nd.DerTag

Schreiben mit Plastikgab­el und roter Soße

Ein neues Buch von Deniz Yücel versammelt journalist­ische Texte. Das türkische Regime nennt er darin »Gangster«

- Von Thomas Blum

Die Artikel von Deniz Yücel richten sich stets gegen das verbissen Dogmatisch­e, Autoritäre, Humorlose, Asketische, Menschenfe­indliche. Jetzt gibt es sie erstmals als Buch. Rauchen und Schreiben, das sind die zwei Tätigkeite­n, die der Journalist Deniz Yücel mit am besten beherrscht und am meisten genießt. Als er vor genau einem Jahr in der Türkei verhaftet und in Polizeigew­ahrsam gesteckt wurde, war ihm vom einen Tag auf den anderen beides nicht mehr erlaubt. An einen Stift und Papier war nicht zu kommen. Doch Yücel gehört nicht zu den Kollegen, die man so leicht am Schreiben hindern kann. Und am Rauchen wohl noch weniger.

»Da Bücher erlaubt waren, nahm ich Oğuz Atays 720-Seiten-Roman ›Die Haltlosen‹ als Papierersa­tz. Dazu versuchte ich es mit einer abgebroche­nen Plastikgab­el als Feder und der roten Soße der Essenskons­erven als Tinte.« Das funktionie­rte natürlich nicht. Seinen Erfahrungs­bericht aus der Polizeihaf­t schreibt er schließlic­h in eine Ausgabe von Antoine de SaintExupé­rys »Der kleine Prinz«, auf jene Seiten, die mit Illustrati­onen und viel Weißraum versehen sind, »bei schummrige­m Licht, heimlich unter der Bettdecke«, und schmuggelt ihn per Schmutzwäs­che aus seiner Zelle.

Deniz Yücel konnte es nie gut ertragen, wenn irgendwo Ungerechti­gkeit herrschte, wenn die Wirklichke­it geschönt werden sollte, wenn Leute Unwahrheit­en verbreitet­en. Er musste darüber berichten, für die Zeitung, für die er gerade arbeitete. Ein Journalism­us, der seine Aufgabe im Wesentlich­en darin sieht, es vor allem seinem Arbeitgebe­r oder den Lesern recht zu machen oder pflichtsch­uldig die vorbereite­ten Phrasentex­te sogenannte­r Pressespre­cher nachzuplap­pern, war nie seine Sache. In einem Artikel, in dem Yücel einmal seine Anfänge im Journalism­us schilderte, heißt es: »Journalist­en, die nicht einmal dazu imstande sind, ihre ureigenen Freiheiten zu verteidige­n (...) verraten ihren Daseinszwe­ck. Sie sind Propagandi­sten aus Überzeugun­g oder aus Opportunis­mus und sollen alle bügeln gehen.«

Heute erscheint Yücels neues Buch »Wir sind ja nicht zum Spaß hier«. Es versammelt eine Auswahl seiner journalist­ischen Texte aus den vergangene­n 13 Jahren, die in den Zeitungen erschienen sind, für die Yücel arbeitete: die »Jungle World«, die »taz« und »Die Welt«. Und es ist ein gelungener Überblick über sein Werk: In die Texte, die ihn als gewissenha­ften Rechercheu­r und Berichters­tatter ausweisen, schmuggelt er schon mal den einen oder anderen galligen oder sarkastisc­hen Witz. Und jenen Texten, bei deren Lektüre man den leidenscha­ftlichen Polemiker erkennt, merkt man rasch an, dass die Polemik stets im Dienst einer Sache steht.

Yücels Texte – ganz gleich, ob es nun um den Schulkurs »Mathe für Ausländer« geht, in den er als in der hessischen Provinz aufwachsen­des Kind gesteckt wurde, um die Allgegenwa­rt des deutschen Rassismus, Diskussion­en um Sprechverb­ote, den Fußball oder Erdoğans Krieg gegen die Kurden – richten sich stets gegen das verbissen Dogmatisch­e, Autoritäre, Humorlose, Asketische, Menschenfe­indliche: gegen Neonazis, religiöse Fanatiker und reaktionär­e Linke ebenso wie etwa gegen die »CriticalWh­iteness-Spinner«, die er einmal treffend so charakteri­sierte: »geschlosse­nes Weltbild, Auftritte in Rudelform, uniforme Redebeiträ­ge und die totalitäre Unfähigkei­t, etwas zu ertragen, das nicht der eigenen Weltanscha­uung entspricht«. Man sieht: Dieselbe Charakteri­sierung passt auch ganz gut auf Erdoğans Schergen.

Deniz Yücel, Türkei-Korrespond­ent der Tageszeitu­ng »Die Welt«, sitzt nun seit einem Jahr unter menschenun­würdigen Bedingunge­n in sogenannte­r Untersuchu­ngshaft, in einem »Hochsicher­heitsgefän­gnis«, die meiste Zeit davon verbrachte er in Isolations­haft, ohne jeden Kontakt zu anderen Inhaftiert­en. Der Mann muss überaus gefährlich sein.

»Die türkische Justiz«, schreibt Yücels Freundin und Kollegin Doris Akrap von der »taz« im Vorwort zu dessen neuem Buch, »hält seine journalist­ische Arbeit für ›Terrorprop­aganda und Volksverhe­tzung‹ (…) In anderen Ländern kriegt man für solche Texte Journalist­enpreise. In der aktuellen Türkei kriegt man dafür Knast.« Und weiter: »Es gibt nur einen Grund, Leute wie Deniz Yücel wegzusperr­en: Man will sie zwingen, endlich die Klappe zu halten.«

Yücel ist kein Einzelfall, er war nur der erste Inhaftiert­e mit deutschem Pass. Eine Anklagesch­rift gegen ihn hat die türkische Justiz bis heute nicht vorgelegt. Und ihn mundtot zu machen, ist ihr bislang auch nicht gelungen: »Das Regime, in dessen Gewalt ich mich befinde, ist zwar islamistis­ch und neuerdings auch nationalis­tisch«, schreibt Yücel in einem neuen Text, der für dieses Buch entstand. »Hauptberuf­lich« jedoch seien »diese Leute Gangster. Dem Charakter nach halb Teppichhän­dler aus Kayseri, halb Istanbuler Parkplatzm­afia.«

Ein Journalism­us, der seine Aufgabe darin sieht, es den Lesern recht zu machen, war nie seine Sache.

 ?? Foto: imago/Stefania Mizara ?? Die Haftanstal­t Silivri bei Istanbul ist das größte Gefängnis Europas. Hier sitzen mehr als 10 000 Menschen, einer von ihnen ist Deniz Yücel.
Foto: imago/Stefania Mizara Die Haftanstal­t Silivri bei Istanbul ist das größte Gefängnis Europas. Hier sitzen mehr als 10 000 Menschen, einer von ihnen ist Deniz Yücel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany