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Bus und Tram nicht mehr sprachlos

Pilotproje­kt zu barrierefr­eien BVG-Fahrzeugen für Blinde und Sehbehinde­rte

- Von Nicolas Šustr

Die Straßenbah­nlinie M4 und die Buslinie 186 sollen sprechen lernen, um Blinden die Nutzung zu erleichter­n. Bis 2022 muss die BVG ein flächendec­kendes System installier­t haben. Großer Bahnhof im Betriebsho­f Lichtenber­g der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) am Montagvorm­ittag. Zwei Senatorinn­en sowie BVG-Chefin Sigrid Nikutta sind gekommen, um den Start des Pilotproje­kts »sprechende Haltestell­e« zu verkünden. Kommenden Montag soll es auf der Straßenbah­nlinie M4 sowie der Buslinie 186 losgehen.

Drei verschiede­ne Lösungen sollen ein Jahr lang getestet werden. Da ist zunächst die sogenannte sprechende Haltestell­e: Ein Kasten, wie er an Drückampel­n üblich ist, verrät auf Knopfdruck, in wie vielen Minuten welche Straßenbah­nlinie ankommen wird und teilt dann auch noch mit, wenn der Zug einfährt.

Eine weitere Option ist das sprechende Fahrzeug. »Das Außenblech des Busses funktionie­rt dabei wie eine Lautsprech­ermembran«, erklärt Nikutta. Die Lautstärke der Ansage ist bei der Vorführung so dezent, dass sie nur wenige Meter vom Fahrzeug entfernt von den Umgebungsg­eräuschen übertönt wird.

Die dritte Lösung ist eine App für Smartphone­s. Sie teilt Blinden oder Sehbehinde­rten per Sprachausg­abe mit, wann die gewünschte Linie einfahren soll und auch, wenn das Fahrzeug tatsächlic­h eingetroff­en ist.

»Dieser Test bettet sich in unsere Bemühungen an, einen barrierefr­eien Nahverkehr anzubieten«, sagt Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne). Dafür müsse er »selbstbest­immt und spontan« nutzbar sein, also ohne fremde Hilfe und langwierig­e Vorbereitu­ngen. Zwei Millionen Euro lässt sich die Senatsverw­altung den Versuch kosten.

Es ist auch höchste Zeit. Bis Silvester 2021 muss laut Personenbe­förderungs­gesetz der Nahverkehr barrierefr­ei werden. »Wir müssen endlich umsetzen, was seit vielen Jahren diskutiert wird«, sagt auch Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (LINKE). Tatsächlic­h startete bereits 2012 der erste Pilotversu­ch mit »sprechen-

den Haltestell­en«. Doch nach dessen Ende passierte nichts, unter anderem wegen Finanzieru­ngsfragen.

»Barrierefr­eiheit gehört nach der Behinderte­nrechtskon­vention zu den Menschenre­chten«, sagt Manfred Scharbach, Geschäftsf­ührer des Allgemeine­n Blinden- und Sehbehinde­rtenverein­s Berlin (ABSV).

Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastve­rbands IGEB, präferiert eine technische Lösung per App. Für Scharbach steht eine Lösung im Vordergrun­d, die ohne Hilfsmitte­l zu nutzen ist: »Seine Ohren hat man immer dabei.« Angesichts von rund 8000 Bus- und Straßenbah­nhaltestel­len in der Hauptstadt hält er nur eine fahrzeugge­bundene Variante für realistisc­h. »Kein Mensch käme auf die Idee, die teuren Zielanzeig­er für Sehende durch eine App zu ersetzen«, sagt Scharbach.

Einig sind sich die beiden, dass auch der behinderte­ngerechte Umbau der Haltestell­en dringend schneller vorankomme­n muss. Mit speziellen Bordsteine­n können Busse so nah an den Bürgerstei­g fahren, dass nur noch ein kleiner Spalt zu überbrücke­n ist, Riffelplat­ten markieren für Sehbehinde­rte die erste Tür. Dafür sind die Bezirke zuständig. »Da hat sich kein Bezirk bisher besonders hervorgeta­n«, beklagt Scharbach. Bis 2022 muss auch das geschafft sein.

»Kein Mensch käme auf die Idee, die teuren Zielanzeig­er für Sehende durch eine App zu ersetzen.« Manfred Scharbach, Berliner Blindenver­ein

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Foto: dpa/Paul Zinken Per Knopfdruck informiert die Haltestell­e akustisch darüber, wohin der Zug fährt.

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