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»El Faro« bricht in El Salvador mit Tabus

Das Onlinemedi­um ist ein publizisti­scher Leuchtturm in Zentralame­rika

- Von Martin Reischke Website El Faro: www.elfaro.net

Die kleine Redaktion des investigat­iven Onlinemedi­ums »El Faro« aus El Salvador kämpft seit fast 20 Jahren gegen die Vormachtst­ellung der traditione­llen Medien an und hat sich viel Anerkennun­g erworben. Mit einem dramatisch­en Videospot auf Youtube geht El Faro auf Spendentou­r. »Wir sind Teil einer besorgten Bürgerscha­ft«, sagt Redaktions­chef Ricardo Vaquerano in dem kurzen Film. »Um uns herum geschehen Dinge, von denen wir nichts wissen – und von denen einige wollen, dass sie geheim bleiben. Aber damit ist jetzt Schluss.« Der Aufruf soll dabei helfen, dass Leserinnen und Leser künftig mehr Geld spenden, damit die Journalist­en des Onlinemedi­ums aus El Salvador noch besser und gründliche­r recherchie­ren können – und den Mächtigen im Land auch weiter auf die Füße treten. Schon heute unterstütz­en nicht nur Salvadoria­ner, sondern auch einige Leser in Nordamerik­a, Spanien oder Deutschlan­d die Arbeit der Redaktion.

In diesem Jahr feiert »El Faro« seinen 20. Geburtstag, und als unabhängig­es Medium sind die Finanzen noch immer ein Dauerthema. Aber die konstanten Geldnöte haben auch ihr Gutes: Denn die ersten sieben Jahre, in denen kein einziges Honorar bezahlt werden konnte, hätten die Redaktion zusammenge­schweißt: »Das war identitäts­stiftend für das ganze Projekt«, erzählt Carlos Dada, einer der zwei Gründungsv­äter. »Denn ein Projekt, wo die Leute mit ganzem Herzen dabei sind, weil sie an das glauben, was sie tun, ist auch viel besser geschützt vor äußeren Bedrohunge­n und vor wirtschaft­lichem Druck.«

Sechs Jahre nach Ende des Bürgerkrie­gs in El Salvador 1998 als ambitionie­rtes No-Budget-Projekt gegründet, ist »El Faro« – auf Deutsch »Der Leuchtturm« – längst zu einem der führenden Investigat­ivmedien in Lateinamer­ika aufgestieg­en. Auch als Onlinemedi­um hat »El Faro« auf dem Kontinent Pionierarb­eit geleistet – dabei war die Publikatio­n im Internet am Anfang nur eine Notlösung, weil das Geld für den Druck einer richtigen Zeitung fehlte. Nach den ersten fünf Jahren ließ »El Faro« schließlic­h eine Marktstudi­e erstellen, um seine wirtschaft­lichen Möglichkei­ten auf dem Printmarkt auszuloten. Das Ergebnis war vernichten­d, doch Carlos Dada nahm es gelassen. »Das hat ganz viel Druck von uns genommen und uns erlaubt, uns nach neuen Möglichkei­ten umzuschaue­n.«

Heute publiziert »El Faro« nicht nur auf der eigenen Seite im Internet, sondern will sich mit Radiosendu­ngen und Videodokum­entationen ein breiteres Publikum erschließe­n, das über die Hauptstadt­elite hinausgeht. Anders als den traditione­llen Medien des Landes ist es dem Medi- um gelungen, sich vom wirtschaft­lichen Druck der Anzeigenku­nden freizumach­en – auch dank langfristi­ger Unterstütz­ung von Organisati­onen wie der US-amerikanis­chen Open Society von George Soros und der Friedrich Ebert- oder Heinrich-Böll-Stiftung. Das Erfolgsrez­ept: gründlich recherchie­rte Hintergrun­dstücke von einer Länge, über die jeder vermeintli­che Onlineprof­i bloß den Kopf schütteln würde.

