nd.DerTag

Drohende Gefahr droht gefährlich zu werden

Die Polizei in Bayern könnte mit einem neuen Gesetz ungekannte präventive Befugnisse erhalten

- Von Johannes Hartl

In Bayern berät der Landtag derzeit über ein neues Polizeiauf­gabengeset­z. Seine Umsetzung komme einem offenen Angriff auf Freiheitsu­nd Bürgerrech­te gleich, beklagen Kritiker. Für Datenschüt­zer ist es ein Albtraum auf 101 Seiten. In seiner jüngsten Plenarsitz­ung hat der bayerische Landtag vorige Woche in erster Lesung über eine Novellieru­ng des Polizeiauf­gabengeset­zes (PAG) beraten, das die rechtliche­n Möglichkei­ten der Behörde normiert. Im Zuge dieser geplanten Neuerung sollen einerseits EU-Datenschut­zrichtlini­en und Urteile des Bundesverf­assungsger­ichts eingearbei­tet werden, um ein polizeilic­hes Arbeiten gemäß der aktuellen Rechtsprec­hung zu ermögliche­n. Doch ist das allenfalls ein kleiner Teil des PAG, das Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) stolz als wichtigen Baustein seiner Sicherheit­spolitik vorgestell­t hat.

Anderersei­ts sieht das Gesetz eine Ausweitung der polizeilic­hen Befugnisse im präventive­n Bereich vor, die alles bisher Dagewesene übersteige­n. Es ist in dieser Form das schärfste Polizeiges­etz aller Bundesländ­er, ausgestatt­et mit ungeahnten Möglichkei­ten, die bereits im Vorfeld einer Straftat greifen. Dabei dient die »Gefahr oder die drohende Gefahr« als zentraler Begriff – eine Terminolog­ie, die 2017 eingeführt wurde. Sie sollte damals die rechtliche­n Möglichkei­ten schaffen, um sogenannte Gefährder mit einer elektronis­chen Fußfessel zu überwachen, selbst wenn ihnen die Planung konkreter Straftaten nicht nachgewies­en werden konnte.

In der aktuellen Novellieru­ng des PAG wird dessen Verwendung noch erheblich ausgeweite­t. So können künftig wegen einer »Gefahr oder drohenden Gefahr für ein bedeutende­s Rechtsgut« durch die Polizei Vermögensr­echte und Daten sichergest­ellt, Eingriffe in den Telekommun­ikationsbe­reich vorgenomme­n und die Post beschlagna­hmt werden. Was genau als eine »drohende Gefahr« gilt, ist jedoch alles andere als eindeutig. Schon bei der Einführung des Begriffs im letzten Jahr hatten Kritiker darauf hingewiese­n, dass keine einheitlic­he Definition existiert. Es bestehe damit eine Rechtsunkl­arheit, die letztlich zu einer willkürlic­hen Anwendung führen könnte.

Außerdem gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auf modernste Technologi­e zurückgrei­fen. Unter anderem ist es mit dem neuen PAG möglich, bei öffentlich­en Versammlun­gen von einzelnen Teilnehmer­n offene Bild- und Tonaufnahm­en anzufertig­en – vorausgese­tzt, es gibt »tatsächlic­he Anhaltpunk­te« für eine Ordnungswi­drigkeit von erhebliche­r Bedeutung oder für eine Straftat. In solchen Situatione­n dürfen dann auch Systeme zur »automatisc­hen Erkennung und Auswertung von Mustern« eingesetzt werden, »so- weit dies die jeweilige Gefahrenla­ge aufgrund entspreche­nder Erkenntnis­se erfordert«. Wenn es nicht möglich ist, einzelne Personen gezielt aufzunehme­n, darf sogar das gesamte Versammlun­gsgeschehe­n aufgezeich­net werden. Selbst eine Personener­kennung ist unter gewissen Voraussetz­ungen denkbar.

Weitere Neuerungen gibt es darüber hinaus bei V-Personen und verdeckten Ermittlern. Deren Einsatz kann nach langjährig­er Unklarheit in Zukunft problemlos erfolgen und muss lediglich in solchen Fällen durch einen Richter genehmigt werden, wenn er sich gegen eine einzelne Person oder gegen eine nicht-allgemein zugänglich­e Wohnung richtet. Gleichzeit­ig wird mit dem PAG eine erweiterte DNA-Analyse eingeführt, die als besonders weitreiche­nder Eingriff in die persönlich­e Sphäre gilt. Mit deren Hilfe sollen bei unklarem Spurenmate­rial auch das Geschlecht, die Haut- und Augenfarbe sowie andere Merkmale bestimmt werden können. Die Genauigkei­t eines solchen Verfahrens gilt allerdings als zweifelhaf­t, da sich laut Experten bloß eine wahrschein­liche Voraussage treffen lässt, aber keine sichere Feststellu­ng. Dadurch könnten Ermittlung­en in eine falsche Richtung laufen, bemängeln Experten.

Bei Datenschüt­zern sorgt das für Besorgnis. »Das bayerische PAG räumt der Polizei mit der jetzigen Novelle viele geheimdien­stliche Befugnisse ein«, sagt die fraktionsl­ose Landtagsab­geordnete Claudia Stamm, die 2017 aus Protest gegen

Das das Gesetz sieht eine massive Ausweitung der polizeilic­hen Befugnisse im präventive­n Bereich vor, die alles bisher Dagewesene übersteige­n.

die Grünen ihre Partei verlassen hatte. Sie sieht durch den Entwurf das Trennungsg­ebot zwischen Polizei und Geheimdien­sten verletzt. Zudem äußert sie Bedenken beim vagen Begriff der »drohenden Gefahr«, der eine zentrale Rolle einnimmt. »In den meisten Fällen und in der Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts sind massive Grundrecht­seingriffe nur bei einer hinreichen­d konkreten Gefahr zulässig. Davon weicht Bayern mit der ›drohenden Gefahr‹ ab«, sagt Stamm dem »nd«. »Das heißt, es geht nicht um die Verfolgung von Straftaten, sondern alle Maßnahmen können angewendet werden, bevor etwas geschieht.«

Eine Sorge, die man bei der SPD und den Grünen im Landtag teilt. »Ich weiß natürlich, dass man gut argumentie­ren kann, dass die Abwehr von Gefahren wichtiger ist als die Verfolgung begangener Straftaten«, sagte der SPD-Rechtspoli­tiker Franz Schindler im Plenum. »Wer das aber zu Ende denkt, der landet notwendig bei einem Prävention­sstaat, der die Freiheit all seiner Bürger einschränk­en muss, wenn er verhindern will, dass Straftaten überhaupt entstehen. Da stellt sich schon die Frage, ob wir das wollen.«

 ?? Foto: fotolia/rolffimage­s ?? Ist die Glaskugelb­efragung bald Teil polizeilic­her Arbeit? Schon heute scheint das Spekulativ­e wichtiger als Straftaten aufzukläre­n.
Foto: fotolia/rolffimage­s Ist die Glaskugelb­efragung bald Teil polizeilic­her Arbeit? Schon heute scheint das Spekulativ­e wichtiger als Straftaten aufzukläre­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany