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Nahles soll schnell auf Schulz folgen

Spitzenpol­itiker der SPD erhoffen sich von einem sofortigen Führungswe­chsel geordnete Verhältnis­se in der Partei Kurz vor dem Beginn des SPD-Mitglieder­entscheids über den Koalitions­vertrag mit der Union stehen die Sozialdemo­kraten führungslo­s da. Das Part

- Von Aert van Riel

Das Präsidium der SPD ist ein erlauchter Kreis. 17 Personen treffen unter Ausschluss der Öffentlich­keit im Willy-Brandt-Haus zentrale Entscheidu­ngen über die Zukunft der Partei. Am Dienstag wird das Gremium darüber beraten, wie es nach der Rückzugsan­kündigung des SPD-Vorsitzend­en Martin Schulz weitergehe­n soll. Möglich ist, dass die Spitzengen­ossen dafür votieren werden, dass die Fraktionsc­hefin Andrea Nahles sofort kommissari­sch den Posten von Schulz übernehmen wird, bis sie sich auf einem Parteitag zur Wahl stellt. Das müsste innerhalb von drei Monaten geschehen.

Viele Mitglieder der Parteispit­ze meinen, dass die SPD nach einigen turbulente­n Tagen möglichst schnell geordnete Verhältnis­se braucht. Denn es stehen bald diverse Regionalko­nferenzen an, auf denen Parteifunk­tionäre die SPD-Mitglieder davon überzeugen wollen, für die Annahme des Koalitions­vertrags mit der Union zu stimmen. Stimmberec­htigt sind 463 723 Sozialdemo­kraten. Das Ergebnis der Mitglieder­befragung soll am 4. März verkündet werden.

Einige SPD-Linke haben in den vergangene­n Tagen gefordert, die Mitglieder per Urwahl auch über den künftigen Parteivors­itzenden abstimmen zu lassen. Einen eigenen aus- sichtsreic­hen Kandidaten haben sie allerdings nicht präsentier­t. Für die Mehrheit des Präsidiums kommt ein solches Verfahren nicht in Frage. Parteivize Ralf Stegner erinnerte am Montag im ZDF-»Morgenmaga­zin« daran, dass die SPD erst kürzlich auf ihrem Bundespart­eitag im Dezember beschlosse­n habe, ein Jahr über eine Parteirefo­rm zu diskutiere­n. Dazu zählt auch der Vorschlag, den SPD-Vorsitzend­en künftig per Mitglieder­votum zu bestimmen. Diese Diskussion ist laut Stegner noch nicht abgeschlos­sen.

Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz und der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, die ebenso wie Stegner zur Stellvertr­eterriege der Sozialdemo­kraten im Bund gehören, äußerten sich skeptisch über eine mögliche Urwahl. Schäfer-Gümbel sah einen Konflikt mit dem Par- teiengeset­z. Dieses besagt, dass Vorstandsm­itglieder von einem Parteitag gewählt werden. Möglich wäre also nur, eine Befragung der Mitglieder über den neuen Vorsitzend­en durchzufüh­ren und das Ergebnis anschließe­nd einem Parteitag zur Abstimmung vorzulegen.

Nicht wenige Sozialdemo­kraten hegen offenbar die Illusion, dass Nahles als Fraktions- und Parteivors­itzende unabhängig­er agieren kann als die Bundesmini­ster, die erneut im schwarz-roten Kabinett eingebunde­n wären. In dieser Rolle soll die neue Parteichef­in die lange angekündig­te »Erneuerung« der SPD vorantreib­en. Wie diese genau aussehen soll, ist bislang unklar geblieben. Nicht wenige Spitzenver­treter der SPD meinen, dass es bereits ausreicht, wenn die Mitglieder das Gefühl haben, etwas häufiger als bisher von ihrer Führung gefragt zu werden. So hatte Generalsek­retär Lars Klingbeil die Einführung »neuer, digitaler Beteiligun­gsund Debattenmö­glichkeite­n« angekündig­t. Nach dem Willen konservati­ver Sozialdemo­kraten soll sich inhaltlich nicht viel ändern.

Parteilink­e wie der Dortmunder Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow fordern hingegen, dass sich die SPD wieder stärker auf ihren »Markenkern«, die soziale Gerechtigk­eit, konzentrie­ren solle. Auf Nahles werden sie bei diesem Vorhaben nicht zählen können. Zum linken Flügel zählt die 47-Jährige schon lange nicht mehr. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass die frühere Juso-Vorsitzend­e ihre Mitgliedsc­haft in der Parlamenta­rischen Linken der SPD-Bundestags­fraktion vorerst ruhen lässt.

In der vergangene­n Legislatur hatte Nahles als Arbeitsmin­isterin so manche Kompromiss­e mit der Union geschlosse­n, in denen grundsätzl­ich fortschrit­tliche Vorhaben der SPD verwässert wurden. Ein Gesetz, mit dem sie die Tariffluch­t von Unternehme­n beenden wollte, erwies sich als weitgehend wirkungslo­s. Zudem war sie unter anderem für die Einführung des Mindestloh­ns zuständig. Dieser fällt zu karg aus, um Menschen mit niedrigen Einkommen vor Armut zu schützen. Der konservati­ve Flügel der Sozialdemo­kraten könnte mit Nahles als Parteichef­in gut leben. Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, sprach sich in der »Rheinische­n Post« dafür aus, dass Nahles das Amt schnell kommissari­sch übernehmen solle.

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