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Mörderisch­e Gewässer

Ian McGuire wird wegen seines Romans »Nordwasser« mit Joseph Conrad und Cormac McCarthy verglichen

- Von Holger Teschke

Gott verbringt nicht viel Zeit hier oben im Nordwasser.« Das sagt ein Walfangkap­itän in Ian McGuires jüngstem Roman. »Höchstwahr­scheinlich mag er die Kälte nicht.«

Es dürfte noch ein paar andere Gründe dafür geben, dass Gott nicht gern sieht, was die Menschen in diesen Breiten aus seiner Schöpfung und aus sich selber gemacht haben. Schon im Jahr 1859 sind die Wale aus den Gewässern zwischen der Insel Jan Mayen und Grönland fast verschwund­en, sie ziehen immer weiter nach Norden. Petroleum und Paraffin haben das Walöl von den Märkten verdrängt, und der Robbenfang allein bringt kaum noch Gewinn. Die Reeder in McGuires Roman wollen die Walfänger, die sie einst reich ge- macht haben, möglichst schnell loswerden und dabei noch einmal kräftig verdienen. Also werden die Schiffe hoch versichert und Kapitäne gesucht, die für einen Untergang ohne Nachfragen sorgen.

Auf einem solchen Walfänger heuern im Hafen von Hull der Harpunier Henry Drax und der Arzt Patrick Sumner an, der den indischen Aufstand von 1857 mitgemacht hat, aber in Unehren aus der Armee entlassen wurde. Beide sind abgebrannt und hoffen nun, durch die Walfangrei­se wieder zu Geld zu kommen. Aber beide haben keine Ahnung, wohin diese Reise in Wirklichke­it gehen soll und dass sie sich an ihrem Ende einen Kampf auf Leben und Tod liefern werden.

Der britische Autor Ian McGuire, Jahrgang 1964, beschreibt den blutigen Alltag an Bord des Walfängers »Volunteer«, als wäre er dabei ge- wesen. Der Leser fühlt sich schon nach wenigen Seiten, als wäre er ein Mitglied dieser Mannschaft und selber den Schönheite­n und Schrecken des arktischen Meeres ausgesetzt.

Im Vergleich zu dieser Besatzung wirkt die der »Pequod« aus Melvilles »Moby Dick« wie die Ruder-Crew einer amerikanis­chen Oberschule. Die Moral der christlich­en Seefahrt ist längst über Bord gegangen, Geld, Rum und Überleben sind die einzigen Werte, die noch zählen. Mit der gleichen Brutalität, mit der die Männer Robben und Wale abschlacht­en, behandeln sie sich gegenseiti­g und werden von ihren Vorgesetzt­en behandelt.

Diese Rohheit macht allerdings im Augenblick der Gefahr auch vor Rang und Stand nicht Halt, und so läuft der Plan des Reeders auf katastroph­ale Weise aus dem Ruder. Nach dem Mord an einem Schiffsjun­gen eskaliert die Gewalt, und die Männer finden sich plötzlich ohne Schiff und ohne Aussicht auf Rettung im arktischen Treibeis wieder.

Ian McGuire hat nicht nur einen fulminante­n Roman über den Walfang im 19. Jahrhunder­t geschriebe­n, sondern auch einen Thriller, weshalb der Ausgang hier nicht verraten werden soll. Auch sprachlich ist dieses fesselnde Buch in der Übersetzun­g von Joachim Körber ein Meisterwer­k: Die Farben und Töne von Meer, Eis und Wetter, den Geschmack von Fleisch, Blut und Salzwasser, die Gerüche von Menschen, Tieren und Schiffen – all das beschreibt McGuire mit einer Präzision und Sprachkraf­t, die diese mörderisch­e Reise zu einem unvergessl­ichen Leseerlebn­is macht.

Am Ende kommt es zu einem Überlebens­kampf im Eis, der erst im Heimathafe­n seinen Höhepunkt findet und der allein schon den enthusiast­ischen Vergleich der »New York Times« rechtferti­gt, die Ian McGuire in einem Atemzug mit Joseph Conrad und Cormac McCarthy nennt.

Als wäre man selber den Schönheite­n und Schrecken des arktischen Meeres ausgesetzt.

Ian McGuire: Nordwasser. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Körber. mare Verlag, 352 S., geb., 22 €

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