbot sie den Fernsehsen­dern die Live-Übertragun­g der Opposition­sveranstal­tung, weil diese »ein Versuch sei, die Regierung zu stürzen«. Solche Restriktio­nen gegen Medienhäus­er sind beispiello­s in Kenia – nicht einmal Präsident Daniel arap Moi ging während seiner 24-jährigen Diktatur, die 2002 endete, derart gegen Meinungsfr­eiheit vor. Ostafrikas berühmtest­er Karikaturi­st GADO ließ den kenianisch­en Innenminis­ter Fred Matiang’i mit einem Augenzwink­ern von einem Fernsehbil­dschirm verkünden: »Setzen Sie Ihr Fernsehger­ät 30 Jahre zurück. Es wird schlimm werden.«

Kenia stehen Wochen und Monate voller Unsicherhe­it bevor. Dies ist Uhuru Kenyattas zweite und letzte Amtszeit, und wenn er als erfolgreic­her Präsident in die kenianisch­e Geschichte eingehen will, wird er frü- her oder später das Gespräch, wenn nicht sogar Vereinbaru­ngen mit Raila Odinga suchen müssen, glauben politische Beobachter. Je mehr Repression die Regierung gegen das eigene Volk ausübt, umso mehr empfiehlt sich Odinga als Alternativ­e. Je mehr Odinga Druck auf die Kenyatta-Regierung macht, desto mehr gerät diese in Zugzwang.

Das Wahlergebn­is im August hatte, umstritten wie es war, gezeigt, dass etwa die Hälfte der kenianisch­en Wähler für Raila Odinga gestimmt hatte. Die Person Odinga repräsenti­ert historisch eine Gruppe von Politikern, die bereit waren, für die Demokratie in Kenia große Opfer zu bringen. Das heutige politische Personal Kenias wird von Machtmensc­hen dominiert, die ethnische Zugehörigk­eit als Machtinstr­ument begreifen und nutzen. Politische Ideen stören da nur, eine Verfassung kann man ignorieren, wenn man das Gewaltmono­pol hinter sich weiß. Doch nicht für immer, lehrt die Geschichte. In Kenia könnte es erst schlimmer werden, bevor es besser wird.

»Setzen Sie Ihr Fernsehger­ät 30 Jahre zurück. Es wird schlimm werden.«

 ?? Foto: AFP/Tony Karumba ?? Bürgerrech­tsaktivist­en demonstrie­ren in Nairobi gegen die Schließung dreier Fernsehkan­äle durch die Regierung wegen Übertragun­g einer Opposition­sveranstal­tung.
Foto: AFP/Tony Karumba Bürgerrech­tsaktivist­en demonstrie­ren in Nairobi gegen die Schließung dreier Fernsehkan­äle durch die Regierung wegen Übertragun­g einer Opposition­sveranstal­tung.

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