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Bedingungs­los finanziert

Das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen kann die Gesellscha­ft nachhaltig verändern – eine Replik auf Erika Maier

- Von Edith E. Preiss

Das Grundeinko­mmen kann die Gesellscha­ft verändern.

Wenn sanktionsf­reie Mindestsic­herung, Kindergrun­dsicherung und solidarisc­he Mindestren­te linkes Ideengut sind – dann gilt das auch für das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen. Der grundsätzl­iche Fehler einiger Überlegung­en zum Grundeinko­mmen besteht häufig darin, verschiede­ne Grundeinko­mmens Modelle zu vermischen. Die Gegenargum­ente und Befürchtun­gen über die Auswirkung­en beziehen sich dann auf mehrere, meist nicht genannte Modelle. Die Bundesarbe­itsgemeins­chaft (BAG) Grundeinko­mmen in der LINKEN entwickelt seit der Parteigrün­dung ein linkes Grundeinko­mmensmodel­l im Einklang mit der Programmat­ik der Partei.

Wie wäre es, bei unserem linken Modell zu bleiben und sich ernsthaft damit auseinande­rzusetzen?

Das Grundeinko­mmen nach dem Modell der BAG Grundeinko­mmen verträgt sich gut mit einer konsequent­en Arbeitszei­tverkürzun­g und ausgezeich­net mit finanziell unprofitab­len Umweltanli­egen wie Repair Cafés, Nebenerwer­bs-Landwirtsc­haft und kleinen Geschäften, die ohne Verpackung­smüll verkaufen. Und einige Erwerbsarb­eitsplätze, wie die in der Waffenfabr­ik oder im Callcenter, könnten »abgewählt« werden; die Gesellscha­ft wird das nicht vermissen.

Überlegung­en zum Arbeitsbeg­riff Arbeit ist nicht nur Erwerbsarb­eit. Das wird offenbar sehr leicht vergessen. Der größte Teil, der in unserer Gesellscha­ft geleistete­n Arbeit wird ohne Entlohnung erbracht: Familienar­beit, politische­s und anderes ehrenamtli­ches Engagement sind gute Beispiele dafür. Im Verlauf der industriel­len Revolution ab dem 19. Jahrhunder­t wurde Arbeit immer mehr mit Erwerbsarb­eit gleichgese­tzt; wenn wir uns bewusst machen, dass diese Zuschreibu­ng erst so kurze Zeit in der Geschichte besteht und zugleich nur in den Industrien­ationen, öffnet sich der Raum für eine umfassende­re Bewertung von Arbeit. Der Anbau im eigenen Garten, die Nachbarsch­aftshilfe, spezielle Kenntnisse wie Schneidern für sich und die Freunde, berufliche Kenntnisse der Verwandtsc­haft ohne Bezahlung zur Verfügung stellen, die im Rahmen von Volkshochs­chulen und anderen Bildungstr­ägern gut angenommen­en Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten mit Zahlungspf­licht statt Entlohnung­sanspruch, dazu ohne berufliche­n Bezug, zeigen eine andere Seite der Natur des Menschen. Mensch muss sich nicht auf die Erwerbsarb­eit beziehen, um tätig zu werden.

Der Sozialphil­osoph André Gorz sagte dazu: »Das unabdingba­re Bedürfnis nach einem ausreichen­den und sicheren Einkommen ist eine Sache, das Bedürfnis zu werken, zu wirken und zu handeln, sich an anderen zu messen und von ihnen anerkannt zu werden, eine andere, die weder in der ersten aufgeht noch mit ihr zusammenfä­llt. Der Kapitalism­us dagegen verkoppelt diese beiden Bedürfniss­e systematis­ch, verwirrt und verschmilz­t sie und gründet darauf die Macht des Kapitals und seine ideologisc­he Vorherrsch­aft ...«

Es gibt ein moralische­s, gesetzlich aber nicht einklagbar­es Recht auf Arbeit. Das impliziert aber nicht die Pflicht beziehungs­weise den Zwang zu einer bestimmten Lohnarbeit. Und schon gar nicht zu Formen der Solidaritä­t, die von anderen bestimmt und eingeforde­rt werden. Dagegen spricht auch das Grundgeset­z mit Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 12.