Auch wenn El Salvador in der Region in Sachen Pressefrei­heit vergleichs­weise gut dasteht – in der aktuellen Rangliste der Organisati­on Reporter ohne Grenzen landet der Staat auf Platz 62 – durch seine Berichters­tattung über Themen wie Korruption, Drogenschm­uggel oder organisier­te Kriminalit­ät hat sich »El Faro« viele Feinde gemacht, und die Lage wird nicht einfacher. »Im Vergleich zu vor fünf Jahren sind die Risiken für Journalist­en in El Salvador größer geworden«, sagt Carlos Dada. »Heute geht die Bedrohung direkt von den staatliche­n Institutio­nen aus, und der Staat selbst gibt grünes Licht, damit diese Bedrohung weitergeht.«

Den Zorn der staatliche­n Institutio­nen zog »El Faro« zum Beispiel auf sich, als deren Reporter belegen konnten, dass salvadoria­nische Polizisten an der systematis­chen Ermordung von jugendlich­en Gangmitgli­edern beteiligt waren. Selbst als »El Faro« nach der Publikatio­n die Bedrohung ihrer Reporter durch Polizisten öffentlich machte, verteidigt­e der Staat lieber die Täter, anstatt die Journalist­en zu schützen.

»Die Antwort des Staates war, dass die Polizisten Helden sind, die uns vor der organisier­ten Kriminalit­ät schützen, und jeder, der ihnen widerspric­ht, ist ein Feind der Ruhe und des Friedens im Land«, erzählt Dada.

Was also kann Journalism­us leisten in einer Gesellscha­ft, die auch 25 Jahre nach Ende des Bürgerkrie­ges ideologisc­h polarisier­t ist und die eigenen Kriegstrau­mata noch längst nicht aufgearbei­tet hat? José Luis Sanz hat darauf eine klare Antwort: »Die Aufgabe des Journalism­us ist es, voranzugeh­en und neue Wege zu beschreite­n, damit auch der Rest der Gesellscha­ft die Möglichkei­t hat, eigene Fragen zu stellen und eigene Meinungen zu vertreten«, sagt der Chefredakt­eur von »El Faro«. »In El Salvador gibt es immer noch Angst davor, Fragen zu stellen und bestimmte Dinge zu sagen.«

Die 20-köpfige Redaktion versucht, mit diesen Tabus zu brechen. Gerade erst wieder mit ausführlic­hen Berichten über das Gerichtsve­rfahren zum Massaker von El Mozote – einem der größten Kriegsverb­rechen in der modernen Geschichte Lateinamer­ikas, das von den meisten Me- dien des Landes lange ignoriert wurde. Damit macht »El Faro« seinem Namen alle Ehre. Denn tatsächlic­h ist es zum journalist­ischen Leuchtturm und Vorbild für andere Onlinemedi­en in der Region wie »Plaza Pública« und »Nómada« in Guatemala geworden, die sein investigat­ives Konzept übernommen haben.

Auch einige Politiker in El Salvador haben erkannt, dass guter, unabhängig­er Journalism­us seine Berechtigu­ng hat. Einer von ihnen ist der Abgeordnet­e Johnny Wright Sol von der konservati­ven Opposition­spartei ARENA. »Die Journalist­en von ›El Faro‹ gehören zu denjenigen, vor denen wir als Politiker flüchten, die am unangenehm­sten sind, die die schwierigs­ten Fragen stellen«, erzählt der junge Politiker. »Aber darum geht es ja: Sich den Mächtigen in den Weg zu stehen, nicht immer grünes Licht zu geben und nicht zuzulassen, dass die Mächtigen hier alles tun und lassen können, ohne sich kritischen Fragen stellen zu müssen.«

»Die Journalist­en von ›El Faro‹ gehören zu denjenigen, vor denen wir als Politiker flüchten, die am unangenehm­sten sind, die die schwierigs­ten Fragen stellen.« Johnny Wright Sol, ARENA

 ?? Foto: Martin Reischke ?? Hohe Konzentrat­ion: Bei der Redaktions­konferenz von »El Faro« wird den Ausführung­en von Chefredakt­eur José Luis Sanz gefolgt.
Foto: Martin Reischke Hohe Konzentrat­ion: Bei der Redaktions­konferenz von »El Faro« wird den Ausführung­en von Chefredakt­eur José Luis Sanz gefolgt.

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