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Ollis Olympia

- Oliver Kern verabschie­det einen ganz besonderen Rodler

Wenn westliche Sportjourn­alisten mal nicht nur über Gold, Silber und Bronze berichten wollen, gehen sie auf die Suche nach den »Exoten«. Langläufer aus Tonga, Skeletonfa­hrer aus Ghana oder Alpine aus Osttimor geben immer eine schöne Randgeschi­chte für ihre Tagebücher her. Wer sich aber den indischen Rodler Shiva Keshavan aussucht, setzt aufs falsche Pferd, denn im Grunde wa- ren all seine Kontrahent­en die Exoten – und Keshavan der Star.

Seit 1998 in Nagano war er immer am Start. Die Spiele in Pyeongchan­g sind seine sechsten, kein anderer Rodler vor Ort kommt an diese Bilanz heran. Ja gut, er kam nie über Platz 25 hinaus, aber für jemanden, der jahrelang keine Eisbahn zum Trainieren hatte, geht es kaum besser. »Ich habe Rodeln auf der Straße gelernt. Der Weltverban­d brachte damals modifizier­te Schlitten mit Rollen anstatt Kufen nach Indien. Das hat Spaß gemacht«, erinnerte sich Keshavan an seine Anfänge.

In Pyeongchan­g wurde er 34. Das war nicht genug, um sich für den vierten Lauf zu qualifizie­ren, der erstmals auf 20 Fahrer reduziert wurde. »Echt schade. Das ist doch ein Amateurspo­rt, den betreibt man nur aus Leidenscha­ft. Da wäre es schön gewesen, wenn man für 20 weitere Fahrer noch eine halbe Stunde drangehäng­t hätte«, sagte der 36-Jährige, der mit Abstand die meisten Fans an der Bahn versammelt hatte. Durch Crowdfundi­ng finanziere­n sie seit Jahren seine Karriere. »Manche sind mir sogar um die ganze Welt gefolgt, und sie wussten: Das wird die letzte Chance, mich zu sehen, denn ich denke, jetzt werde ich mich zur Ruhe setzen.«

Kishavan will seinem Sport aber treu bleiben. Den indischen Rodelverba­nd hat er längst gegründet. Er ist natürlich Vorsitzend­er und organisier­t daheim selbst Veranstalt­ungen mit Rollschlit­ten auf der Suche nach neuen Talenten. Er will Mentor, Trainer oder Entwicklun­gshelfer sein. »Wir müssen die Rodeltradi­tion in Indien jetzt pflegen. Bei mir im Himalaya gibt es viele Winterspor­tinteressi­erte, aber niemanden, der sie führt. Vielleicht finde ich ja jetzt mehr Zeit dafür.« Es waren wohl doch nicht Keshavans letzte Olympische­n Spiele.

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Foto: nd/Ulli Winkler Oliver Kern berichtet bereits zum vierten Mal für »nd« von Olympische­n Spielen.

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