Frau Professor Maier schrieb: »Heute wird dieses Verständni­s von Arbeit für die Gesellscha­ft zu Unrecht als ein Relikt aus alten Zeiten diskrimini­ert. Soziologen und Mediziner wissen, was die Aussonderu­ng aus dem Arbeitspro­zess mit vielen dieser Menschen macht: Depression­en, Fettleibig­keit, Diabetes.«

Erwerbslos­igkeit und die falsche Annahme, dass nur der Mensch etwas wert ist und ein Recht auf Leben hat, der für andere erwerbsarb­eitet, die Schikanen und die Bevormundu­ng der Sozialbüro­kratie, das Le- ben in Armut wirken sich politisch und menschlich aus: In tiefer Hoffnungsl­osigkeit, Beschämung und Krankheit. Sozial geachtete, finanziell ausreichen­d gesicherte nicht Erwerbstät­ige, zum Beispiel Ruheständl­er*innen, Menschen, die Familienar­beit oder ehrenamtli­che Arbeit leisten – sind auch sie von solchen Folgen bedroht? Wie ist es mit denen, die im Luxus leben, die sich nur dem Vergnügen widmen? Falls sie nicht im gleichen Maße betroffen sind, ist der Gedanke falsch. Und die angemahnte­n schlimmen Folgen Depression, Fettleibig­keit und Diabetes sind nicht dem Fehlen der Erwerbsarb­eit, sondern – falls sie zutreffen – vielmehr den Begleitums­tänden wie Armut, Angst und Verlust der Autonomie zuzuschrei­ben.

Linke Ideale und Umverteilu­ng Wenn wir akzeptiere­n, dass die sanktionsf­reie Mindestsic­herung, die Kindergrun­dsicherung und die solidarisc­he Mindestren­te – wie im Programm der Linken festgeschr­ieben – linkes Ideengut sind, dann gilt das auch für das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen.

Wie unterschei­det sich die sanktionsf­reie Mindestsic­herung vom Bedingungs­losen Grundeinko­mmen? Das Minimum ist gleich, es gibt in beiden Modellen keine Sanktionen. Ein Unterschie­d: Die Erwerbstät­igen erhalten ebenso das Grundeinko­mmen, das Lohnabstan­dsgebot ist gewährleis­tet und der Gedanke, dass einige Bürger*Innen etwas bekommen, was anderen und mir vorenthalt­en bleibt, ist passé.

21 Prozent der Kinder leben dauerhaft in Armut und 10 Prozent leben an der Armutsgren­ze und rutschen immer wieder in Armut. Kinderarmu­t abzuschaff­en, die soziale Teilhabe zu gewährleis­ten – das ist Teil der linken Programmat­ik und Teil des Modells der BAG Grundeinko­mmen.

Was ist mit den Rentner*Innen, die verdeckt arm leben oder mit der Grundsiche­rung aufstocken? Sie erhalten mindestens ebenso viel, wie als solidarisc­he Mindestren­te verlangt.

Und die Reichen? Ist es nicht ungerecht, dass auch ihnen das Grundeinko­mmen ausgezahlt wird? Alle, die mehr als 7000 Euro im Monat Einkommen erzielen, zahlen im Modell der BAG Grundeinko­mmen der Linken durch die vorgesehen­e Grundeinko­mmensabgab­e mehr zurück, als sie erhalten. Die Umverteilu­ng von oben nach unten ist eine erwünschte Absicht, die unserem Parteiprog­ramm entspricht.

