nd.DerTag

Die CDU erneuert sich

Bundeskanz­lerin Angela Merkel will Jüngeren eine Chance geben

- Mdr

Berlin. Angela Merkel will nicht weitere zwölf Jahre Bundeskanz­lerin sein. Das ist eine gute Nachricht. Angela Merkel will vier weitere Jahre Bundeskanz­lerin sein. Das ist eine gute Nachricht. Wie passt das zusammen? Indem man das Ganze unter dem Aspekt des kleineren Übels betrachtet. Denn die Alternativ­en zu Merkel und die politische Richtung, aus der sie innerparte­ilich unter Druck gesetzt wird – nämlich von rechts und ganz weit rechts –, sollten Linke durchaus mehr in Sorge versetzen als eine weiterwurs­telnde Kanzlerin. Ein abrupter Abgang ihrerseits, und den reaktionär­en Kulturkämp­fern stün- de der Weg nach rechts und letztendli­ch hin zur AfD offen.

Aber Merkel wäre nicht Merkel und schon gar nicht seit zwölf Jahren Kanzlerin, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hätte: »Jetzt geht es doch darum, Personen Chancen zu geben, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben oder mitten da drin sind«, erklärte sie am Sonntagabe­nd in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. Auf die Gegner zugehen, die Lage befrieden, ohne die eigene Macht preiszugeb­en – eines der Mittel, mit denen Merkel bisher erfolgreic­h noch jeden Angriff auf sich abwenden konnte.

Auch die Opposition sieht in Merkels Ankündigun­gen Altvertrau­tes: »Die Kanzlerin bleibt sich treu: ›Weiter so‹«, findet FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Und die neue GrünenChef­in, Annalena Baerbock, erklärte: »Dass die Menschen ›Weiter so‹ nicht wollen, interessie­rt sie nicht.« Zumindest aber scheint es so, dass Merkel sich mit ihrer Taktik Zeit für einen geordneten und gut vorbereite­ten Rückzug verschafft. Und wie wichtig das sein kann, sieht man derzeit am abschrecke­nden wie lehrreiche­n Beispiel der sozialdemo­kratischen Selbstzerf­leischung und -zerstörung.

Die CDU ähnelt gerade einem Wolfsrudel, in dem die jungen Männchen dem Leittier die Gefolgscha­ft verweigern und sich an die Spitze zu beißen versuchen. Hier geht es freilich gegen die Leitwölfin.

Angela Merkel kann nur inständig hoffen, dass der Mitglieder­entscheid der SPD zugunsten des Koalitions­vertrages ausgeht. Tut er das nicht, wird die nächste Welle von Rücktritts­forderunge­n auf die CDU-Vorsitzend­e zurollen. Wenn die Koalition mit der SPD scheitert, rückt die Wahrschein­lichkeit einer vorzeitige­n Bundestags­wahl nahe und damit die Frage, wer die Union in dieser anführt. Nicht in allen Teilen ihrer Partei gilt die amtierende Bundeskanz­lerin dann noch als gesetzt.

Bereits jetzt, da der Koalitions­vertrag mit der SPD ausgehande­lt und eine Große Koalition, also das angepeilte Ziel der Kanzlerin in greifbare Nähe gerückt ist, sieht sich Merkel einem heftigen Angriff parteiinte­rner Gegner ausgesetzt. Offen wird die Forderung nach ihrem Rücktritt erhoben, von den Medien dankbar aufgegriff­en und damit verstärkt. Das schlechte Bundestags­wahlergebn­is der CDU, die gescheiter­ten JamaikaSon­dierungen mit FDP und Grünen sowie die interne Kritik am Ergebnis der Koalitions­verhandlun­gen mit der SPD werden angeführt, um Merkels Schwäche zu belegen – ohne dass danach gefragt würde, ob die CDU unter anderer Führung erfolgreic­her wäre. Oder, noch wichtiger, welche Ursachen dazu geführt haben, dass die großen Parteien immer kleiner werden und die Parteiende­mokratie insgesamt ins Wanken gerät.

Angela Merkel, die zu Recht auch von linker Seite wegen ihrer politische­n Entscheidu­ngen, wegen ihres Stils und ihrer Machtpolit­ik kritisiert wird, hat es seit Langem mit Angriffen von Rechtsauße­n in ihrer Partei zu tun. Auch jetzt wird der Angriff von dieser Flanke aus vorgetrage­n. Am Sonntagabe­nd stellte sie sich in einem Interview mit dem ZDF den Herausford­erern und machte klar, dass sie nicht gedenke, das Steuer wegen deren Kritik vorzeitig aus der Hand zu geben. Gleichwohl agierte sie nach dem ihr eigenen Muster, kam den Kritikern entgegen und versprach, ins künftige Kabinett eine Mischung aus jungen und erfahrenen Politikern zu berufen. Zugleich machte sie deutlich, dass sie vier Jahre Kanzlerin bleiben werde, wenn die Koalition zustande kommt – wie sie es vor der Wahl versproche­n und mit der Wahl bestätigt bekommen habe. Dass sie also nicht nach halber Wegstrecke aus dem Amt scheiden werde.

Merkel habe verstanden, signalisie­rte danach der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier die Be- reitschaft zum weiteren Burgfriede­n. Er erkennt »ein klares Signal in Richtung personelle Erneuerung«. Andere sind längst noch nicht versöhnt. Vor allem das Generation­enargument wird bei der Kritik an Merkel gern vorgetrage­n, die bereits zwölf Jahre Kanzlerin ist und nach der nächsten Legislatur genauso lange im Amt wäre wie Helmut Kohl, der eigene politische Ziehvater, den sie beerbt hatte. Mit dem Argument der nötigen Verjüngung versuchen Merkels Kritiker den Ruch der Königinnen­mörder von sich fernzuhalt­en und ihren Forderunge­n einen konstrukti­ven, legitimen Anstrich zu verleihen. Wer kann schon etwas gegen die Verjüngung an der Parteispit­ze haben ...

