Schreiben mit Plastikgabel und roter Soße
Ein neues Buch von Deniz Yücel versammelt journalistische Texte. Das türkische Regime nennt er darin »Gangster«
Die Artikel von Deniz Yücel richten sich stets gegen das verbissen Dogmatische, Autoritäre, Humorlose, Asketische, Menschenfeindliche. Jetzt gibt es sie erstmals als Buch. Rauchen und Schreiben, das sind die zwei Tätigkeiten, die der Journalist Deniz Yücel mit am besten beherrscht und am meisten genießt. Als er vor genau einem Jahr in der Türkei verhaftet und in Polizeigewahrsam gesteckt wurde, war ihm vom einen Tag auf den anderen beides nicht mehr erlaubt. An einen Stift und Papier war nicht zu kommen. Doch Yücel gehört nicht zu den Kollegen, die man so leicht am Schreiben hindern kann. Und am Rauchen wohl noch weniger.
»Da Bücher erlaubt waren, nahm ich Oğuz Atays 720-Seiten-Roman ›Die Haltlosen‹ als Papierersatz. Dazu versuchte ich es mit einer abgebrochenen Plastikgabel als Feder und der roten Soße der Essenskonserven als Tinte.« Das funktionierte natürlich nicht. Seinen Erfahrungsbericht aus der Polizeihaft schreibt er schließlich in eine Ausgabe von Antoine de SaintExupérys »Der kleine Prinz«, auf jene Seiten, die mit Illustrationen und viel Weißraum versehen sind, »bei schummrigem Licht, heimlich unter der Bettdecke«, und schmuggelt ihn per Schmutzwäsche aus seiner Zelle.
Deniz Yücel konnte es nie gut ertragen, wenn irgendwo Ungerechtigkeit herrschte, wenn die Wirklichkeit geschönt werden sollte, wenn Leute Unwahrheiten verbreiteten. Er musste darüber berichten, für die Zeitung, für die er gerade arbeitete. Ein Journalismus, der seine Aufgabe im Wesentlichen darin sieht, es vor allem seinem Arbeitgeber oder den Lesern recht zu machen oder pflichtschuldig die vorbereiteten Phrasentexte sogenannter Pressesprecher nachzuplappern, war nie seine Sache. In einem Artikel, in dem Yücel einmal seine Anfänge im Journalismus schilderte, heißt es: »Journalisten, die nicht einmal dazu imstande sind, ihre ureigenen Freiheiten zu verteidigen (...) verraten ihren Daseinszweck. Sie sind Propagandisten aus Überzeugung oder aus Opportunismus und sollen alle bügeln gehen.«
Heute erscheint Yücels neues Buch »Wir sind ja nicht zum Spaß hier«. Es versammelt eine Auswahl seiner journalistischen Texte aus den vergangenen 13 Jahren, die in den Zeitungen erschienen sind, für die Yücel arbeitete: die »Jungle World«, die »taz« und »Die Welt«. Und es ist ein gelungener Überblick über sein Werk: In die Texte, die ihn als gewissenhaften Rechercheur und Berichterstatter ausweisen, schmuggelt er schon mal den einen oder anderen galligen oder sarkastischen Witz. Und jenen Texten, bei deren Lektüre man den leidenschaftlichen Polemiker erkennt, merkt man rasch an, dass die Polemik stets im Dienst einer Sache steht.
Yücels Texte – ganz gleich, ob es nun um den Schulkurs »Mathe für Ausländer« geht, in den er als in der hessischen Provinz aufwachsendes Kind gesteckt wurde, um die Allgegenwart des deutschen Rassismus, Diskussionen um Sprechverbote, den Fußball oder Erdoğans Krieg gegen die Kurden – richten sich stets gegen das verbissen Dogmatische, Autoritäre, Humorlose, Asketische, Menschenfeindliche: gegen Neonazis, religiöse Fanatiker und reaktionäre Linke ebenso wie etwa gegen die »CriticalWhiteness-Spinner«, die er einmal treffend so charakterisierte: »geschlossenes Weltbild, Auftritte in Rudelform, uniforme Redebeiträge und die totalitäre Unfähigkeit, etwas zu ertragen, das nicht der eigenen Weltanschauung entspricht«. Man sieht: Dieselbe Charakterisierung passt auch ganz gut auf Erdoğans Schergen.
Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der Tageszeitung »Die Welt«, sitzt nun seit einem Jahr unter menschenunwürdigen Bedingungen in sogenannter Untersuchungshaft, in einem »Hochsicherheitsgefängnis«, die meiste Zeit davon verbrachte er in Isolationshaft, ohne jeden Kontakt zu anderen Inhaftierten. Der Mann muss überaus gefährlich sein.
»Die türkische Justiz«, schreibt Yücels Freundin und Kollegin Doris Akrap von der »taz« im Vorwort zu dessen neuem Buch, »hält seine journalistische Arbeit für ›Terrorpropaganda und Volksverhetzung‹ (…) In anderen Ländern kriegt man für solche Texte Journalistenpreise. In der aktuellen Türkei kriegt man dafür Knast.« Und weiter: »Es gibt nur einen Grund, Leute wie Deniz Yücel wegzusperren: Man will sie zwingen, endlich die Klappe zu halten.«
Yücel ist kein Einzelfall, er war nur der erste Inhaftierte mit deutschem Pass. Eine Anklageschrift gegen ihn hat die türkische Justiz bis heute nicht vorgelegt. Und ihn mundtot zu machen, ist ihr bislang auch nicht gelungen: »Das Regime, in dessen Gewalt ich mich befinde, ist zwar islamistisch und neuerdings auch nationalistisch«, schreibt Yücel in einem neuen Text, der für dieses Buch entstand. »Hauptberuflich« jedoch seien »diese Leute Gangster. Dem Charakter nach halb Teppichhändler aus Kayseri, halb Istanbuler Parkplatzmafia.«
Ein Journalismus, der seine Aufgabe darin sieht, es den Lesern recht zu machen, war nie seine Sache.