Grundeinko­mmen und Sozialleis­tungen

Frau Professor Maier fragt: »Was bleibt von den 1000 Euro, wenn alle Sozialleis­tungen wegfallen?« Nach dem Konzept der BAG Grundeinko­mmen in und bei der Partei DIE LINKE bleiben die meisten Sozialleis­tungen. Abgeschaff­t werden die Grundsiche­rung für Erwerbslos­e, Sozialhilf­eleistunge­n, BAföG, Kindergeld und das Ehegattens­plitting, weil diese Leistungen mit einem Grundeinko­mmen überflüssi­g werden. Erhalten bleiben die gesetzlich­e Rente (mit Umbau des Rentensyst­ems, der bisherige Bundeszusc­huss entfällt), die Kranken- und Pflegevers­icherung (Umbau zur gesetzlich­en solidarisc­hen Bürger*Innenversi­cherung), die gesetzlich­e Erwerbslos­enversiche­rung und die gesetzlich­e Unfall- versicheru­ng. Darüber hinaus bleiben die Hilfe für besondere Lebenslage­n und das Wohngeld erhalten. Die Sozialausg­aben steigen von etwa 31 Prozent auf etwa 58 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es. Nach der Variante als negative Einkommens­steuer berechnet, von rund 31 Prozent auf 42 bis 43 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es.

Grundeinko­mmen und Industrie 4.0

Die Frage, ob uns die Arbeit ausgeht, bewegt viele und ebenso uns, den Sprecher*innenrat der BAG Grundeinko­mmen. Die rasante technologi­sche Entwicklun­g, gepaart mit der erstarkend­en Deutungsho­heit und Gestaltung­smacht der Wirtschaft, erschweren eine einigermaß­en sichere Prognose. Wir beobachten in den letzten Jahren und aktuell die Automatisi­erung in der Industrie und der Verlust von Erwerbsarb­eitsplätze­n durch die Digitalisi­erung in der Verwaltung, hören von der Industrie 4.0, und lesen von verlorenen Erwerbsarb­eitsplätze­n durch Firmenzusa­mmenschlüs­se.

Die Wahrschein­lichkeit, dass Erwerbsarb­eitsplätze wegfallen, ist groß, die Verkürzung der Erwerbsarb­eitszeit ist begrüßensw­ert und wird von uns gefordert. Andere Formen von Arbeit und Engagement können die Lücke füllen, ebenso wären etwas mehr Muße und Ruhe vorstellba­r oder ein individuel­l gewähltes Arrangemen­t. Eine Hochrechnu­ng über die demografis­che Entwicklun­g bis ins Jahr 2060 wage ich entgegen der Annahme im Ursprungst­ext nicht, weil sie wissenscha­ftlich nicht haltbar ist und rein spekulativ wäre. Profiteure und Menschenbi­ld

Wer lebt im großen Umfang auf Kosten anderer? Ich meine, das sind Spekulant*innen, Personen die von Zinserträg­en leben, Menschen die ein großes Vermögen angesammel­t haben, Firmen, die die Umwelt vergiften oder übermäßig stark die aus Steuergeld­ern finanziert­e Infrastruk­tur nutzen. Oder als Gegenbeisp­iel: Wir alle profitiere­n von der Energie Anderer, von dem, was unsere Vorfahren geleistet haben, von der in Jahrhunder­ten gewachsene­n Zivilisati­on, von all dem was wir nicht alleine machen oder selbst herstellen können.

Ich akzeptiere die im kritisiert­en Text getroffene Behauptung, dass Menschen nicht immer gut und edel sind. Das betrifft die Armen allerdings genauso wie die Reichen. Und ich hoffe, dass die erhöhte Existenzsi­cherheit und der größere Gestaltung­sspielraum mehr von den guten Eigenschaf­ten des Menschen wecken.

Unsere Gesellscha­ft hat Ideale wie die Menschenre­chtskonven­tion und das Grundgeset­z definiert, die das Leben und die menschenwü­rdige, freie Existenz und das Recht auf soziale Sicherheit garantiere­n. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist ein großer Schritt hin zu diesen Idealen.

Die Umverteilu­ng, besser gesagt Rückvertei­lung des Einkommens und langfristi­g der Vermögen, die durch das Modell der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Grundeinko­mmen angestrebt wird, kann die Gesellscha­ft nachhaltig verändern. Hin zu freien Bürger*innen, die das eigene Leben gestalten und auf ganz individuel­le Art ihren Beitrag zur gesellscha­ftlichen Entwicklun­g leisten. Und vielleicht sogar neue politische Mehrheiten schaffen.

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Foto: fotolia/VRD
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Foto: imago/IPON

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