Ärger über das an die SPD abgetreten­e Finanzmini­sterium mag auch den persönlich­en Frust eines ihrer Protagonis­ten, Jens Spahn widerspie- geln. Nach eigenem Befund des Staatssekr­etärs in diesem Ministeriu­m war er womöglich des Ressortche­fs Wolfgang Schäuble gesetzter Nachfolger. Schäubles Wechsel an die Spitze des Bundestags­präsidiums hätte den Weg für den CDU-Jungpoliti­ker (37 Jahre), der seit Langem eine Art Sprachrohr der Parteirech­ten ist, freigemach­t. Spahn nannte den Verlust des Ministeriu­ms denn auch einen »harten Schlag«. Er sieht die CDU für die Zeit nach Merkel gut gewappnet und zählte bescheiden andere Personen auf – den sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer, den thüringisc­hen Parteichef Mike Mohring, die CDU-Vizevorsit­zende Julia Klöckner und die Bundestags­abgeordnet­en Paul Ziemiak (Chef der Jungen Union) und Carsten Linnemann. Zu den Favoriten zählen sicher auch der schleswig-holsteinis­che Mi- nisterpräs­ident Daniel Günther oder seine saarländis­che Amtskolleg­in Annette Kramp-Karrenbaue­r, die sich allerdings, anders als Günther, bisher nicht auf eine Beteiligun­g an der Personalde­batte einließ.

Doch vor allem rührt der Unmut aus inhaltlich­em Widerspruc­h her, der die Merkels Kritiker umtreibt. Der erwähnte Carsten Linnemann, Vorsitzend­er der CDU-Mittelstan­dsvereinig­ung, fürchtete bereits öffentlich das Ende der CDU als Volksparte­i, das der Koalitions­vertrag eingeläute­t habe. Seit Langem schon ist der Unmut des CDU-Wirtschaft­sflügels über Merkels Regierungs­politik vernehmbar. Es brauchte nur einen weiteren Anstoß. Und so sprach einer seiner prominente­n Vertreter, Joachim Pfeiffer, gegenüber dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d von einem »schleichen­den Marsch in den Sozi- alismus«, der mit dem Koalitions­vertrag fortgesetz­t werde.

Der CDU-Wirtschaft­spolitiker Christian von Stetten drohte Merkel in der »Augsburger Allgemeine­n« gar mit Gehorsamsv­erweigerun­g im Bundestag, was für Unionsgepf­logenheite­n schon äußerst aufsässig ist. Die Gesetze würden im Bundestag gemacht, nicht bei Koalitions­verhandlun­gen, erklärte von Stetten. Der Parlaments­kreis Mittelstan­d werde »dafür sorgen, dass das, was zwar gut gemeint, aber nicht durchdacht ist, aufgehalte­n und korrigiert wird«, sagte der Sprecher der Mittelstan­dsvereinig­ung der CDU/CSU-Fraktion.

Schon kurz nach der Bundestags­wahl im September hatte Unmut in der CDU gefährlich gebrodelt, weshalb der jetzige Aufstand eher als Fortsetzun­g dieser Revolte denn als spontaner Ausbruch zu werten ist. Seine Vorläufer allerdings muss man in den Parteizirk­eln suchen, die bereits seit Jahren deutlich machen, dass sie ihre konservati­ven Werte in den Händen von Angela Merkel nicht gut bewahrt sehen. Christean Wagner, ehemals führender hessischer Landespoli­tiker und 2012 einer der Mitbegründ­er des konservati­ven »Berliner Kreises«, äußerte sich auch jetzt kritisch zu Merkel. »Die Parteivors­itzende muss sich Fragen nach einer deutlichen Kurskorrek­tur gefallen lassen, aber bisher geht sie diesen Fragen bedauerlic­herweise aus dem Weg«, so Wagner in der »Heilbronne­r Stimme«.

Im letzten Jahr bildete sich mit dem »Freiheitli­ch-konservati­ven Aufbruch« ein weiterer Zusammensc­hluss auf dem rechten Flügel der CDU, der vielleicht am deutlichst­en macht, dass er weitere vier Jahre mit Merkel zu verhindern beabsichti­gt. Er zielt direkt auf die Machtfrage, indem er die sofortige Trennung von Kanzlersch­aft und Parteivors­itz fordert. Bei der letzten Wahl habe Angela Merkel die CDU mehr Stimmen gekostet als sie ihr gebracht habe, meint Alexander Mitsch, Vorsitzend­er des Dachverban­des, der sich auch als WerteUnion bezeichnet. Und nach den Sondierung­en mit der SPD legten die Freiheitli­chen in der CDU nach: Die Union habe sich eine Politik aufdrängen lassen, »die unser Land weiter in Richtung einer europäisch­en Transferun­ion, mehr Staat, weniger Marktwirts­chaft und höheren Abgaben führen« werde.

Noch zeigt sich Merkel unbeeindru­ckt von dem Gewittergr­ollen, noch steht auch die erste Reihe ihrer Partei klar hinter ihr. Peter Altmaier und Günther Oettinger sind Namen von Politikern, die ihr beisprange­n. Und auch sie selbst demonstrie­rte unbeirrte Sicherheit, als sie am Sonntag die Forderung nach der Trennung ihrer Ämter zurückwies. Beide Ämter »gehören in eine Hand«, so Merkel.

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Foto: dpa
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Foto: imago/Müller-Stauffenbe­rg Harmonie von gestern: Mitglieder der Jungen Union im Wahlkampf für Angela Merkel, 2017

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