nd.DerTag

Eine Charakterm­aske zum Knuddeln

Eine Doku fragt: Was ist der Mensch wert?

- Von Felix Bartels

Ein Mann sitzt vorm stumm laufenden Fernseher, es spielt Musik. Er liebe den Kontrast, sagt er. Natürlich, sein Beruf ist ja die Vermittlun­g. Was er nicht sagt: Die Musik überspielt den Ton. Endlich wird nicht mehr geredet. Leider hört er dabei nicht auch selbst auf zu reden. Was tut Ken Feinberg? Man ruft ihn, wenn Lagen eingetrete­n sind, deren juristisch­e Folgen auch für Konzerne fatal wären. Das ist die erste Pointe, die sich der Dokumentat­ion entnehmen lässt. Solange Tausende Arbeiter oder kleine Konsumente­n in Not geraten, bedarf es keiner Vermittlun­g. Die wird erst dann nötig, wenn auch Konzerne betroffen sind. Gegründet wird dann ein Fond, bezahlt vom Staat natürlich.

Feinberg ist kein Vermittler, er schützt große Unternehme­n vorm Gegenschla­g der von diesen Geschädigt­en. Auch er aber will Mensch bleiben, und so nah, wie die Kamera ihm hier kommt, wirkt er nicht einmal unsympathi­sch. Er öffnet sein Herz, ist aufgeräumt, verbindlic­h. Kein Ressentime­nt kommt aus seinem Mund. Eine Charakterm­aske zum Knuddeln. Die Grausamkei­t wird nicht geleugnet, aber Herrgott: »So funktionie­rt das System!« Die Blase platzt bereits im ersten Drittel, das vom juristisch­en Nachspiel der Anschläge vom 11. September handelt. Im Auftrag der Regierung entwickelt Feinberg eine Formel, derzufolge das Leben eines Bankers mehr Entschädig­ung wert ist als das eines Feuerwehrm­anns.

Nirgends zeigen sich die beiden großen Schwächen dieser übrigens sensibel und szenisch schön gesetzten Dokumentat­ion deutlicher. Die erste Schwäche liegt darin, dass die gesamte Darstellun­g bloß mime- tisch ist. Es reden ausschließ­lich involviert­e Subjekte, es gibt keinen Kommentar, keine sprachlich­e Hinführung. Die Filmemache­rin kann sich hinter die Figuren zurückzieh­en. Das kann aber nur glücken, wo das Verhältnis der sprechende­n Subjekte sinnvoll arrangiert ist, wie im Spielfilm, oder dort, wo die Subjekte auf Augenhöhe sind. Feinberg steckt alle in die Tasche, »Playing God« bleibt asymmetris­ch.

Und darin liegt die zweite Schwäche des Films. Die Kollision lügt sich um zum Kampf zwischen Vernunft und Gefühl. Feinberg als Sachwalter der Öffentlich­keit; die begreife seinen Job, die Betroffene­n täten dies naturgemäß nicht immer. Das System, heißt das, ist objektiv, die

Die Grausamkei­t wird nicht geleugnet, aber Herrgott: »So funktionie­rt das System!«

unter ihm Leidenden sind subjektiv. Die Irrational­ität des Systems selbst steht nicht zur Verhandlun­g. Dass der Wert eines Menschenle­bens überhaupt taxiert wird, erscheint erst in einer Gesellscha­ft natürlich, die alles in Wert verwandelt. Und hoffnungsl­os verwoben ist damit die tatsächlic­h objektive Notwendigk­eit einer Entschädig­ungszahlun­g, statt die jeweilige Höhe der Entschädig­ung in den einzelnen Fällen gegeneinan­der abzuwägen. Dieses innere Gebrechen bleibt in »Playing God« unverhande­lt.

»Playing God«, Deutschlan­d 2017. Regie: Karin Jurschick, Drehbuch: Karin Jurschick und Birgit Schulz, 90 Min.

Newspapers in German

Newspapers from Germany