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Kassenlos im Krieg der Plattforme­n

Nina Scholz erklärt, warum die Entwicklun­g des ersten Amazon-Go-Stores nicht visionär, sondern gefährlich ist

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Die Bilder gingen um die Welt: An einem Sonntag im Januar standen die Menschen vor einem Supermarkt in Seattle Schlange. An diesem Tag wurde hier der erste Amazon-Supermarkt eröffnet: Amazon-Go, ein teilautoma­tisierter, App-gesteuerte­r Markt des Online-Versandhän­dlers, der revolution­är daher kommt, aber am Ende nur die Kassiereri­n durch eine App ersetzt. Für Amazon entfallen einige Kosten für Arbeitskrä­fte und durch die gesammelte­n Daten fällt es dem Unternehme­n leichter, den Warenfluss zu steuern. Für den Kunden entfällt der Gang zur Kasse. Ladendiebs­tähle werden verunmögli­cht, weil die Ware schon vorher durch die App gespeicher­t wird.

Auch wenn manche immer noch alles begeistert, was Technologi­eunternehm­en als fortschrit­tlich verkaufen, und sie dafür sogar in der Kälte ausharren, sieht eine wirklich visionäre Errungensc­haft anders aus. Trotzdem lohnt es sich, beim Amazon-Go-Supermarkt sehr genau hinzuschau­en. Es wird immer offensicht­licher, dass Amazons Zeiten als Online-Versandhän­dler der Vergangenh­eit angehören. Natürlich verdient der Konzern mit dem Versand weiter Geld. Doch ist er längst in vielen anderen Branchen tätig – und das sehr erfolgreic­h.

Das Unternehme­n wurde als Online-Buchhandel 1994 von Jeff Bezos in einer Garage in Seattle gegründet. Der Grund war wohl mehr betriebswi­rtschaftli­ches Kalkül als visionäre Genie-Leistung. In der Tech-Branche herrschte damals Goldgräber­stimmung und Bezos suchte eine Nische, von der er sich ökonomisch­en Erfolg versprach. Und er sollte Recht behalten. Er weitete das Repertoire bald auf Elektronik­geräte und andere Produkte aus. Amazon ist heute der größte Konkurrent des stationä- ren Einzelhand­els und der Grund, warum immer weniger Buchläden geschäftsf­ähig sind.

Dass Amazon den stationäre­n Handel jetzt nicht nur durch den Versand unter Druck setzt, sondern durch eigene Stores ersetzt – erst durch eigene Buchläden, jetzt durch Supermärkt­e – macht seine Gefährlich­keit aus. Den Konkurrent­en Whole Foods, selber Marktführe­r im hochpreisi­gen Biosegment, hat Amazon erst kürzlich aufgekauft. Dazu gehört nun auch der Go-Supermarkt, ein weiterer Baustein im Monopolgeb­ilde von Amazon. Menschen bezahlen hier doppelt: mit ihrem Geld und mit ihren Daten. Gerade diese sind elementar für TechUntern­ehmen wie Amazon. Sie sind das Rohöl, mit dem sie ihre Vormachtst­ellung sichern. Wer die meisten Daten hat, weiß nicht nur vieles über seine Kunden, das diese früher nicht preisgegeb­en hätten, sondern kann auch vorhersage­n, wo Bedürfniss­e entstehen – und diese entspreche­nd steuern.

Bei einem genaueren Blick wird schnell klar: Amazon funktionie­rt dabei nicht wie ein herkömmlic­hes Unternehme­n, das etwas produziert oder verkauft. Amazon ist eine Plattform, deswegen wird diese neue Entwicklun­gsstufe des digitalen Kapitalism­us auch »Plattform Ökonomie« genannt. Im Kleinen funktionie­rt das so, dass Amazon keine gebrauchte­n Bücher verkauft, sondern daran verdient, zwischen den Buchhändle­rn und Käufern zu vermitteln. Diese Plattforme­n werden durch den Netzwerkef­fekt – verkürzt: alle nutzen die Plattform, die auch alle anderen nutzen – zu Monopolen. Es gibt verschiede­ne digitale Plattforme­n, die bekanntest­en sind Facebook, Uber, Apple, die in verschiede­nen Segmenten miteinande­r um die Vormachtst­ellung konkurrier­en. Hauptsegme­nte sind dabei Künstliche Intelligen­z und Mobilität.

Es ist noch nicht absehbar, wie diese Konkurrenz­verhältnis­se sich weiter entwickeln. Der britische Wissenscha­ftler Nick Scrincek warnt in seinem Buch »Platform Capitalism« aber insbesonde­re vor Amazon, dem er in einem prognostiz­ierten »Krieg der Plattforme­n« die besten Sieges- und Überlebens­chancen einräumt. Auch weil Amazon im Gegensatz zu den anderen beiden großen Plattforme­n Google und Facebook nicht im limitierte­n Anzeigenge­schäft ist, sondern sich schon früh im Cloud-Segment einen Platz verschafft hat. Amazon »verleiht« also digitale Services an andere Unternehme­n, ein robustes Geschäft, nicht zuletzt weil Amazon die Preise bestimmen und auch hier seine Monopolste­llung weiter ausbauen kann.

Die Eröffnung des Supermarkt­es in Seattle ist also keine gute Nachricht. Hier wird keine technologi­sche Vision verwirklic­ht, sondern eine dystopisch­e Gegenwart, mit der wir uns dringend auseinande­r- und gegen die wir uns noch dringender zur Wehr setzen müssen.

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Foto: privat Nina Scholz arbeitet als Journalist­in in Berlin zu digitalem Kapitalism­us und Alternativ­en.

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